Zwei Nächte in der Hölle

Die unglaubliche Geschichte des englischen Kriegsgefangenen Denis Avey, der sich in Auschwitz einschleuste, um der Welt davon erzählen zu können – und dann mehr als sechzig Jahre schwieg, weil er keine Worte fand für das, was er gesehen hatte.

Foto: Die Baracken und der Zaun des KZ Buna/Monowitz, in das sich Denis Avey einschlich.

Die Häftlingskapelle spielt Richard Wagner, ausgerechnet, als Denis Avey inmitten des Gefangenentrosses ins Konzentrationslager Buna/Monowitz marschiert. Am Lagereingang hängt ein toter Häftling an einem Galgen. Zur Abschreckung. Denis Avey läuft weiter und versucht, nicht aufzufallen: Er geht den gebeugten Gang der KZ-Häftlinge, er schaut zu Boden, er täuscht Hustenanfälle vor - für den Fall, dass ihn ein SS-Mann anspricht und er seinen englischen Akzent verbergen muss. Avey, der als Kriegsgefangener in einem nahen Lager interniert ist, hat mit einem KZ-Häftling Uniformen getauscht, um sich ins KZ einzuschleichen. Wenn die Deutschen das bemerken würden, es wäre wohl sein Ende.

Auf einer Freifläche im KZ müssen die Gefangenen sich aufstellen, SS-Männer zählen sie ab. Der Abendappell dauert fast zwei Stunden. Danach geht Avey mit den Häftlingen in eine der Baracken, vorbei am Frauenhaus, dem Lagerbordell, in dem vor allem polnische Zwangsprostituierte den nichtjüdischen Häftlingen zu Willen sein müssen. In der Baracke, in der Avey diese Nacht schlafen wird, stehen dreistöckige Etagenbetten, in denen die Gefangenen meist zu dritt auf einer Pritsche liegen, versetzt, Kopf an Fuß an Kopf. Einige benutzen die metallenen Suppenschüsseln als Kissen, damit niemand sie klaut.

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Denis Avey liegt in der Mitte einer Pritsche, zwischen zwei Gefangenen, und fragt, was sie wissen über die Gerüchte von Gaskammern und Krematorien, außerdem nach den Namen von SS-Leuten und Kapos - also der Häftlinge, die als Aufseher arbeiten. Als die beiden erschöpft einschlafen, bleibt Avey wach. Er versucht sich alles um ihn herum einzuprägen und er horcht auf die Geräusche der Nacht: die Verrückten, die vor sich hin reden, die Kranken, die vor Schmerzen stöhnen, und die Schlafenden, in ihren Albträumen schreiend. So erzählt Denis Aveys seine Geschichte. Natürlich wirkt fast 70 Jahre später die Vorstellung unglaublich, dass sich jemand während der NS-Zeit in ein Konzentrationslager einschleicht, sich also aus freien Stücken an einen dieser Orte des absoluten Terrors begibt. Zumal das KZ Buna/Monowitz zum Lagerkomplex von Auschwitz gehörte, dem Inbegriff des millionenfachen nationalsozialistischen Massenmordes.

Denis Avey, Foto: BBC

Heute sieht Denis Avey, mittlerweile 92, das ganz ähnlich: »Es war lächerlich, absolut lächerlich«, sagt er in einem Interview der BBC, »niemand würde glauben, dass jemand auf so einen Gedanken käme.« Tatsächlich gibt es Zweifler, die Aveys Rollentausch für höchst unwahrscheinlich halten, zumal Avey keinerlei Beweise hat. Die meisten, die sich mit seiner Geschichte befasst haben, glauben ihm jedoch, weil das, was er sagt, in sich schlüssig ist und mit dem, was man über die Konzentrationslager heute weiß, weitgehend übereinstimmt.

Obendrein hat Avey seine Geschichte nicht exklusiv einem Revolverblatt verkauft - was ihn eher in den Verdacht bringen würde, daraus Aufmerksamkeit, Ruhm und Geld ziehen zu wollen -, sondern einem BBC-Reporter erzählt, und das nur nebenbei. Eigentlich ging es um Entschädigungszahlungen für Aveys Zwangsarbeit im Kriegsgefangenenlager.

