Alle paar Monate treffe ich mich nach der Arbeit mit einer Kollegin in einer Weinbar. Vorige Woche stand ich mal wieder vor diesem Lokal und sah statt seiner ein schwarz verklebtes Schaufenster mit der Aufschrift: »Bist du bereit? Die Hackpiraten kommen!« Oder waren es Hackhelden, Hackbarone, Hackmatrosen, Hackmeier, eine Hackgasse, ein Hackbahnhof? Ich weiß es nicht mehr. Und nein, ich bin nicht bereit. Dies ist in meinem kleinen Stadtteil in drei Jahren der zehnte Burgerladen. Es reicht mir mit dem Hack-Kack.
Früher gab es in jeder größeren Stadt ein oder zwei Lokale, in denen man Hamburger verzehren konnte. Die Lokale sahen alle aus, als hätten sie im selben Fifties-Nostalgie-Großhandel die Cola-Blechschilder und Elvis-Marilyn-James-Dean-Devotionalien erworben, die Burger schmeckten ein bisschen langweilig, alle zwei bis drei Jahre ging man da aus Versehen hin, und gut. Heute wird insbesondere in den von Großeltern und Immobilienmaklern so genannten Szenevierteln jedes wirtschaftlich schwächelnde Normallokal durch eine Burgerbraterei ersetzt. Die Lokale haben Namen, die nach folgenden Mechanismen funktionieren: Entweder kombinieren sie einen Männernamen mit ihrem Daseinsgrund, also etwa Dulf’s Burger, Otto’s Burger oder Ruff’s Burger. Oder sie betonen das handwerklich Fachmännische, das man offenbar braucht, um gebratenes Hack zwischen zwei Brötchenhälften zu klemmen: Hamburgerei, Burger Lab und so. Oder, dritte Variante, sie spielen mit den Worten. Burgermeister, Peter Pane – in dieser Hinsicht sind Burger-Läden die neuen Friseure (ich warte auf Burgersprechstunde, Burgerliches Gesetzbuch und Hamburger-Mannheimer).
Die Burger-Läden sehen immer noch alle gleich aus, aber anders als früher: Heute kommt die Einrichtung überall aus dem neuen Nostalgie-Großhandel, der auf Nachbauten von Fabriklampen, Werkbänken, Schulstühlen, Blechdosen fürs Besteck und vor allem auf Klemmbretter spezialisiert ist – wenn die Speisekarte nicht sinnlos auf ein Brett geklemmt ist, ist es keine authentische Burger-Erfahrung 2017. Und zu dieser Erfahrung gehört, dass die Burger überhöht und als Gourmetessen präsentiert werden.
Früher, als sie und ihre Läden noch nicht das Stadtbild dominierten, mochte ich Burger ganz gern. Burger waren gut, weil sie eine Ausnahme waren, eine bewusste Grenzüberschreitung, Unvernunft. Hack im Brötchen mit Pommes und süßen Saucen: Wenn man das aß, konnte man der Selbstachtung, den Blutwerten und dem ganzen Vernünftigsein für zehn bis zwölf Bissen den ketchupverschmierten Mittelfinger zeigen, das konnte sehr befreiend sein. Ich vermute, dies war auch der Motor für die Verburgerlichung der westlichen Welt. Die ersten High-End-Burger-Läden fielen mir Anfang, Mitte der Nullerjahre in den USA auf, bei Besuchen in New York und San Francisco, als die Hipsterwelle den Namen noch nicht hatte, aber schon vereinzelt Bärte auftauchten und man überall begann, sich auf das handwerklich sorgfältig Hergestellte zu besinnen.
Im Zuge dessen wurden allerhand einfache und altmodische Dinge neu erfunden, von Essiggurken über Mayonnaise, Bier und Limonaden bis eben zum Burger. Es entsteht eine reizvolle Dissonanz, wenn einem ein schuldbesetztes, trashiges Fastfood plötzlich mit karamellisiertem Bacon präsentiert wird, mit Blauschimmelkäse, Zwiebelconfit, getrockneten Tomaten, Trüffelmayo oder allem zugleich. Es macht Freude, eine alte Ich-ess-im-Gehen-Mahlzeit als Delikatesse mit saisonalen Zutaten zu zelebrieren. Aber Freude machte es eben nur, solange das die Ausnahme war; nicht mehr, seit Hack aus allen Gastro-Nischen quillt. Auf unangenehme Weise führt diese Vermassung den Burger-Trend ad absurdum: Ursprünglich ging es darum, ein Massenessen besonders zu machen, jetzt ist das besonders gemachte Massenessen selbst Massenphänomen.
Und das ist längst nicht alles, was gegen die neue Hackordnung spricht. Erst mal ist da natürlich das stärkste Argument: Rindfleisch ist eines der umweltschädlichsten Lebensmittel, für kaum etwas anderes werden so große Flächen, so viele Ressourcen und so wichtige Bestandteile der Erdatmosphäre vernichtet wie für den Spaß daran, an jeder Ecke einen Gourmetburger zu essen. Noch unmittelbarer ärgert mich aber der kindische Widerspruch daran. Damit meine ich Folgendes: Buletten und Hackbraten, das sind Erwachsenenessen. Die macht aber niemand (warum eigentlich nicht?). Burger dagegen sind ein Kinderessen: Leicht voneinander zu unterscheidende Zutaten, zusammengesetzt wie Bausteine, alles ist entweder sehr süß oder sehr salzig, und man darf mit den Fingern essen.
Der Burgerwahn spiegelt das Bedürfnis, Kind bleiben zu dürfen – aber wehe, man hat wirklich einfach nur eine kindliche Freude an den Burgern. Nein, in diesen Burger-Läden diskutieren gut verdienende Vierzigjährige so kennerhaft wie ernsthaft darüber, ob das Briochebrötchen als Hackfleischtransportsystem ideal oder dafür viel zu brüchig ist. Distinktion mit Ketchup – sofern man in der Lage ist, gleichzeitig zu reden, gegen das Auseinanderfallen des Burgers zu kämpfen und diesen auch noch zu verzehren. Zugleich sind die Burger jedoch unernst, ein ironisches Essen, gemeint als kulturelle Anspielung auf den Trash der eigenen Kindheit. Das ist mir zu hoch. Und zu hochnäsig.
Leider wird es nicht so schnell aufhören. In den USA sind seit ein paar Jahren die Sliders aktuell. Das sind kleinere Burger, etwa halb oder ein Drittel so groß wie normale, und man bestellt gleich mehrere davon. Sie sind noch verführerischer, weil sie noch kindischer sind. Sie sehen aus, als hätte sie jemand für seine Stofftiere zubereitet, und wenn man sie in der Hand hat, fühlt man sich wie ein großer, glücklicher Riese aus dem Märchen, dem beim Essen der Fleischsaft übers Kinn läuft. Ich bin mir sicher, sie werden auch bei uns ein Riesenerfolg.
Illustration: Jens Roth