Pannenshow

An den neuen Pannenshows, wie sie derzeit in den Privatsendern unerwartete Erfolge feiern, erstaunt eine bestimmte Drastik: ein Fahrradfahrer, dessen Kopf mit voller Wucht gegen einen Baum prallt; eine Massenkarambolage von Skifahrern, in Nahaufnahme gefilmt; und dazwischen immer wieder Kleinkinder, deren Unfälle in Haus oder Garten zumeist die Hälfte der gezeigten Filme ausmachen. Dies alles unterlegt mit einem unablässigen Stakkato aus Konservengelächter, Popmusik und den aus Comicserien bekannten Geräuschen, die jedes Stolpern, jeden Fehltritt unterstreichen sollen. Das Genre der Pannenshow, seit dem Ende von Bitte lächeln oder Pleiten, Pech und Pannen in den späten neunziger Jahren aus den Fernsehprogrammen verschwunden, erlebt eine umfassende Renaissance; allein in den letzten drei Monaten wurden die Sendungen Upps! – Die Superpannenshow, Clip Charts, Mitgelacht! Das Lustigste aus aller Welt und Bitte lachen! eingeführt und bescheren den Sendern ein Vielfaches ihrer gewöhnlichen Einschaltquoten. Der Frage, warum sich eine große Menge von Fernsehzuschauern beinahe täglich daran vergnügt, Babys beim Sturz vom Wickeltisch oder kopfüber in die Badewanne zuzusehen, ist zuallererst mit konkreten medientechnischen Veränderungen beizukommen. Digitalkameras und Fotohandys haben in den fünf Jahren, die seit den letzten Homevideo-Shows vergangen sind, für eine enorme Anhäufung verfügbarer Aufnahmen gesorgt. Noch vor kurzem war der »zufällig anwesende Amateurfilmer«, bei epochalen Katastrophen wie bei Ereignissen im alltäglichen Leben, eher die Ausnahme; inzwischen sind wir zu einem ganzen Volk von zufällig anwesenden Amateurfilmern geworden. Die neue Dokumentierbarkeit unvorhergesehener Ereignisse wurde in der Öffentlichkeit spätestens mit dem Tsunami Ende 2004 deutlich, als erstmals auch die größten Nachrichtensendungen und Tageszeitungen auf Digitalkamera- und Fotohandy-Aufnahmen der unmittelbar Betroffenen zurückgriffen. Die Inflation von Pannenclips und ihre Popularität als Fernsehformat weisen auf dieselbe Entwicklung in der Sphäre des Privaten hin.Aufschlussreich ist eine bestimmte Inszenierungsweise der Pannenshows: ihre Anlehnung an den Comic. Die Soundeffekte des Genres dürfen in keiner der Sendungen fehlen; zudem werden die werktäglichen Clip Charts auf Kabel eins von einer animierten Hundefigur moderiert. Zu den populärsten Merkmalen der Comicfilme gehört bekanntlich die ins Groteske gesteigerte Unverwundbarkeit der Beteiligten; auf ihren Verfolgungsjagden stürzen Tom und Jerry oder der rosarote Panther gern unzählige Meter in die Tiefe, bleiben einen Moment flach am Boden kleben und stehen unversehrt wieder auf. In Einspielfilmen widerfahren auch der Clip Charts-Moderatorenfigur regelmäßig solche Missgeschicke. Diese Assoziationen der Unverwundbarkeit sind keineswegs zufällig gewählt. Denn der darauf folgende Clip – ein Kleinkind wird auf dem Spielplatz mit einem schrillen »Boing!« von einer Schaukel getroffen – soll die beteiligten Menschen für die Zuschauer auch ein wenig wie Comicfiguren wirken lassen. Die Homevideos, deren Echtheit sich ja durch Datum und Uhrzeit am Bildrand fortwährend bezeugt, werden durch diesen Rahmen entschärft und fiktionalisiert. Die unbeholfenen Körper der Babys und Kleinkinder, die weggeschleudert und umgestoßen werden, erscheinen auf diese Weise als bloßes Pannenmaterial, über dessen kurioses Schicksal herzhaft gelacht werden darf. In der Werbepause der Clip Charts kann man hinüber zu den RTL News schalten und Nachrichtensprecher mit belegter Stimme über die gegenwärtige Häufung von Fällen berichten hören, in denen Kinder der erschütternden Gleichgültigkeit ihrer Familie zum Opfer gefallen sind. In den Pannenshows fände man womöglich eine erste Spur dieser Verrohung.