Welcher Gegenstand macht Sie glücklich?

Welcher Gegenstand macht Sie glücklich? Teil 4 mit Antworten von Marcel Reif, Bibiana Beglau, Martí Guixé und vielen weiteren Prominenten.

    Sarong - Chris Dercon

    Der belgische Kurator ist Direktor der Londoner Tate Gallery und übernimmt ab 2017 die Leitung der Berliner Volksbühne.

    Ab einem bestimmten Punkt meines Lebens verliebte ich mich in Stoffe, in Gewebtes aller Art. Diese Leidenschaft blühte weiter auf, als ich mich in Bücher über Stoffe vertiefte. Darüber hinaus trage ich Stoffe auch sehr gerne. Das heißt: Ich sammle Schals aus aller Welt. Ich hatte nie einen Sarong getragen, bis ich »Lionel Wendt’s Ceylon« entdeckte, eines der schönsten Fotobücher des vergangenen Jahrhunderts. Lionel Wendt lebte von 1900 bis 1944, er stand anderen srilankischen Modernisten nahe wie dem Architekten Geoffrey Bawa. Es war im Jahr 1958, als die junge Künstlerin Barbara Sansoni von Großbritannien nach Sri Lanka zurückkehrte, die magische Insel des glücklichen Zufalls. Dank ihres Wissens um moderne Farbschemas sowie um die Farben lokaler Interieurs waren ihre Expertise und ihr Geschmack gesucht von Bawa und seinem Zirkel.

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    Und bald begann Sansoni, Tücher zu entwerfen, mithilfe lokaler Weber. Ihre kühnen, brillant gefärbten Entwürfe erregten sofort Aufmerksamkeit. In den späten Sechzigerjahren eröffnete sie in Colombo ein Ladengeschäft namens Barefoot. Auf einer meiner Reisen nach Sri Lanka hatte ich die Ehre, die alte, majestätische Barbara Sansoni persönlich zu treffen. Sie schenkte mir einen ihrer Sarongs. Auf ihm fanden sich die Linien-zeichnungen alter Gebäude Sri Lankas, aber auch die geometrischen Ornamente des Bauhaus, die sie so inspirierten. In der Brillanz der Farben spiegelten sich die Farben der Insel, die einst das Zentrum der alten Seidenstraße war. Und die Knitterfalten sind genau wie jene, in die sich Lionel Wendt verliebte. Das Wort Textil und all seine Derivate lassen sich im Sanskrit nachweisen, alles ist verwebt, das Alte und das Neue. An all das muss ich denken, wenn ich Sansonis Tücher trage.

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    Barcelona-Sessel - Marcel Reif

    Der Wahlschweizer wurde mehrfach als bester Sportkommentator Deutschlands ausgezeichnet.

    Vor ungefähr 15 Jahren habe ich gesagt: Jetzt kommt mir mal richtiges Design ins Haus. Also habe ich zwei »Barcelona«-Sessel angeschafft, einer braun, einer schwarz. Sie sind wahnsinnig schön. Und wahnsinnig unbequem: Bis die weichgesessen sind, dauert es drei Leben. Ich sitze darin so gerade, wie meine Mutter immer gesagt hat, dass ich sitzen soll. Nun habe ich es nicht anders verdient - ich schlafe sonst nämlich oft beim Fernsehen ein. Aber im »Barcelona«-Sessel schaue ich mir Fußballspiele garantiert aufmerksam an.

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    Der Denker von Rodin - Jürgen Domian

    Der Journalist und Buchautor führt seit 1995 als Moderator und Seelsorger durch seine Talksendung »Domian«.

    Ich bin kein Freund der Dinge und der Gegenstände, sie interessieren mich wenig. So findet man in meiner Wohnung auch kaum Dekoratives. Mit einer Ausnahme. Es ist eine kleine Skulptur, die mir meine beste Freundin vor Jahren geschenkt hat: Der Denker von Auguste Rodin. Ein Nachbildung aus Bronze auf einem schwarzen Marmorwürfel, etwa zwanzig Zentimeter groß. So oft schaue ich den gebeugten Mann an und spekuliere, worüber er wohl nachdenkt. Was ist das Leben? Gibt es Gott? Warum der Tod? Worin liegt Sinn? Er ist für mich ein Suchender, ein Fragender, ein Mahnender, der mir sagt: Sei auf der Hut vor schnellen Antworten. Plage dich! Der richtige Weg ist immer der beschwerliche Weg.

