Griechenland-Crashkurs

Frischmilch, Helmpflicht und Kataster: Axel Hacke sieht in der Griechenlandkrise eine versteckte Landeskunde. Und eine Selbsterfahrung für den Rest Europas.

Illustration: Dirk Schmidt

Das Tolle an der Griechenlandkrise: Sie ist ein Crashkurs in Landeskunde. Ochi heißt »Nein«, Nai bedeutet »Ja«. Die Villa des Premierministers nennt man Mégaro Maxímou. Und wer weiß noch nicht, dass Griechenland ein katastrophales Liegenschaftskatasterwesen hat, eigentlich gar keines? Man weiß nie, wem welches Grundstück gehört, obwohl der Begriff »Kataster« auf das griechische katástichon zurückgeht, »das Register«. Aber auch das Wort »katastrophal« ist griechischen Ursprungs, katastrophé ist die »Umwendung«.

Wunderbar die griechischen Namen, Lafazanis, Dragasakis, Stathakis … Stylianos Bochtsatzioglou ist mein Liebling, der leitet eine Schokoladenfabrik im Nordwesten Athens. Stand im »Spiegel«.

Übrigens gilt auch in Griechenland die Helmpflicht für Motorradfahrer, sie wird aber selten beachtet, das hatte man sich fast schon gedacht. Mich wunderte, dass Finanzminister Varoufakis mit Helm fuhr, aber seine Frau auf dem Sozius ohne. Das war illegal, hat aber außer mir niemanden interessiert. Ob Varoufakis ihr wenigstens den Helm angeboten hat? Vielleicht hat sie gesagt, er werde ihre Frisur ruinieren, und bei ihm sei es ja egal? Könnte man drüber nachdenken, aber Varoufakis hat bestimmt keinen Gedanken darauf verschwendet. Jedenfalls schätze ich ihn so ein, was auch wieder nicht viel heißt. Ich kenne ihn nicht persönlich. Ich fand ihn nur immer etwas selbstbezogen.

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Zurück zur Landeskunde: Interessant, dass in Griechenland Frischmilch nie länger als fünf Tage nach der Produktion angeboten werden durfte. Das machte jeden Import so gut wie unmöglich, hätte zu lange gedauert. Die griechischen Bauern begrüßten das: Auf diese Weise war Milch nämlich viel teurer, als sie hätte sein müssen, so teuer wie nirgends sonst in der EU, was wiederum zu Lasten der armen Leute ging, die doch angeblich so unter der EU leiden. In diesem Fall war ihr Problem aber nicht die EU, sondern das griechische Gesetz. Andererseits werden Bauern überall stark subventioniert, in Deutschland sowieso.

Um noch mal auf das Katasterwesen zurückzukommen: Aus dem EU-Haushalt sind den Griechen 150 Millionen Euro überwiesen worden, damit sie eines aufbauen; das macht dessen Nicht-Existenz natürlich noch trauriger. Aber zu den Ergebnissen unseres Crashkurses gehört erstens, dass die Griechen Europa jahrelang belogen und betrogen haben, und zweitens, dass sie selbst jahrelang belogen und betrogen worden sind. »Die Verhandlungen mit Europa sollen demütigend sein?«, hat der Schriftsteller Petros Markaris gesagt. »Da muss ich lachen. Dass unsere Banken geschlossen sind, das ist demütigend! Sich eingestehen zu müssen, dass man sich jahrzehntelang von den eigenen Politikern hat belügen lassen, das ist demütigend!«

Was für eine Perle von Satz in Tausenden von Sätzen, die man nun über Griechenland gelesen hat! Die Wahrheit zu erfahren ist nämlich immer demütigend für den, der sie nicht gewusst hat – warum? Weil es bedeutet, dass man etwas nicht wissen wollte, was man hätte wissen können. Auch die anderen Europäer hätten übrigens wissen können, dass sie mit ihrem Geld jenes griechische System gestützt haben, das nun zu beschimpfen sie nicht müde werden. Sie wollten es aber nicht wissen, weil die Geschäfte, die europäische Firmen dort gemacht haben, zu gut waren, als dass man hätte genauer hinschauen wollen. Richtig betrachtet, haben wir es also nicht nur mit einem Griechenland-Crashkurs zu tun, sondern auch mit Europa-Selbsterfahrungsmonaten.

Und man kann sagen, dass es mit dieser Krise nicht anders ist als mit Ehekrisen: Wer von ihnen profitieren will, tut gut daran, nicht den anderen zu beschimpfen, sondern sich zu fragen, welche Wahrheiten er aus dessen Verhalten über sich selbst erfahren kann. (Wobei das Wort »Krise« auch aus dem Griechischen kommt, von krísis, »die Entscheidung«, aber das jetzt wirklich nur noch nebenbei.)