Geht es hier darum, sich den Geliebten so zu formen, wie man ihn haben möchte? Oder ist es ein legitimer Wunsch, ihn nicht verlieren zu wollen? Führt dies zu einer Pflicht des Geliebten, sich als Liebesobjekt zu erhalten? Verliert er dadurch, dass er geliebt wird, das Recht, sich so zu verhalten, wie er selbst es möchte? Und ist es dann umgekehrt nicht höchst egoistisch, die eigene Sehnsucht nach dem anderen über dessen Lebensglück zu stellen?
Die Philosophin Hannah Arendt setzte sich 1929 in ihrer Dissertation Der Liebesbegriff bei Augustin mit den Aussagen des Kirchenlehrers und gleichzeitig vor dem Hintergrund ihres Verhältnisses mit Martin Heidegger existenzialistisch mit der Liebe auseinander. Arendt zufolge stellt bei Augustinus die Liebe den Wunsch dar, etwas rein um seiner selbst willen zu begehren. Jedoch wandle sich dieses Begehren, der appetitus habendi, sowie man das Objekt der Begierde hat, um in metus amittendi, Furcht, das Geliebte zu verlieren, die Furcht vor dem Tod. Da sowohl dieses Begehren als auch die Furcht in die Zukunft gerichtet seien, verliere die Gegenwart die Ruhe und Möglichkeit des Genusses. Deshalb sei das Loslassen-Können – das iamittere posse – die eigentliche Bestimmung des Liebens.
Dies spräche gegen Ihr Ansinnen. Allerdings darf man nicht übersehen, dass beide eine spezifische Sichtweise haben: Augustinus eine jenseitsbezogene, Hannah Arendt eine existenzialistische. Zieht man zudem in Betracht, dass diese Idee der Liebe einen sehr hohen, womöglich zu hohen Anspruch darstellt, bleibt die Furcht zu verlieren als wenn schon nicht idealer, so doch natürlicher Teil irdischer Liebe. Wer etwa könnte ruhigen Herzens zusehen, wie der Geliebte sich vergnügt aufmacht zum Jahrestreffen des Clubs der blinden Messerwerfer? Auf der anderen Seite kann die Sorge den Partner auch ersticken, ihn vereinnahmen und am Ende wirklich zum reinen Objekt der Liebe machen. Die Liebe wird dann, wie Hannah Arendt schreibt, »ausschließlich negativ bestimmt: zu lieben ist nur noch das metu carere«, das Vermeiden der Furcht. Für ein gedeihliches Miteinander muss man dieser Furcht deshalb Grenzen setzen. Sonst wäre jeder Liierte verpflichtet, sofort das Rauchen und Trinken aufzugeben, sich makrobiotisch schadstofffrei zu ernähren und jeden Hauch einer Gefahr zu meiden, nur um sich möglichst lang am Leben zu erhalten; ganz gleich, ob ihm dieses Leben dann gefällt. Doch unterm Strich scheint der – im Grunde tatsächlich egoistische – Wunsch, den Partner lebend in den Armen zu halten, für uns Sterbliche so nachvollziehbar, dass man kleinere Einschränkungen der Freiheit, wie zum Beispiel eine Vorsorge-Untersuchung beim Arzt, dafür wohl hinnehmen muss. Es heißt schließlich nicht umsonst: zu-liebe.Illustration: Jens Bonnke
Illustration: Jens Bonnke