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    Kurbelradio - Schorsch Kamerun

    Der Sänger der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen arbeitet auch als Theaterregisseur und Autor.

    Im März erschien sein neues Buch »Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens«. Ich bin nicht der Typ für Sehnsuchtsobjekte, aber neulich habe ich ein Gerät erworben, das mich begeistert. Es strahlt Unzerstörbarkeit aus, wirkt klotzig, aber fühlt sich wie ein utopischer Technikvorschlag an: ein Radio mit Kurbel, bei dem man durch Drehen Strom erzeugt. Ich finde in Zeiten von menschenersetzenden Smartphones und internetfähigen Kühen oder Kühlschränken das Radio weiterhin faszinierend: Töne einfach so aus der Luft einzufangen, im Falle meines Kurbelgeräts sogar ohne Batterie. Das Gerät hat begrenzte Möglichkeiten, aber das lässt es besonders unabhängig auftreten: Niemand kann es hacken, es produziert keine Daten oder bewertbare Profile. Es erinnert an Bertolt Brecht auf seiner Flucht vor Nazideutschland, für den das Radio ja ein Apparat der Freiheit war. Ich hatte es auf einer Asienreise dabei - in einem Fischerdorf sitzen, bisschen kurbeln und Radio Island Wide hören. Eine wunderbar langsame Zukunft wäre das.

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    Holz-Dreirad – Bibiana Beglau

    Die deutsche Schauspielerin brillierte in vielen »Tatort«-Folgen, ist Grimmepreisträgerin und spielt derzeit den Mephisto am Münchner Residenztheater.

    Dieses kleine Holzreh begleitet mich seit zehn Jahren. Ich fand es in meinem Keller. Dort hatte eine Freundin einen riesigen Karton untergestellt und nie wieder abgeholt. Als ich ihn irgendwann entsorgen wollte, fand ich Kinderkleider und was man alles so braucht für Babys. Das Rehdreirad gehörte dem Sohn der Freundin, Pablo, den ich aufwachsen sah. Die Kleider verschenkte ich, und das Rehdreirad wohnt nun bei mir als Dauerleihgabe. Vielleicht möchte Pablo es irgendwann zurück, denn das erste Fahrzeug ist eine besondere Erinnerung. Ich erinnere mich gut an mein rotes Dreirad aus Draht, an dem ich mir unzählige Male die Finger eingeklemmt habe und das irgendwann verschwand. Das Reh ist ähnlich gemein für Kinderfinger, aber so schön und wohlproportioniert. Es ist handgemacht, und man spürt die Sorgfalt und Liebe, mit der es wahrscheinlich vom Großvater aus Freude über den ersten Enkel gebastelt wurde. Nicht eine Schraube hält es zusammen, und es ist auch nicht geleimt, sondern mit Holzkeilen so ausgestattet, dass es robust den ersten Fahrversuchen standhält. Die Ohren sind geschnitzt und perfekt für Kinderhände zum Festhalten. Mein Patenkind hat es ausprobiert, und immer wenn Kinder zu Besuch kommen, sausen sie damit durch meine Wohnung. Man kann eigentlich nur geradeaus, das zierliche Holzreh hat den Wendekreis eines Treckers. Dieses Objekt – ich lege weder Bücher noch sonst irgendetwas darauf – ist eine zeitlose Erinnerung an die Leichtigkeit der Kindheit. Das Reh lässt meine Gedanken für einen Moment in der Luft hängen.

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    Distelwerkzeug - Sebastian Herkner

    Der vielfach ausgezeichnete Designer entwirft Möbel und andere Alltagsprodukte für Hersteller wie ClassiCon, Rosenthal und Moroso. Dabei sucht er die Verbindung zwischen Handwerk und neuester Technik.

    Kürzlich war ich von einem Hersteller nach Kolumbien eingeladen worden, um dort zusammen mit einheimischen Handwerkern ein Möbelprojekt auf die Beine zu stellen. Mit dem Auto sind wir von einem Dorf zum nächsten, um Handwerksfamilien zu besuchen, die dort zum Beispiel Decken oder Teppiche an alten Webstühlen herstellen. Die Webstühle stehen meistens im Freien, notdürftig mit einer Plane gegen Regen geschützt. Ihre Wolle haben die Weber von den eigenen Schafen. Sie färben, spinnen und weben die Wolle auch selbst. Ein Objekt faszinierte mich besonders: Damit ihre Decken flauschiger werden, benutzen die Weber ein selbst fabriziertes traditionelles Gerät aus Distelzweigen, mit dem sie die Oberfläche aufrauen. Die zusammengebundenen Dis-teln ziehen wie Kletten die Fasern aus der Deckenoberfläche und machen sie weich. Ein ganz primitives Werkzeug, aber mit einer selbstverständlichen Aussage. Es ist billig, einfach her-zustellen, sehr effektiv und nachhaltig. Kurz: So, wie eigentlich jedes gutes Werkzeug sein sollte.