Seit die BBC aber im November 2009 über Avey berichtete, ist »der Mann, der in Auschwitz einbrach«, in England eine Berühmtheit. Er gab Interviews für Zeitungen und Fernsehsender, Gordon Brown, damals noch britischer Premierminister, überreichte ihm eine Medaille für britische Helden des Holocaust, und derzeit arbeitet Avey in seinem Haus im nordenglischen Dorf Bradwell an seiner Autobiografie, die in zehn Ländern erscheinen wird - im Mai auch in Deutschland. Deshalb darf er gerade keine Interviews geben, erklärt seine Frau Audrey am Telefon.

Avey war mit den Schrecken von Auschwitz konfrontiert, weil er als britischer Soldat in Nordafrika von den Deutschen gefangen genommen und ins Kriegsgefangenenlager E715 gebracht worden war, das sich auf dem Lagerkomplex Auschwitz befand. Er sah jeden Tag die Viehwaggons, in denen die jüdischen Gefangenen ins KZ Auschwitz-Birkenau gebracht wurden, er roch den Rauch der Krematorien und das verbrannte Fleisch; er sah, wie die SS-Leute KZ-Insassen misshandelten und neu angekommene jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn innerhalb weniger Monate bis auf die Knochen abmagerten.

Der Lagerkomplex Auschwitz bestand aus dem Stammlager Auschwitz I, in dem mindestens 70 000 Menschen ermordet wurden, Auschwitz II, dem KZ Auschwitz-Birkenau, in dem mindestens eine Million Menschen starben, und Auschwitz III, dem KZ Buna/Monowitz, in das sich Denis Avey einschlich. Dort gab es keine Gaskammern, keine Krematorien und keine Massenerschießungen. Es war ein Arbeitslager, in dem die Insassen durch Mangelernährung, schlechte Hygiene und Schwerstarbeit zu Tode gequält wurden. Mehr als 25 000 meist jüdische Gefangene starben an den Folgen.

Foto: Ein Arbeitskommando bei der Essensausgabe. Es gab fast immer Suppe mit altem, verdorbenem Gemüse. Die meisten Häftlinge und Zwangsarbeiter magerten bis auf die Knochen ab.

Die Schriftsteller Primo Levi und Elie Wiesel, später Friedensnobelpreisträger, gehören zu denen, die es überlebten. Das KZ Buna/Monowitz wurde gegründet, weil der Chemiekonzern I.G. Farben dort eine riesige Fabrik bauen wollte, in der unter anderem der synthetische Kautschuk Buna hergestellt werden sollte. Das konzerneigene KZ gilt heute als Paradebeispiel dafür, wie tief die deutsche Industrie in den Holocaust verwickelt war: Gefangene, die zu entkräftet waren, um ihre Arbeit fortzusetzen, wurden selektiert und im sieben Kilometer entfernten KZ Auschwitz-Birkenau ins Gas geschickt.

Das Kriegsgefangenenlager E715, in dem Denis Avey von Herbst 1943 bis Januar 1945 interniert war, befand sich neben der Buna-Baustelle und unweit des KZ Buna/Monowitz. Die Wehrmacht hatte das Lager eingerichtet, weil die dort internierten britischen Kriegsgefangenen auf der Baustelle Seite an Seite mit polnischen Zivilisten und KZ-Häftlingen arbeiten sollten. Die Zahl der Gefangenen in E715 schwankte in der Zeit seines Bestehens zwischen 600 und 1400. Mitte 1944 wechselte E715 den Standort und rückte dadurch so nah an das KZ Buna/Monowitz, dass die Kriegsgefangenen von da an gar nicht anders konnten als mitzuerleben, was nebenan passierte: Sie sahen durch den Zaun, wie KZ-Häftlinge misshandelt wurden, und wurden nachts von Schüssen und Schreien geweckt.

