Die Frage, ob Bäume nachts schlafen, gehört zu denen, die im Alltag keine große Rolle spielen. Hat man sie aber mal gestellt, will man unbedingt sofort eine Antwort. Schlafen Bäume nachts?
Peter Wohlleben berichtet in seinem Bestseller Das geheime Leben der Bäume, dass sie offensichtlich einen Winterschlaf halten, kommt dann jedoch auch auf den Nachtschlaf zu sprechen und erwähnt eine 1981 in der Zeitschrift Das Gartenamt zitierte Studie, wonach ein größeres Eichensterben in einer amerikanischen Stadt zu vier Prozent auf nächtliche Beleuchtung zurückzuführen war. »Offensichtlich brauchen Bäume ihre Ruhephase genauso sehr wie wir«, schreibt er. Strahlt man sie nachts an, können sie, vermute ich, mit der Fotosynthese (also der Produktion von lebensnotwendigem Zucker mit Hilfe von Licht) nicht aufhören und geraten unter Stress.
Diese Auffassung ist jetzt durch einen Artikel in dem pflanzenkundlichen Magazin Frontiers in Plant Science bestätigt worden: Forscher wiesen nach, dass ein Baum von fünf Metern Höhe in der Nacht um bis zu zehn Zentimeter kleiner wird, er sinkt in sich zusammen, Blätter und Äste senken sich, und man hört ein leises, auf- und abebbendes Schnarchgeräusch. Gut, das stand jetzt nicht in den Frontiers, sondern ist Ergebnis meiner Untersuchungen; der Baum vor meinem Schlafzimmerfenster ratzt nachts dermaßen laut, dass man glauben könnte, er säge sich selbst die Äste ab. Trotzdem gehe ich nun abends auf Zehenspitzen über den Hof; man soll schlafende Bäume nicht wecken.
Übrigens erwähnt Wohlleben auch, wie schlimm es für einen Baum ist, wenn er von einem Hund als Toilette benutzt wird, der Urin könne »die Rinde verätzen und zum Absterben der Wurzeln führen«, ein Schaden, wie er sonst nur durch Streusalz verursacht wird. Der Baum ist wehrlos, eine Tatsache, die uns über Mario Götzes kürzlich geäußerten Satz nachdenken lässt, wonach es im Fußball, was Kritik von Medien und Fans angehe, nun einmal so sei: »Mal ist man der Hund, mal ist man der Baum.« Wäre schön, wird nun mancher Baum sagen, wenn es auch im Leben mal so wäre, dass man als Baum auf einen dümmlich kläffenden Pinscher einen plötzlich-ätzenden Harnregen herunterrauschen lassen könnte, den der Hund stumm duldend hinzunehmen hätte.
Die Schicksalsergebenheit, ja, die heitere Resignation, die aus Götzes Zitat spricht, ist nicht nur auf den Fußball, sondern auch auf das Leben anwendbar: Möchtest du Baum sein oder Hund? Willst du das Absterben einer Wurzel durch Angepinkeltwerden klaglos hinnehmen, dem Pinkler sogar noch eine andere Wurzel anbieten? Ist dein Motto: Was schert es die Eiche, wenn sich ein Hund an ihr erleichtert? Oder lässt sich der Satz nicht auch umdrehen: Was kümmert es den Hund, wessen Rinde er verätzt? Sehnen wir uns alle in der Tiefe unserer schmutzigen Seelen nicht bisweilen nach dieser hundehaften Gleichgültigkeit der Welt gegenüber, diesem großen Mirdochegal? Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass, richtet ein Rüde seinen Strahl an einen Baum, dies auch der Reviermarkierung dient. Deshalb geschieht es ja an einem Baum: in Nasenhöhe anderer Hunde, nicht auf ebener Erde, wo Geruch und Flüssigkeit vielleicht nur allzu bald verschwänden. Mit diesem Benutztwerden muss man als Baum erst mal fertigwerden, und die einzige Waffe ist die eigene Würde und das Wissen: Wenn du Hund dereinst längst meine Wurzeln von unten betrachtest, werde ich hier immer noch meine Blätter im Wind rauschen lassen. Denn die durchschnittliche Lebenserwartung eines Hundes liegt bei zehn bis 16 Jahren, in Bad Blumau in der Steiermark aber gibt es eine Eiche, die ist mehr als tausend Jahre alt.
Baumseits wird, nebenbei gesagt, sehr begrüßt, dass der Durchschnittshund 17 bis zwanzig Stunden pro Tag schläft, weit länger also als jede Eiche. Denn schlafende Hunde pinkeln nicht.
Illustration: Dirk Schmidt