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    Hunde-Zigarettenetui - Martin Parr

    Der in England lebende Fotograf gilt als Chronist der britischen Alltagskultur und wurde mit Motiven aus der Welt des schlechten Geschmacks berühmt.

    Ich bin besessen von Hunde-Sammelobjekten und habe inzwischen eine stolze Sammlung aufgebaut. Dieses Zigarettenetui stammt aus dem Jahre 1957, als Laika an Bord des Satelliten »Sputnik 2« als erstes Lebewesen im Weltraum Geschichte schrieb. Sie war ein streunender Mischling, den man von der Straße aufgegriffen und daraufhin trainiert hatte, in engen Räumen die Nerven zu bewahren. Die Ironie der Geschichte ist, dass sie ihren Triumph als russische Nationalheldin nicht erlebte. Sie kam tot von der Mission zurück. Das passte natürlich nicht in die Propaganda, die damals auf der Höhe des Kalten Kriegs die Nachrichten beherrschte.

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    Samsonite-Koffer - Malakoff Kowalski

    Von dem in Berlin lebenden Filmkomponisten und Sänger mit persischen Wurzeln erschien zuletzt das Album »I Love You«.

    Es war Anfang 2010. Draußen lag Schnee, und ich hatte noch die ganze Nacht vor mir. Ich hörte ein Album von György Ligeti mit anstrengender Klaviermusik und war high auf Grüntee. Ich würde durchmachen, in Ruhe packen, am Morgen alles andere liegen lassen und einfach die Tür hinter mir zuziehen. Das war mein Plan. Die nächsten Wochen sollte ich mit einem neuen Soloalbum und 2raumwohnung auf Tournee fahren, und ich freute mich darauf, Berlin zu verlassen. Die beiden anderen aus meinem Trio reisten immer mit bestem Gepäck. Dr. Rock, Bassist, stieg niemals ohne seinen silbernen Rimowa-Koffer in einen Tourbus. Barotti, Drummer, hatte immer ein paar alte, tolle Weekender aus Leder dabei. Nur bei mir sah die Sache sehr unluxuriös aus. Ich schaute meine große, schwarze Army-Reisetasche an und fühlte mich schlecht. Sie war übrig geblieben aus einer Zeit, in der ich mir über viele Dinge keine Gedanken gemacht hatte. Sie war keine Option mehr. Reisen wie ein Schlumpf? Plötzlich erinnerte ich mich an den uralten, elfenbeinfarbenen »Samsonite Saturn« aus dem Jahre 1977, den ich schon seit meiner Kindheit kannte. Er stand im Keller, ich bewahrte Videokassetten in ihm auf. Er sah wunderschön aus und löste mein Problem sofort. Das überdimensioniert schwere Gewicht war etwas unzeitgemäß, aber die vollendete Form, die silbernen Verschlüsse und ihr verbindlicher Klang beim Öffnen und Zumachen, die helle Farbe und die Netze und die Trennwände und die Beutel, die liebevoll in den Innenseiten eingehängt waren und so gemütlich diskret aussahen wie ein Schlafwagen mit zugezogenen Vorhängen im Orientexpress - das alles war wie ein neues Leben für mich.

