SZ-Magazin: Frau Schweins, wenn man »Vegetarier« und »prominent« googelt, kommt man schnell auf Sie.
Esther Schweins: Ach, lustig, denn seit den Kindern bin ich On-and-off-Vegetarierin.
Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer, der das Buch Tiere essen geschrieben hat, hörte auf, Fleisch zu essen, als sein Sohn geboren wurde. Weil er mehr Verantwortung tragen wollte.
Oh, das schlechte Gewissen, ich spüre schon, wie es von mir Besitz ergreift, wenn Sie so reden. Aber mir hat ausgerechnet der Arzt meines Vertrauens, der chinesische Medizin praktiziert, in der Schwangerschaft zu Fleisch geraten. Weil es darin bestimmte Eiweißformen geben soll, die der Körper nicht anders bekommen kann. Ich habe zwar immer das Gegenteil gelesen, aber weil ich dem Mann so vertraue, so ein dürrer Hering bin und die ersten drei Monate sowieso nichts zu mir nehmen konnte, habe ich dann rotes Fleisch gegessen.
War das kein blutiger Schock für Ihren Körper?
Das habe ich gut vertragen. Ich habe es sogar mit großem Appetit gegessen, so kannte ich mich selbst gar nicht. Mein Mann war auch verwundert, weil er mich bis dahin nur als Vegetarierin erlebt hatte.
Dann haben Sie es wohl gebraucht, würde die Fleischlobby schlussfolgern. Und nun sind Sie bekehrt und geben Ihren Kindern Fleisch?
Nein. Ich möchte nur nicht die böse Mama sein. Meine Kinder gehen zu den Nachbarn und bekommen leckere gegrillte Würstchen. Und ich kann ihnen nicht erklären, was daran schlecht sein soll, sie sind viel zu klein. Und es schmeckt ihnen so gut. Ihre Kinder müssten, wenn Sie streng wären, gar nicht wissen, wie gut Würstchen schmecken. Ich weiß nicht, wie man so etwas gegen den Rest der Welt durchzieht. Ich habe für mich selbst eher eine gegenteilige Entwicklung gemacht: Als ich jung und rebellisch war, habe ich Fleisch verweigert, und wenn ich eingeladen war, meinen Vegetarismus hochgehalten. Heute würde ich bei einer Einladung kein Essen mehr ablehnen. Weil es unhöflich ist und man sich selbst zu wichtig nimmt.
Safran Foer denkt auch über solche Situationen nach, er kommt aber zu einem anderen Schluss: Er stellt die Frage, ob man ein sozial verträglicher oder ein sozial verantwortlicher Mensch sein möchte.
Ich entwickle da eher eine Altersmilde. Jeder soll es so halten, wie er es halten möchte. Ich möchte nicht mehr missionieren.
Allesesser erzeugen siebenmal so viel Treibhausgase wie Veganer. Schlägt da nicht Ihr schlechtes Gewissen ein bisschen?
Daran sieht man immerhin, dass jeder Mensch etwas ausrichten kann. Vielleicht sollte man eine Fleischessersteuer einführen.
Wie kam es eigentlich mal zu Ihrem Verzicht auf Fleisch?
Ich bin im Bahnhofsviertel von Viernheim bei Mannheim aufgewachsen. All unsere Nachbarn waren Türken, also habe ich mit denen gespielt. Und es gab immer einen Hammel.
Einen Hammel? So schön am Spieß?
Einen lebenden Hammel. Der stand auf einem Stückchen Wiese hinter dem Gebäude. Irgendwann habe ich gemerkt, dass der Hammel kleiner war als vorher. Das konnte ja nicht sein. Außerdem gab es einen großen Döner. Da wurde mir der Zusammenhang klar.
Waren Sie erschrocken?
Schon, ja. Es war nicht mehr dasselbe Tier. Und wir waren ja dauernd da gewesen und hatten den Hammel gestreichelt. Aber dann kam es noch schlimmer. Eines Tages im Hochsommer, bei ungefähr 36 Grad, blieb ein Lastwagen bei uns in der Straße liegen, der war voll mit Lämmchen. Er stand den ganzen Tag und die halbe Nacht da, und die Lämmchen schrien so jämmerlich. Wir konnten nichts tun. Wir kamen nicht an den Lastwagen ran. Und uns wurde bewusst, dass die Lämmchen auf dem Weg zum Schlachthof waren. Da habe ich verstanden: Das, was ich da esse, erzeugt Leid. Und von da an gab es Diskussionen in der Familie.
Hieß es bei Ihnen zu Hause noch: Fleisch muss sein?
