Flugbegleiterin Cora Haarmeyer, 37, vor ihrem Arbeitsplatz, einem Airbus 319 der britischen Billigfluglinie Easyjet.
SZ-Magazin: Frau Haarmeyer, sind Sie froh, dass die Sommerferien vorbei sind?
Cora Haarmeyer: Ja. Billigflieger wie die unseren sind zwar immer knallvoll, aber nach den Sommerferien fliegen weniger Kinder mit, die uns das halbe Flugzeug zerlegen und mit Essen herumwerfen.
Wie lange arbeiten Sie schon als Stewardess?
Wir sagen heute Flugbegleiterin, Stewardess ist eine etwas altertümliche Bezeichnung. Ich fing 1987 bei der Pan Am an. Danach bin ich zur Deutschen BA, zu Air Berlin und schließlich zu Easyjet. War früher alles besser, auch beim Fliegen?
Im Gegenteil. Die Zeiten von Pan Am werden inzwischen verklärt. Die Pan-Am-Flugzeuge waren oft verspätet, das Personal schlecht gelaunt. Es gab Flugbegleiterinnen, die mit sechzig Jahren in der First Class zitternd mit ihrem Tablett herumgelaufen sind: pampige alte Tanten mit Perlohrringen. Und denken Sie an die Entführungen, Abstürze, Anschläge wie den von Lockerbie.
Haben Sie selbst auch kritische Situationen erlebt?
Bei meinem ersten Flug gab es einen Triebwerksbrand. Da hörte ich den »Threedouble Chime«: das dreimalige Klingeln, das nichts Gutes bedeutet.
Sondern was?
Dass die Piloten dringend mit dir sprechen müssen. Zum Glück waren wir gerade in Frankfurt gelandet und die Feuerwehr stand in zehn Sekunden bereit. Die Piloten sollten durch die Fenster rausklettern, waren aber zu dick – nahezu unvorstellbar heute! Und ich erinnere mich an eine Kollegin bei Pan Am, die gleich zweimal entführt worden ist.
Wie sehr hat sich Ihr Job seit dem 11. September geändert? Von diesem Tag an mussten wir unseren Beruf neu lernen.
Haben Sie manchmal Angst vorm Fliegen?
Wir sind froh, dass es so extreme Sicherheitsvorkehrungen gibt: Wenn man sich vorstellt, mit welchem Waffenarsenal die Entführer 1977 in die Landshut reinmarschiert sind – das wäre heute unmöglich.
Was hat sich neben den Sicherheitsvorkehrungen noch verändert?
Das Gemütliche ist weg: Als ich anfing, haben sich auf den Flughäfen alle gegrüßt, die eine Uniform trugen. Und in den Neunzigerjahren sind wir bei der DBA manchmal mit nur drei Passagieren geflogen. Das gibt es heute fast nicht mehr. Heute gilt ein Flug mit 120 Personen als leer. Für uns Flugbegleiter sind außerdem noch sehr viele zusätzliche Arbeiten wie der Bordverkauf dazugekommen. Oder das Aufräumen des Flugzeugs – dafür haben wir nur zwanzig Minuten Zeit.
Sie müssen bei Easyjet das Flugzeug selbst aufräumen? Ja. Und wir wären glücklich, wenn man uns weniger Rotzfahnen in den Sitztaschen hinterlassen würde.
Welche Passagiere sind Ihnen die liebsten?
Engländer, Skandinavier, Holländer sind nett. Für Verspätungen bringen die Deutschen am wenigsten Verständnis auf: Sie ziehen uns persönlich zur Rechenschaft, schreien uns an: »Was ist hier los?!« Nur Russen sind noch schlimmer. Einmal habe ich einer Russin angeblich einen bösen Blick zugeworfen. Sie hat mich angeschrien: »Sie sind zu alt, zu hässlich und zu dick für diesen Job.«
Warum arbeiten Sie bei Easyjet? Wäre man als Flugbegleiterin nicht am liebsten bei der Lufthansa?
Das denkt man vielleicht als Fluggast. Aber wir verdienen bei Easy gut, weil wir in englischen Pfund bezahlt werden. Außerdem geht es locker zu: Viele Passagiere zahlen nur 25 Euro für ihren Flug, deswegen behandeln wir jeden gleich und müssen uns auch nicht alles gefallen lassen: Wenn zum Beispiel jemand unsere homo-sexuellen Kollegen als »Scheiß-Schwuchtel« beschimpft oder »Scheiß-Easyjet« schreit.
Was machen Sie mit so einem Passagier?
Wenn er sich nicht beruhigt, könnte es zu einem »Off Load« kommen – man könnte den Passagier des Flugzeugs verweisen.
Wie unterscheidet sich die Arbeit in einem Billigflieger oder in der Economy-Klasse von der Business Class?