Verglichen damit war ihr eigenes Dasein erträglich, wegen der Hilfspakete des Roten Kreuzes, die ihnen als Kriegsgefangenen zustanden, waren sie nicht auf das miserable Lageressen angewiesen, sie durften sich Zigaretten schicken lassen, die sie auf dem Schwarzmarkt gegen Eier, Brot oder Kleidung eintauschen konnten, und wenn sie nicht auf der Buna-Baustelle arbeiten mussten, spielten sie Fußball und Theater, lasen Bücher aus der Lagerbibliothek oder hörten über illegale Radios Nachrichten vom Krieg. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Briten als Arier, auch deshalb behandelte die SS sie auf der Buna-Baustelle respektvoller als die KZ-Häftlinge.

Wer sich aber mit Wachen anlegte, setzte sein Leben aufs Spiel: Man weiß, dass Insassen erschossen werden konnten, wenn sie einen Befehl missachteten. Auch Avey geriet mit einem SS-Mann aneinander, als der einem jungen jüdischen Gefangenen ins Gesicht schlug. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, aber ich habe ihn beleidigt und als Untermenschen bezeichnet«, erzählt Avey in einer Rede, die er im Januar 2010 vor dem Holocaust Centre hielt, einer Gedenkstätte in der Grafschaft Nottinghamshire. Der SS-Mann schlug Avey mit seiner Pistole ins Gesicht und verletzte dabei Aveys rechtes Auge so schwer, dass es nach dem Krieg entfernt werden musste.

Obwohl es den Kriegsgefangenen und den KZ-Häftlingen untersagt war, während der Arbeit miteinander zu reden, konnte die SS eine Kontaktaufnahme nicht wirklich verhindern. Viele Briten sprachen den KZ-Insassen Mut zu, schenkten ihnen Zigaretten oder Essen oder überließen die ohnehin fast ungenießbare Suppe, die sie mittags auf der Baustelle erhielten, den »Stripeys«, wie die Briten die KZ-Häftlinge wegen ihrer gestreiften Uniformen nannten.

Auch Avey hielt sich nicht an das Kontaktverbot und sprach mit den KZ-Häftlingen über die Schläge der SS-Leute, über die Zwangsarbeit und sogar über die Gaskammern. Avey war überrascht, wie distanziert sie über den Tod im Lager redeten und über das Ungeheure, das Unvorstellbare, das nur ein paar Kilometer weiter in Auschwitz-Birkenau passierte. In seiner Rede vor dem Holocaust Centre erzählt Avey: »Manchmal habe ich gefragt: ›Wo ist denn Max oder Franz?‹ Und sie sagten: ›Oh, der ist letzte Nacht durch den Schornstein gegangen.‹«

Der Rollentausch

Einer der jüdischen Gefangenen, mit denen Avey auf der Buna-Baustelle arbeitete, hieß Ernst Lobethal und stammte aus Breslau. Er erzählte Avey von seiner Schwester Susana, die nach Großbritannien geflohen war und in Birmingham lebte. Avey schrieb seiner Mutter einen Brief, den sie an Lobethals Schwester weiterleiten sollte. Darin stand, dass Lobethal noch am Leben war und er seine Schwester bat, ihm über Denis Avey Zigaretten zu schicken. Nach vier Monaten erhielt Avey von Lobethals Schwester ein Paket mit 200 Zigaretten der Marke Player und einer Tafel Schokolade, das er Lobethal weitergab.

Ungefähr zu dieser Zeit fasste Avey den Entschluss, sich in das KZ einzuschleichen, beziehungsweise: es zu versuchen. Er wollte militärische Aufklärung betreiben, ohne Befehl von oben, auf eigene Verantwortung. Er wollte vor allem aber wissen, was im KZ passierte, und es irgendwie nach außen tragen. Avey bat Lobethal um Hilfe, aber für den Rollentausch eignete sich Lobethal nicht, weil er kleiner war als Avey. Avey entdeckte aber einen jüdischen Gefangenen aus den Niederlanden, der ihm stärker ähnelte. Der KZ-Häftling nahm das riskante Angebot an - auch weil er wusste, dass er im britischen Lager besseres Essen bekommen würde.