Ja. Fleisch war überall drin. Speck in Eintöpfen. Suppeneinlage. Wurst. Ich habe weiter Fleisch gegessen, aber nicht richtig gern.
Keine Ausnahme?
Doch. Die Buletten meiner Mutter. Jedenfalls: Als ich ausgezogen bin, habe ich das Fleisch vom Speiseplan gestrichen, sang- und klanglos. Das war auch billiger.
Sie haben nicht mal auf ein schönes Steak gespart?
Nein. Wenn, dann wäre ich bei den Buletten schwach geworden. Mit Mitte 20 hatte ich dann einen sehr idealistischen Freund, der mich zur Rohkost gebracht hat. Das habe ich eineinhalb Jahre gemacht – und wäre fast verhungert. Ich konnte nicht mehr.
Hatten Sie nicht eine unglaubliche Energie?
Ich war zu dünn dafür. Statt energiegeladen wurde ich überempfindlich. Alles war so laut. Ich konnte kaum mehr als eine Person um mich herum aushalten. Ich habe dann herausgefunden, dass ich warmes Essen brauche.
Manche Organismen kommen mit kaltem Essen nicht zurecht, das hat schon Hildegard von Bingen gesagt.
Das habe ich dann auch gehört. Nur Salat und Obst, das funktioniert bei mir nicht.
Was ist mit Fisch?
Ich mag Fisch nicht sehr. Und Muscheln oder Hummer gehen gar nicht.
Weil Schalentiere schon in der Bibel als unrein gelten?
Das wusste ich gar nicht. Es ist immer eine rein instinktive Ablehnung von mir gewesen. Ich esse vor allem ayurvedisch, und da steht Hummer auf der schwarzen Liste: zu viel Eiweiß.
Sind Vegetarier die besseren Menschen?
Haben Sie sich, auch ohne den idealistischen Freund, denn bewusst und gesund ernährt?
Ich habe lange Jahre einfach nur kein Fleisch gegessen. Sondern Nudeln, Brot, Kartoffeln, was man halt so isst, wenn man nicht viel Geld hat. Erst viel später kam ich darauf, dass man sich gesund ernähren kann.
Wer hat Sie darauf gebracht?
Ich erinnerte mich wieder an die Weisheiten meiner Großmutter. Sie kannte jedes Kraut, das im Garten wuchs. Wir sind mit ihr hinter dem Bauern und seinem Pflug übers Feld gelaufen und haben gesammelt, was er nicht wollte. Meine Großmutter hat immer schon Rauke in den Salat getan, die später schick als Rucola wiederkam. Und Schwarzwurzeln gekocht. Es gab nur selbst gemachte Suppe, nichts aus der Tüte. Sie hat uns beigebracht, dass Spinat nicht in Blöcken kommt, sondern aus Blättern besteht. Das ist es, was mir bei meinen Kindern wichtig ist: Sie sollen keine Fertiggerichte essen, kein Kartoffelpüree aus der Tüte, sich gar nicht erst an Geschmacksverstärker gewöhnen. Das Essen wird selbst gemacht.
Als Sie sich gesund und vegetarisch ernährten: Konnten Sie, körperlich und geistig, einen Unterschied spüren?
Absolut. Da kam Energie. Man kann ja sein Wesen fast verändern durch Ernährung. Das kann ich jetzt eigentlich noch besser beurteilen, weil ich manchmal wieder Fleisch esse. Ohne Fleisch, mit viel Gemüse, kann ich nicht nur Bäume ausreißen, fühle mich leichter, beweglicher, meine Haut ist nicht so trocken, ich bin auch noch friedlicher, ausgeglichener und: begeisterungsfähiger.
Man wird also quasi ein besserer Mensch?
Vielleicht. Es fühlt sich so an. Man kann ja nichts dafür, es ereignet sich einfach. In Zeiten, in denen ich vegetarisch lebe, kaufe ich wie von allein gesund ein, habe nur Obst im Körbchen. Ich habe richtig Appetit auf Frisches, und es stellt mich vollkommen zufrieden. Wenn ich morgens Obst mit geschroteten, angerösteten Körnern oder Dhal, ein indisches Linsengericht, esse, gehe ich glücklich und mit Schwung in den Tag.
Und wenn Sie die verbotenen Dinge essen? Fleisch, Weißbrot?
Wenn ich Fleisch esse, zieht das alle anderen Laster dieser Welt nach sich. Plötzlich habe ich Schokolade in meinem Einkaufskorb, trinke Wein zum Essen, rauche danach, brauche einen Schnaps. Und Kaffee. Kaffee trinke ich sonst auch so gut wie nicht. Aber plötzlich hat man auf all diese Dinge Lust. Wie jetzt: Milchkaffee.
