Die Gewissensfrage

»Meine Freundin ist niedergelassene Ärztin in einem kleinen Ort in der Nähe von München. Nun würde sie gern ihre Erlebnisse mit den Patienten literarisch verwerten. Wir haben darüber diskutiert und unsere Frage lautet daher: Ist dies unter rechtlichen Aspekten überhaupt möglich, und wenn ja, welches Maß der Anonymisierung ist erforderlich? Hätten Sie allgemeine oder sich aus Sicht des Arztes ergebende moralische Bedenken?« BERND B., MÜNCHEN

Sie kennen sicherlich den Film »Notting Hill«, in dem Hugh Grant einen Buchhändler spielt, der eine Affäre mit einem Filmstar hat, gespielt von Julia Roberts. Was hat das mit Ihrem Problem zu tun? Das Leben des Buchhändlers wird im Zuge dieser Affäre plötzlich öffentlich, er findet sich selbst im Fernsehen wieder. Ähnlich könnten sich auch die Patienten Ihrer Freundin so vorkommen, sie finden zwar nicht sich selbst, aber ihre Geschichte in einem Buch wieder (und falls es ein Bestseller und verfilmt wird, womöglich auch im Fernsehen). Nur, das ist der große Unterschied: Wer etwas mit einem Star anfängt, muss wissen, worauf er sich einlässt; nicht aber, wer zum Arzt geht. Im Gegenteil, der darf erwarten, dass alles, was er dem Arzt sagt, vertraulich bleibt. »Nur so kann«, wie das Bundesverfassungsgericht sagte, »zwischen Arzt und Patient jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt…« Der eine mag stolz darauf sein, dass seine Geschichte in einem Buch erscheint, dem anderen ist es unangenehm. Auf alle Fälle muss verhindert werden, dass Patienten sich beim Arzt nicht mehr frei äußern, weil sie fürchten, als Romanvorlage zu enden.
Rein rechtlich gesehen reicht es aus, die Patienten so weit zu anonymisieren, dass sie kein Fremder mehr erkennt. In einer Kleinstadt nicht ganz einfach, weil schon der Beruf oder auch nur eine Marotte manchen identifizierbar machen. Für das Arzt-Patienten-Verhältnis aber würde ich noch weiter gehen: Auch der Patient selbst, der sich vielleicht als Einziger wiedererkennt, darf nicht das Gefühl bekommen, zu etwas verwendet, missbraucht worden zu sein. Ich sehe zwei Lösungsmöglichkeiten: Entweder die Patienten werden um Erlaubnis gefragt oder deren Geschichten so weit verfremdet, dass sich niemand mehr bloßgestellt fühlen kann. Wie das genau gehen soll? Nun ja, auch das Schreiben ist eine Kunst.