    Ich bin jahrelang nie wieder ohne diesen Koffer gereist. Meine Eltern waren 1977 aus Teheran nach Rom in die Flitterwochen geflogen und hatten den Koffer dort für viel Geld gekauft, weil meine Mutter zu viele Geschenke verfrachten musste. Als sie zwei Jahre später, kurz vor meiner Geburt, vor der islamischen Revolution nach Boston flüchteten, reisten die wenigen Dinge, die sie mitnehmen konnten, in diesem Samsonite. Als sie dann nach Deutschland kamen, wo ich in Hamburg aufwuchs, muss der Koffer so etwas wie Heimat für sie gewesen sein. Einige Zeit später gab es die ersten Koffer mit Rollen, und der weiße Panzer wurde als Lagergelegenheit auf dem Dachboden ausrangiert. Heute, fast vierzig Jahre nach Rom, ist unser »Samsonite Saturn« das Letzte, was ich sehe, bevor ich einschlafe, und das Erste, wenn ich aufwache: Er liegt gegenüber von meinem Bett auf einem meiner Kleiderschränke oben drauf und sagt: »Baby Boy, let’s go.«

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    Rechenschieber - Brunello Cucinelli

    Der italienische Modedesigner und Unternehmer wurde mit der Herstellung von Strickkleidung aus Kaschmir zum Milliardär.

    Dieser Rechenschieber begleitet mich schon mein ganzes Leben, er liegt immer auf meinem Schreibtisch. Zahlen und Rechnen haben mich früh fasziniert, zu Beginn der Oberschule war ich überzeugt, einmal Ingenieur zu werden. Noch heute benutze ich gern meinen Kopf zum Rechnen, damit lassen sich die Dinge oft am schnellsten lösen. Mein Lehrmeister Pythagoras sagte immer: »Alles ist Zahl.«

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    Phosphor-Geburtstagskerze - Martí Guixé

    Der Spanier gestaltet Produkte für Firmen wie Alessi, Camper, Magis und Vitra und tritt auch als Künstler in Erscheinung, der immer wieder die Grenzen seines Berufs als Designer infrage stellt.

    In meinem Beruf muss ich oft mit dem Flugzeug reisen. Vor einigen Jahren habe ich eine Phosphorkerze entworfen, die man im Flugzeug zum Leuchten bringen und wieder ausblasen kann. Ich hatte sie jahrelang in einer Kiste, doch letztes Jahr wollte es der Zufall, dass ich an meinem Geburtstag in einem Flugzeug feiern muss-te. Ich war auf der Rückreise aus Seoul, da hab ich sie endlich ausprobiert. Inga, meine Begleitung, hat ein Foto davon gemacht.

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    Wandmalereien - Roger Ballen

    Der New Yorker mit Wohnsitz in Südafrika inszeniert in seinen Fotografien die bizarre Parallelwelt des weißen Prekariats in den verlorenen Dörfern rund um Johannesburg.

    Ich finde Inspiration in den Häusern der Menschen, die ich fotografiere. Insbesondere die Zeichnungen an den Wänden faszinieren mich, da ich mich immer schon für Outsider Art interessiere. Diese Wand-malereien haben meine Fotografie entscheidend beeinflusst, sie durchziehen meine Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte. Das Bild oben zeigt ein Beispiel meiner frühen Arbeiten, das mir besonders am Herzen liegt. Es stammt aus der »Outland«-Serie.

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    Ladegerät - Cao Fei

    Die Medienkünstlerin thematisiert in ihren Werken moderne Einsamkeit und Digitalisierung. Bis zum 2. Mai sind sie in der Fondation Louis Vuitton in Paris zu sehen
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    Dieses mobile Akku-Ladegerät habe ich auf der Straße in Peking gekauft. In Asien geht niemand mehr ohne so ein Ding aus dem Haus. In Europa ist es noch nicht so verbreitet, euch sind Manieren wichtiger als uns. Beim Essen mit der Familie ist das Handy aus, habe ich beobachtet. In China hat die Kulturrevolution vieles zerstört. Freunde sitzen sich im Restaurant gegenüber und tippen schweigend in ihr Gerät. Ausgeschaltet ist mein Handy nur im Flugzeug. Leider.

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    Seca-Alta-Waage - Wolfgang Schmidbauer

    Der Münchner Psychoanalytiker und Therapeut ist Autor zahlreicher Sachbücher.