In der Business geht es ruhiger zu. Obwohl ich persönlich nicht mehr in der Business arbeiten möchte: Viele Businessgäste lassen ihre gute Erziehung am Boden zurück.
Ein Beispiel, bitte.
Da sitzen die Herren mit ihren Zeitungen, den grau melierten Haaren und gucken nicht auf, wenn man mit der Kaffeekanne kommt. Sie strecken nur die Tassen aus. Ich gieße Kaffee ein. Sagt ein Mann: »Ich wollte Tee!« Ich sage: »Entschuldigung, ich dachte, Sie wollten Kaffee.« Sagt er: »Nicht denken, Mädchen!«
Und womit haben Sie in der Economy-Klasse zu kämpfen?
Wenn ich ein Buch über das Fliegen schreiben würde, hieße es »Vielflieger und Beinfreiheit« – das sind die meistgenutzten Begriffe an Bord. Der Begriff »Beinfreiheit« ist eigentlich absurd: Die Leute sitzen fünf Stunden in der Oper, im Büro, im Auto und keiner fordert Freiheit für seine Beine. Und wenn du in einem Charter den Leuten die Sicherheitsvorkehrungen erklärst, sagen sie: »Ich weiß, wie das geht, ich bin Vielflieger, ich flieg schließlich jedes Jahr nach Teneriffa!« Und was die Leute so alles aus dem Flugzeug mitnehmen: diese Plastikschalen, in denen Käse und Wurst serviert werden. Was will man damit zu Hause?
Wundern Sie sich nicht manchmal über das Verhalten von Passagieren? Sehr sogar. Schwierig wird es besonders, wenn Passagiere unterbeschäftigt sind. Dann fangen Sie an, uns oder ihre Mitreisenden zu terrorisieren. Bei Air Berlin wurden schließlich Fernseher eingebaut, damit die Leute abgelenkt sind. Haben wir leider bei Easy nicht. Letzte Woche auf dem Nizzaflug: mal wieder das Problem mit den Rückenlehnen! Zwei erwachsene Männer; macht der eine seine Lehne zurück, zieht der andere ihm eine Plastikwasserflasche über den Kopf. Wie im Kindergarten!
Wie erklären Sie sich dieses Verhalten?
Wahrscheinlich denkt jeder: Das hier ist mein Raum, für den ich bezahlt habe, den ich ausnutzen will. Die verstellbaren Lehnen sind zu einem so großen Problem geworden, dass die neuen Kurzstreckenmaschinen nur noch Sitze haben, bei denen man die Rückenlehnen nicht mehr verändern kann. Was wir Flugbegleiter begrüßen.
Aber in den Flugzeugen ist es heute auch enger als früher.
Ein bisschen, aber eng war es immer schon. Dafür ist Fliegen aber auch so günstig geworden.
So billig, dass Fluglinien wie Easy auf jeden Komfort verzichten. Bei Ihnen gibt es nicht mal fest vergebene Sitzplätze.
Die freie Platzwahl, ja, immer wieder interessant. Die Leute haben schnell begriffen, wo die besten Plätze sind: in Reihe eins, zehn und elf, die Notausgangsreihen. Womit wir wieder bei der Beinfreiheit wären! Manche Passagiere rennen schon im Stechschritt auf das Flugzeug zu. Aber dann wollen wir, die Feinde, die Bordkarten sehen! Das ist zu ihrem eigenen Nutzen, damit sie im richtigen Flieger sitzen. Aber oft haben die Leute die Bordkarten schon weggesteckt. Während sie hektisch suchen und fluchen, eilen andere Passagiere an ihnen vorbei in Richtung Reihe elf – dann ist das Grauen im Gesicht des Passagiers zu erkennen. Wenn sie es aber in Reihe elf geschafft haben, beschweren sie sich, dass sie ihre Taschen ins Gepäckfach stellen müssen. Sätze wie: »Aber bei der Lufthansa/Air France/Swissair darf ich ja auch…« höre ich hundertmal am Tag. Ich weiß natürlich, dass die Lufthansa keine Taschen am Notausgang duldet. Neulich sagt ein Mann, den ich gebeten hatte, sein Gepäck im Fach zu verstauen: »Ach, alles Quatsch!« Ich antworte: »Was würden Sie davon halten, wenn ich in Ihr Büro komme und sage, dass das alles Quatsch ist, was Sie machen?« Darauf er wieder: »Ja, aber bei der Lufthansa…«
Haben Sie einen Blick für schwierige Passagiere? Ja. Menschen mit sehr wenig Reiseerfahrung führen sich oft auf, als hätten sie ein First-Class-Ticket bei der Swiss gebucht. Man erkennt sie häufig an ihrer Kleidung: was Gemütliches, damit auch nichts zwickt. Der Typ »verarmter Adel« dagegen ist anstrengend, aber lustig: Frauen, die den Billigflieger nach Nizza mit einem Pelzmantel aus den Achtzigern betreten und sagen: »Könnten Sie mir bitte meinen Mantel aufhängen und mir ein Kissen bringen?« Da kannst du natürlich nichts anderes antworten als: »Sorry, falsche Fluglinie, Darling!«
Was sind die schönen Seiten an Ihrem Beruf? Ich liebe fast alles an diesem Beruf: die Passagiere, die Crews, mit denen du zusammenhängst, und sogar die unmöglichen Arbeitszeiten.
