Krippenplatz

Mit Menschen, die dringend einen Krippenplatz für ihr Kind suchen, passiert etwas Merkwürdiges. Sie verwandeln sich. Sie verrohen. Und wenn sie vor das allmächtige Komitee treten, das über die Aufnahme bei der Elterninitiative »Rotznasen e.V.« zu entscheiden hat, sind sie nicht mehr sie selbst. Karrieremänner mit zwei linken Händen mutieren zu Naturburschen, Handwerkern und potenziellen Aushilfsbaumeistern, selbstbewusste Frauen bieten ihre Körper als Putzhilfen und Küchenmägde an. Lang gehegte Bedenken gegen vegane Ernährung, alternative Erziehungsmethoden oder jedwede Form von Christentum werden in Sekundenschnelle über Bord geworfen, wenn nur der Hauch einer Chance besteht, dass man den Nachwuchs für ein paar Stunden irgendwo abgeben darf. Eltern auf der Suche nach einem Krippenplatz, sagen wir es offen, ist nicht zu trauen. Sie lügen wie gedruckt. Sie sind getrieben von dieser verzweifelten Gier, von der sonst nur Junkies berichten.

Diese Erkenntnis führt zum Kern dessen, was Krippenplätze in diesem Land sind: ein kostbares Gut nämlich, das theoretisch in ausreichender Menge, in absoluter Reinheit und auch zu vertretbaren Kosten produziert werden könnte – wenn der Staat nicht etwas dagegen hätte. Mit anderen Worten: Es ist genau wie beim Heroin. Niemand bestreitet den absoluten Kick, den ein Krippenplatz bringt, dieses unglaubliche Hochgefühl, wenn man ein heiß geliebtes Wesen, das einem gerade den letzten Nerv raubt, für ein paar Stunden sicher verwahrt und fachmännisch betreut weiß, während man selbst auf eine fantastische Reise geht. Aber: Krippenplätze machen eben auch süchtig. Sie verändern die Rezeptoren des Elterngefühls im Kleinhirn. Sie höhlen das traditionelle Bild der Familie genauso aus wie Heroin den Körper von, sagen wir, Keith Richards. Wer ausreichend Krippenplätze vom Staat will, um diese Sucht zu befriedigen – der will nichts anderes als den Staat als Dealer.

So scheint es zumindest, wenn man in diesen Wochen wieder den konservativen Eiferern von CDU und CSU lauscht: der Krippenplatz als gesellschaftliches Gefahrgut, das auch weiterhin strengster staatlicher Verknappung unterliegen muss. Drei Milliarden Euro, die 500000 neue Betreuungsplätze für Kleinkinder schaffen sollen – dieser Plan der Familienministerin Ursula von der Leyen muss allen gestressten und gedemütigten Eltern, die für solchen Stoff der-zeit ihre Seele verkaufen, wie das Geschenk einer gnädigen Fruchtbarkeitsgöttin erscheinen. Aber für manche Politiker darf das nicht sein. Es wäre das Ende des Versuchs, deutsche Frauen zum Leben an Heim und Herd anzuhalten, das Ende einer konservativen Traumwelt, die längst nur noch in der Fantasie existiert, das Ende der staatlichen Drogenbekämpfung. Und wo kämen wir hin, wenn wir alle für das Suchtverhalten junger Eltern bezahlen müssten?

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Aber jetzt mal ehrlich: So absurd dieser Vergleich ist, er ist nicht halb so absurd wie die ganzen politisch-ideologischen Grabenkämpfe zum Thema Krippenplatz. Denn anders als Junkies, daran muss am Ende doch einmal erinnert werden, produzieren junge Eltern trotz ihrer chaotischen Existenz doch mit schöner Regelmäßigkeit einen Mehrwert, den sogar die dämlichsten Konservativen verstehen: nämlich Staatsbürger. Staatsbürger sind ebenfalls ein kostbares Gut, das theoretisch in ausreichender Menge, in absoluter Reinheit und auch zu vertretbaren Kosten hergestellt werden könnte. Sie sind das Heroin der Politik. Politiker, die längere Zeit nicht mit einem Schuss frischer Staatsbürger versorgt werden, gehen ein. Sie lösen sich mitsamt dem Staat und allem, was sie eigentlich regieren wollten, in Luft auf. Und sie schaffen es auch nicht – Frau von der Leyen mit ihren sieben Kindern vielleicht ausgenommen –, den benötigten Nachschub selbst herzustellen. Hier liegt nun, nur der größte CSU-Ochse wird es verkennen, die Chance für einen Kompromiss: Ihr gebt uns Krippenplätze, so viel wir wollen – und wir sorgen dafür, dass auch nach unserem Tod noch jemand da ist, den ihr regieren könnt. Versprochen.