    Während einer Jemenreise hatte eine Tochter die Wohnung gehütet und – gegenwärtig mit Abnehmen beschäftigt – eine elektronische Körperwaage in unserem Badezimmer zurückgelassen. Ich ärgerte mich schon lange über Rettungsringe, hatte aber nie versucht abzunehmen. Jetzt, verlockt durch das Flimmerding, das grammgenau anzuzeigen versprach, probierte ich sie aus. Ich stellte fest, dass sich mein angesichts der mehr auf Überleben als auf Lustgewinn abgestellten jemenitischen Küche fast normal gewordenes Gewicht wieder in den vertrauten, um einige Kilo zu hohen Bereich bewegte. Ich beschloss, mein Idealgewicht zu erreichen. Die elektronische Waage war anfangs ein nützlicher Helfer, denn sie zeigte Tugend und Sünde sofort. Sie meldete, dass eine längere Radfahrt und ein sparsames Abendessen ein Minus von fünfhundert Gramm ergeben, ein Schweinebraten mit Bier das Gleiche in Plus. Aber dann spielte sie plötzlich verrückt. Sie zeigte mal zwei Kilo zu viel, mal dreißig zu wenig. Im Manu­factum-Katalog gab es eine mechanische Waage mit Schiebegewichten. Ein großer Gewinn an Lesbarkeit und Stabilität, aber ein schwerer Verlust für den Geldbeutel. Also zügelte ich meine Sehnsucht nach der »Seca Alta«. Doch dann begegnete mir eine auf dem Flohmarkt am Ostbahnhof, ein wenig verkratzt, kein innerer Rost. An der Schraube für die Feinregulierung hing eine Petroleumlampe, auf der Standfläche lag ein Stapel zerlesener Playboy-Hefte. Ich räumte die Waa-ge ab, probierte sie aus, sie schien genau zu sein und wirkte vertrauenerweckend stabil. Sie trägt sogar eine kleine Wasserwaage für den ebenen Stand. Ich habe sie quer durch die Stadt mit dem Fahrrad nach Hause gebracht, auf dem Gepäckträger, durch den Regenmantel notdürftig gepolstert. Sie kostete vierzig Euro und erfreut mich seither jeden Tag durch ihre klare Aussage, auch wenn deren Inhalt nicht immer erfreulich ist.

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    Wandkonsole - Ingo Maurer

    Mit Licht ist der 83-Jährige weltberühmt geworden - als bedeutendster Leuchtendesigner seiner Zunft. Er lebt und arbeitet in München.

    Mein derzeitiges Lieblingsobjekt ist »Spike« des Münchner Designers Konstantin Grcic. Die Idee ist simpel, sympathisch und sehr überzeugend, man braucht keine Gebrauchs-anweisung dazu: Eine Schraubklemme in Buchform hält eine Ablage-fläche aus wahlweise Holz, Kunststoff oder Marmor. Ich hab’s erst vor Kurzem entdeckt und werde mir eins davon neben meinem Bett an der Wand anbringen. Ich mag das Regal, weil es lebensnah und praktisch ist. Vor allem aber, weil es so wenig Design hat. Zu viel Design wirkt oft gequält. Grcics Produkte sind jenseits von Design, das macht ihn so stark. Seine Ideen sind nie Gimmicks oder oberflächliches Styling. Manche sind sogar ein Angriff auf die Komfortzone: Einmal hatte ich für einen Vortrag 120 Exemplare seines preisgekrönten »Chair One« geliehen, eines Stuhls mit einer Sitzfläche aus geometrischen Aluminiumstreben. Ein toller Stuhl, aber man kann nicht sagen, dass er arschfreundlich ist.

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    Eames-Liege - Albert Ostermaier

    Der Münchner Schriftsteller schreibt Romane, Gedichte und Theaterstücke. Das Marstall-Theater in München zeigt seit zwei Jahren Ostermaiers »Madame Bovary«.

    »Denn wie man sich bettet, so liegt man«, heißt es in Brechts Mahagonny-Oper. Und unbequemer als auf meiner Eames-Liege »La Chaise« könnte man mit meiner Körpergröße kaum liegen. »Floating Figure« hieß die Skulptur, von der sich Charles und Ray Eames dafür inspirieren ließen, aber das Einzige, was die Liege ins Fließen bringt, sind Schmerzwellen vom Halswirbel bis in die sich verkrampfenden Unterschenkel. Alles ist im Fluss, nur meine Figur nicht, sie mag sich nicht anpassen an und in die formvollendete Fließbewegung. Ich habe immer quer in der Liege gesessen, was zwar eine Möglichkeit, aber nicht der Sinn sein kann. Eigentlich sagt mir diese Liege jeden Morgen: »Bleib stehen, versuch es erst gar nicht! Du wirst nicht mehr hochkommen, du kennst das doch längst. Du wirst gefangen wie ein Käfer auf dem Rücken sein und deiner Verwandlung zurück in einen biegsamen Menschen harren. Geh einfach zu deinem Schreibtisch um die Ecke und lass mich Liege so liegen bleiben ohne dich und in Ruhe weiter in Schönheit sterben wie ein Kuss in der Luft. Du bist hier wirklich ganz überflüssig. Die allzu hart sind, brechen, das weißt du, schon vor dem großen Streit.«