Wochenlang bereiteten die beiden ihren Plan vor. Avey besorgte sich ein Paar hölzerner Schuhe, wie die KZ-Häftlinge sie trugen, und bestach - unter anderem mit Lobethals Hilfe - Wachen und Gefangene mit Zigaretten. Er prägte sich die Abläufe auf der Baustelle haargenau ein: Wann war Wachablöse, welche Routen gingen die Wachen und welche Ecke blieb unbeachtet? »Befehle waren für die Nazis Befehle und hatten präzise ausgeführt zu werden«, sagt Avey zur Londoner Times, und das nutzte er für seine Sache.

Dann war es so weit: Während der Arbeit auf der Baustelle schlichen Avey und der niederländische KZ-Häftling in eine ungenutzte Baracke auf dem Gelände und tauschten Kleider. Avey zog die blau-grau gestreifte Kleidung der KZ-Häftlinge an und die Holzschuhe, er schmierte sich Dreck ins Gesicht und rasierte sich den Kopf, alle KZ-Gefangenen waren geschoren. Dann schlichen sich beide zu den Bautrupps zurück und nahmen den Platz des jeweils anderen ein. Abends ging Aveys niederländischer Komplize ins Kriegsgefangenenlager, und Avey reihte sich ein in den Zug der KZ-Häftlinge.

Er glaubte, dass der Gefangenenzug von der Baustelle direkt ins KZ Auschwitz-Birkenau führen würde. Doch die Zwangsarbeiter der Buna-Werke hatten längst ihr eigenes KZ, Avey hatte nie danach gefragt, wohin die KZ-Häftlinge gingen. »Ich war ein Idiot«, sagt er zu dieser Fehleinschätzung. Wenn man davon absieht, dass er in einem anderen KZ landete als gedacht, lief alles wie geplant. Avey blieb eine Nacht und tauschte am nächsten Tag auf der Baustelle wieder Kleider und Lager mit dem niederländischen KZ-Häftling. Wenig später wiederholte er den Rollentausch sogar noch ein zweites Mal, er wollte noch mehr erfahren, vor allem über die Selektionen, nach denen arbeitsunfähige Häftlinge ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht wurden.

Auch der zweite Versuch klappte, erst beim dritten Mal wäre er beinahe geschnappt worden. Ein SS-Mann entdeckte ihn, als er sich gerade zu der Baracke schleichen wollte, in der er sich mit dem Holländer verabredet hatte. Avey murmelte eine Entschuldigung, und der SS-Mann ließ ihn ziehen. Danach beschloss Avey, genug gesehen zu haben. Das Risiko war zu groß geworden.

Fast 70 Jahre später gibt es weder Schriftstücke noch Zeugenaussagen, die seine Geschichte stützen, noch solche, die dagegen sprächen. Nur wenige Gefangene aus dem Lager E715 sind noch am Leben. Einer von ihnen ist Brian Bishop, 91. Er kennt Avey nicht persönlich, bezweifelt aber seine Aussagen. »Avey hätte so viele Mitwisser gehabt, Kapos und Häftlinge im KZ, bestochene Wachleute, andere Kriegsgefangene, das wäre doch nicht geheim zu halten gewesen!« Auch Piotr Setkiewicz, Leiter der Forschungsabteilung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, ist skeptisch: »Vielleicht bin ich zu zynisch, aber ich meine, dass wir mit solchen Geschichten vorsichtig sein sollten.«

Wären die Wachen von E715 nicht misstrauisch geworden, wenn Avey nach seiner ersten Nacht im KZ plötzlich mit kahl geschorenem Kopf auf der Baustelle aufgetaucht wäre? Möglicherweise. Andererseits weiß man heute, dass die Kriegsgefangenen von E715 nicht mit der Strenge und Härte wie jene im Konzentrationslager bewacht wurden, so haben einige Briten sich wohl sogar aus dem Lager geschlichen, um in benachbarten Dörfern Frauen zu treffen. Unter diesen Umständen ist es nicht unvorstellbar, dass Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge während der Arbeit in einer Baracke Kleider tauschen.

