Tief im Inneren dieser fremdartigen Zellstrukturen schimmert es zart, und dann staunt man: So schön kann Licht sein, in getrocknete Schafmägen gehüllt.
»Flock«, Herde, heißt eine dieser aus Schlachtabfällen gefertigten Lampen, die ihre heikle Entstehungsgeschichte ganz bewusst im Namen tragen. »Ich arbeite gern mit Dingen, die andere übersehen oder wegwerfen«, sagt Julia Lohmann, 31, »ich will sichtbar machen, dass das Material seinen Ursprung im Tod eines Tieres hat.« Die gebürtige Hildesheimerin arbeitet seit zehn Jahren als Produktdesignerin. Ihr Studio befindet sich in Kentish Town, einem Stadtteil im Norden Londons, ihr Thema: die Würde und Ästhetik der Vergänglichkeit.
Es ist also kein schwarzer Humor oder gar Zynismus, der ihren Objekten zugrunde liegt, eher Respekt vor dem Rohstoff Natur. Ihr »Lasting Void«-Hocker (bleibende Leere) aus Plastik zum Beispiel schuldet seine eigentümliche Form dem leeren, organlosen Brustkorb eines Kalbes. »Das Tier starb eines natürlichen Todes auf dem Feld und wurde deswegen nicht für den menschlichen Verzehr freigegeben«, erklärt Lohmann.
»Indem ich sein Inneres ausgegossen habe, gebe ich ihm die Würde der Erinnerung zurück, die auch einem Wesen zusteht, das die Landwirtschaft als wertlos ansieht.«
Julia Lohmann will Dinge von Bestand machen. Die Flüchtigkeit unserer Verwertungsgesellschaft ist dabei ihr Ausgangspunkt. Bei den aus Tiermägen geformten Lampen oder Sitzbänken in Kuhform, die jeweils mit dem Leder eines einzigen Tieres bezogen sind, wird offensichtlich, dass sie den Tod immer mitdenkt. Schön muss es natürlich trotz allem sein, denn sonst ginge die Botschaft verloren.
Lohmann begreift ihre Objekte als »ethisches Barometer«, das Hersteller wie Käufer vor die Frage stellt, welchen moralischen Preis sie bereit sind zu zahlen. Sich selber sieht sie dabei keineswegs auf der sauberen Seite. Sie isst schon ab und zu Fleisch. »Aber nur solches, das ein gutes Leben hatte.«
Als Kind wollte sie Tierärztin werden. Später arbeitete sie auf einer Farm mit Pferden und Schafen in Island. Wie unsentimental dort mit Tieren umgegangen wurde, aber auch wie respektvoll, ist ihr im Gedächtnis geblieben: »Vom Feld auf den Teller.« Sie lernte Bauern kennen, die jedes ihrer Schweine an seinem Gang erkennen konnten.
2001 ging sie nach England, studierte zuerst Grafik in Surrey und danach Produktdesign am Royal College of Art. In ihrer Abschlussarbeit untersuchte sie 2005 die Rolle von Tieren in der zeitgenössischen Kunst: »Warum stoßen sich Leute an Damien Hirsts Formaldehyd-Kadavern, aber nicht an dem Steak, das sie essen?«
Die oft willkürlichen Kategorisierungen von Tieren in »Freunde und Feinde« hatte sie drei Jahre zuvor schon mit ihrem Partner und Ehemann Gero Grundmann zum Thema gemacht. Ihre Grafikabschlussarbeit war eine Art Guerilla-Aktion: Die beiden schlichen sich in einen unbewachten Raum der Tate-Modern-Galerie in London und bauten eine Installation auf, bei der in Farbe getauchte Maden über Londoner Stadtpläne krochen und die britische Nationalflagge abbildeten.
»Wir gaben den Maden Namen und sahen, wie die Leute sie plötzlich als Individuen wahrnahmen«, sagt Grundmann. Mehrere Stunden blieb die Aktion vom Museumspersonal unentdeckt. »Als wir gehen mussten, machten sich die Besucher ungekannte Sorgen: ›Sie werden die Maden doch nicht töten?‹«
Ihre ersten Lampen aus Tiermägen stellte Lohmann 2005 noch auf dem eigenen Balkon her. Zurzeit arbeitet sie im Auftrag der Kingston University in London mit appetitlicherem Material: Aus getrocknetem Seetang sollen Lampenschirme entstehen.
»Ich habe Meeresbiologen in aller Welt angeschrieben und um Seetang gebeten«, sagt sie. »Neulich bin ich sogar mit einem Koffer voller nasser Meerespflanzen aus Irland zurückgekommen und habe sie zu Hause in den Trockner gesteckt.« Man sieht die ersten Prototypen und staunt: Als essbare Hülle für Reis und rohen Fisch wirkt das Zeug auf einmal tatsächlich verschenkt.
Raphael Honigstein musste beim Anblick von Julia Lohmanns Seetanglampen sofort an die hervorragenden Sushi seines Londoner Lieblingsjapaners "Roka" in der Charlotte Street 37 denken. Das Licht dort ist übrigens eher schummrig.
Foto: Heiko Prigge