    Ich könnte es mit einem Kissen versuchen oder einem Bildband über Mohammed Ali unter den Waden, die Beine im Nichts zwischen Boden und Fiberglas baumeln lassen. Aber lieber Wadenbruch als Stilbruch. Überhaupt Fiberglas. Allein wegen dieses Wortes liebe ich diese Liege schon, die mich nie zur Ruhe kommen lässt, sondern fieberhaft fantasieren, wie ich je auf ihr liegen könnte. Sie bleibt einfach die Unberührbare und zeigt mir ihr Geheimnis. Vielleicht liegt in ihr die Architektur eines Romans, den ich noch schreiben muss. Sie steht unter einem meiner inspirierendsten Bilder, einer Fotografie von Stefan Hunstein, das ebenso rätselhaft wie die Liege ist und eine Panik nach einem Aufstand, einer Explosion zeigt. Man könnte diese Liege sicher auch im Straßenkampf einsetzen und sich hinter ihr verbarrikadieren und durch das Loch schießen oder Steine schleudern. Vielleicht kann man mit ihr auch durch die Zeit und sicher in die Zukunft reisen. Aber sich so in den Raum zu krümmen, würde mir sicherlich nicht einmal nach hundert Jahren Yoga gelingen. Wahrscheinlich ist die Liege eines Morgens nicht mehr da, und auf dem Bild fehlt jener junge Mann, der sich mit ihr aus dem Staub gemacht hat. Denn wie singen sie in Mahagonny? »Das Größte auf Erden ist Liebe / Und an morgen denkt man da nicht.«

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    Giacometti-Print - Sir Paul Smith

    Der Modedesigner und Unternehmer (Markenzeichen: buntes Streifenmuster) wurde 2000 von Prince Charles zum Ritter geschlagen.

    Ich sage immer: Man kann in allen Dingen Inspiration finden, und wenn nicht, hat man vielleicht nicht genau hingeschaut. In meinem Studio gibt es ein Treppenhaus, das vollbehängt ist mit Bildern vom Boden bis zur Decke. Da hängen Briefe von Fans neben Fotografien von Bruce Weber, Flohmarkt-Fundstücken oder zum Beispiel einer Zeichnung von Alberto Giacometti. All diese Dinge bedeuten mir viel, Giacometti aber nimmt einen Sonderplatz ein, da bin ich Fan. Ich bewundere ihn für seine Kunst, seinen Lebensstil, seinen Look als Teil dieses Pariser Künstlerzirkels, der im »Café de Flore« Hof hielt. Ich habe das Glück, einen Print einer Zeichnung zu besitzen, die er von seinem Bruder Diego angefertigt hatte. Sie sieht fast aus wie eine Bleistiftversion seiner typischen feingliedrigen, schmalen Skulpturen.

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    Colaflasche - Doris Dörrie

    Die deutsche Regisseurin und Schriftstellerin wurde mit Filmen wie »Männer« und »Kirschblüten - Hanami« bekannt. Zuletzt drehte sie mit »Grüße aus Fukushima« ein Drama über die Folgen der Nuklearkatastrophe in Japan.

    Ich war mit meinen Filmstudenten auf einer Exkursion in Ägypten. Im Juni, weil es billiger war. Es hatte fast fünfzig Grad, deshalb waren wir an allen Sehenswürdigkeiten allein, selbst im Tal der Könige. Dort habe ich diese Coca-Cola-Flasche aus einem Abfallkorb gefischt. Mein Andenken an das alte Ägypten, denn ich habe mich gefragt, ob das nicht schon fast ein archäologischer Fund ist. Diese Form der Cola-flasche gibt es bei uns schon ewig nicht mehr. Und wie schön und weiblich sie ist! Wie gut sie in der Hand liegt! Wie gut man seine Wange an ihr kühlen kann! Und wie schön eine Blume in ihr aussieht! Das Getränk selbst habe ich allerdings noch nie gemocht, außer als Medizin bei einem verdorbenen Magen.

    Fotos: Karcher AG, Andres Valbuena, Martin Parr/Magnun Photos/Agentur Focus, Caroline Rosales, Roger Ballen, Frank Bauer, Artcurial/Ingo Maurer GmbH München