»Das kann man sich angesichts der riesigen Baustelle durchaus vorstellen«, sagt Sybille Steinbacher, Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Wien und Auschwitz-Expertin. Und tatsächlich gab es schon einmal einen Kriegsgefangenen aus dem Lager E715, der behauptete, sich ins KZ Buna/Monowitz eingeschlichen zu haben. Sein Name ist Charles Coward, und er wurde nach dem Krieg eine kleine Berühmtheit, seine Geschichte wurde sogar verfilmt, in The Password is Courage mit Dirk Bogarde.

Allerdings bezweifelt Auschwitz-Forscher Setkiewicz auch Cowards Aussagen, obwohl dieser seine Rollentausch-Geschichte sogar vor Gericht wiederholte. Der zentrale Kritikpunkt aber betrifft Aveys langes Schweigen. »Warum kommt er damit erst jetzt heraus?«, fragt sein damaliger Mitgefangener Brian Bishop, hörbar erregt. Vielleicht ist diese Frage aber zu beantworten: Denis Avey hatte nach dem Krieg nicht das Gefühl, dass ihm jemand zuhören geschweige denn glauben würde. Als das Lager E715 im Januar 1945 aufgelöst wurde, fand Avey nach einer mehrmonatigen Irrfahrt durch halb Europa zurück nach England. Die nächsten zwei Jahre lag er im Krankenhaus, wegen Tuberkulose und weil sein rechtes Auge, das der SS-Mann verletzt hatte, herausgenommen werden musste.

Danach, 1947, sagt Avey, habe er seinem Vorgesetzten davon erzählt. Der glaubte ihm aber nicht, und Avey war dermaßen enttäuscht, dass er von da an niemandem mehr davon erzählte. Außerdem hatte er in den Nachkriegsjahren andere Probleme, Depressionen, Albträume, und wahrscheinlich einfach das, was man heute posttraumatische Belastungsstörung nennt. »Die traurige Ironie der Ereignisse ist, dass ich mich ins KZ geschlichen habe, um allen von den Gräueltaten des Nazi-Regimes zu erzählen. Aber ich war so traumatisiert, dass ich 60 Jahre brauchte, um dazu fähig zu sein«, sagt er im Interview mit dem Daily Telegraph.

Erst in den Neunzigerjahren begann die britische Öffentlichkeit, den Briten von Auschwitz Gehör zu schenken, Bücher und Dokumentarfilme erschienen, und vor einigen Jahren interviewte der BBC-Journalist Rob Broomby dann Denis Avey wegen dessen Bemühungen, für seine Zwangsarbeit bei der I.G. Farben eine Entschädigung zu erhalten. Avey erzählte ihm von seinen Nächten im KZ, und Broomby machte sich auf die Suche nach Beweisen. Er fand Susana Timms, geborene Lobethal, die Schwester des jüdischen Häftlings Ernst Lobethal. So erfuhr Avey, dass Lobethal den Holocaust überlebt hatte, er war nach dem Krieg in die Vereinigten Staaten ausgewandert und erst 2002 gestorben.

Davor hatte er aber der von Steven Spielberg gegründeten Shoah Foundation ein Interview gegeben, in dem er von einem britischen Kriegsgefangenen namens Ginger, »Rotschopf«, erzählt, der ihm 200 Zigaretten von seiner Schwester hatte zukommen lassen. »Das war so, als hätte mir jemand das Rockefeller Center geschenkt«, sagt Lobethal auf dem Videoband. Avey hatte früher rote Haare gehabt, Ginger war sein Spitzname gewesen. Dieser Teil von Denis Aveys Geschichte ist also gesichert.

Den niederländischen Juden, der Denis Avey nach dessen Aussage half, sich ins KZ einzuschleichen, sah Avey in den Wochen nach ihrem Rollentausch noch einige Male auf der Buna-Baustelle. Dann nicht mehr. Vermutlich teilt der Niederländer das Schicksal der vielen anderen Juden, die in Auschwitz ermordet wurden.

Fotos: BPK, Archiv Auschwitz-Birkenau Museum