Ist es nicht seltsam, dass Sie nicht total konsequent sind? So positiv, wie Sie die Auswirkungen des Vegetarismus beschreiben.
Ja, oder? Und doch ist es nicht das gute Gefühl, sondern immer das Bewusstsein, dass ich das Leid der Tiere nicht verantworten möchte, das mich dazu zwingt, wieder Vegetarierin zu sein. Weil ich nicht behaupten darf, ein zivilisiertes und kultiviertes Wesen zu sein, wenn ich Fleisch in mich reinschiebe.
Aber Sie tun es doch immer wieder. Wie passt dies radikale Denken zu Ihrer nicht so konsequenten Haltung?
Ich bin auch nur ein Mensch. Und mache die Schotten manchmal dicht.
Sind Sie nicht willensstark?
Nein. Ich habe vielleicht einen ganz guten Sportsgeist. Und ich glaube, dass ein Mensch über 40 ein konfliktbehafteter Organismus ist. Ich esse zehn Würstchen, aber beim elften weiß ich: Jetzt ist Schluss. Dann nutze ich die Energie des schlechten Gewissens und schalte um. Es braucht hundert Tage Wiederholung, um mit einer Gewohnheit zu brechen, wussten Sie das? Um etwas, was einem eingefleischt ist …
… das ist jetzt aber ein interessanter Ausdruck in dem Zusammenhang.
Ja, warum fällt mir das Wort gerade ein? Ich wäre wohl gern ein eingefleischter Vegetarier.
Wie ist es bei Ihrem Mann? Ist er, wie viele Männer, ein eingefleischter Fleischesser?
Wenn man ihm kein Fleisch vorsetzt, vermisst er es nicht. Er hat nämlich auch seine Kindheitserinnerungen. Auf dieser Finca hier wurden früher Schweine gezüchtet. Und Schafe natürlich, die haben alle hier auf Mallorca, sonst würde gar nichts wachsen, denn die Schafe düngen. Es wurden hier also immer Tiere geschlachtet, und zwar auf dem Küchentisch. Als Junge musste man dabei sein. Mein Mann fand das schlimm und hat sich als kleiner Junge geschworen, dass das nicht mehr passieren würde, wenn er etwas zu sagen hätte. An dem Tag, an dem er die Finca übernahm, kamen die Schweine weg.
Und die Schafe laufen nun frei herum und leben ewig?
Das hätte er gern. Es ist ein ziemlicher Konflikt zwischen uns. Er muss die kleinen Hammel einmal im Jahr schlachten lassen. Wir streiten uns gern und inständig darüber, weil ich finde, dass die Lämmer es verdient haben, hier geschlachtet zu werden. Aber mein Mann kann das nicht.
Was baut Ihr Mann an?
Mandeln, Oliven und Johannisbrotschoten, für Schokolade. Alles streng bio. Aber damit kann man nicht genug verdienen. Das sind zwar 60 Stunden Arbeit in der Woche für viele Leute, aber der Betrieb trägt sich so gerade. Es ist Liebhaberei, die Menschheit ist noch nicht so weit. Manchmal frage ich mich, wie die Wesen, die die Erde in 500 Jahren bevölkern, auf uns zurückblicken werden. Sie werden denken, dass wir Wilde waren, Barbaren. Sie werden sagen: Die haben die Kuh noch gegessen!
Wenn es dann noch jemanden auf der Erde geben soll, müssen die Menschen aufgehört haben, Kühe zu essen.
Ja, dann muss es ein Erwachen gegeben haben. Vielleicht genügt es, wenn die Menschen einmal in der Woche Fleisch essen. Sehr teures Fleisch, von Tieren, die ein gutes Leben hatten und einen anständigen Tod.
Ist die Welt heute eigentlich auf Vegetarier eingestellt, oder ist es immer noch mühsam?
Wenn man sich als Beilagenesser sieht, tut man sich leichter.
Ihre Lieblingsbeilage?
Chicorée. Ich liebe Chicorée, gekocht, gebraten, als Salat. Besonders selbst angebaut.
Haben Sie Chicorée im eigenen Gemüsegarten?
Es läuft nicht gut mit meinem Gemüsegarten. Schnecken. Haben Sie Erfahrung mit Schnecken? Man muss die zerschneiden … das kann ich nicht. Tiere fürs Gemüse töten – wie paradox!
Foto: Alexandra Kinga Fekete