Lassen Sie uns über das Mysterium mit dem Tomatensaft sprechen.
Ich denke, dass viele Passagiere Tomatensaft bestellen, weil sie da nicht nur ein Getränk, sondern obendrein noch etwas zum Spielen kriegen: Stäbchen, Salz und Pfeffer. Man hat was zu tun, wie bei einer Kinderüberraschung. Für Easyjet stimmt das aber leider nicht mehr, weil wir Tomatensaft ohne Spielsachen verkaufen.
Warum klingen die Stimmen aller Kapitäne bei den Durchsagen gleich?
Jeder, der Durchsagen machen muss, gewöhnt sich diesen Singsang an.
Was ist das Schwierigste an Ihrem Job?
Unsere Uniform ist ein Albtraum: Deswegen haben schon Leute gekündigt. Dieses orangefarbene Ding aus Polyester! Diesen Monat kriegen wir aber neue, graue, elegante, mit Tüchlein. Natürlich sind unsere Arbeitszeiten schwierig: Ich habe manchmal in sechs Tagen 24 Starts und Landungen, arbeite zwölf Stunden am Stück. Weil wir aber bloß 900 Stunden im Jahr fliegen dürfen, sind wir manchmal schon nach sieben Monaten »abgeflogen«, wie wir sagen. Freundschaften, Familie, alles wird kompliziert: Du hast drei Tage Frühdienst, drei Tage Spätdienst, drei Tage frei. Und wenn du an einem Tag bis zu 500 Leute durchgeschleust hast, willst du abends deine Ruhe haben. Du bist immer häufiger mit den Leuten von der Fluglinie zusammen, die deine Sprache sprechen, lebst fast wie in einer Luftblase. Auch Beziehungen entstehen oft unter Kollegen.
Flirten Passagiere mit den Flugbegleiterinnen?
Kaum. Ich habe in meinem Arbeitsleben bis jetzt vielleicht viermal eine Telefonnummer zugesteckt bekommen.
Was ist dran an dem Gerücht, dass Flugbegleiterinnen in der Business oder First Class von Lufthansa oder Emirates arbeiten wollen, in der Hoffnung, dort einen reichen Passagier kennenzulernen?
Ich habe noch nie gehört, dass das geklappt hat. Außer bei Berti Vogts. Man lässt sich auch nicht mit Passagieren ein. Gut, stimmt nicht ganz – ich habe mich schließlich auch in einen Passagier verliebt.
War er einer von den vieren, die Ihnen ihre Nummer gegeben haben?
Nein, ich habe ihm meine gegeben: Er hatte so viele Fragen zum Fliegen, dass ich ihm am Ende einen Zettel in die Hand drückte mit meiner Nummer und dem Satz: »Falls Sie noch Fragen haben.«
Ist bei Ihnen auf dem Flug schon mal jemand gestorben?
Ja, vor vielen Jahren einmal, auf einem 16-Stunden-Flug. Ein älterer Herr, sehr blass. Ich habe gefragt, ob ein Arzt an Bord sei – von vier Flügen ist auf dreien ein Arzt dabei. Auf diesem war ein Rettungssanitäter. Wir sind in Hannover notgelandet, aber es war schon zu spät: Herzinfarkt.
Was macht man mit einem Toten im Flugzeug?
Wir haben eine Decke über ihn gelegt und seinen Sitznachbarn umgesetzt. Bei Air Berlin hatte ich mal eine Frau im Flieger, deren Mann im Urlaub gestorben war und der nun im Gepäckraum zurück- geflogen wurde. Als ich die Ansage für den Bordverkauf machte – damals konnte man noch Alkohol und Zigaretten kaufen –, erklärte ich auch, wie viel man zollfrei mitnehmen darf. Da fragte mich die Frau todernst, ob sie noch eine zweite Stange Zigaretten haben könnte – ihr Mann liege ja unten im Gepäckraum. Ich habe ihr noch eine zweite Stange gegeben. Ich wollte wirklich nicht mit ihr diskutieren, ob ihr toter Mann ein Anrecht auf Zigaretten hat. Manchmal glaube ich, so was erlebst du nur im Flugzeug.