Selig, taumelnd, selbstverliebt

Zu jedem Kölsch kommen unserer Autorin Kölsche Lieder in den Sinn. Keine Stadt, glaubt sie, wird so oft besungen. Eine besonders perfide Form der Städte-PR.

Foto: Maurizio Di lorio

Das Gehirn ist ja gelegentlich ein lustiger Mitbewohner im Körper. Da will man eine Seite im Buch umblättern und tippt auf die rechte Papierseite, so wie man es vom digitalen Lesen kennt. Wie man nach vielen Tagen Kappetragen auch am Tag ohne Kappe vor der Stirn ins Leere greift, um sie zurechtzurücken. Wie man nach langer Autofahrt mit Ganggetriebe wieder Automatik fährt und voll auf die Bremse statt auf die Kupplung tritt.

Ich habe noch so eine Verknüpfung im System. Wann immer ich ein Kölsch trinke, kommen mir kölsche Liedzeilen in den Sinn. Und wann immer ich kölsche Liedzeilen höre, kriege ich Lust auf ein Kölsch. Ein Gaffel, und schon gehen »die Hände zum Himmel«. Einmal »Ihrefeld, Raderthal, Nippes, Poll, Esch, Pesch un Kalk«, und schon denke ich, ich muss mir ein Früh besorgen.

Das kann man gut vermeiden, denken Sie vielleicht nun, zum Beispiel als bayer­ischer Mitmensch. Wenn man etwa die Faschings­ferien nutzt, um sich weit genug südlich zu halten. Das kann man doch gut planen, sagen diejenigen, die es verstehen. Man hat halt für jedes Heimspiel ein Kölsch zu Hause und für jedes Kölsch, das sich unterwegs ergibt, ein paar Lieder auf dem Telefon. Das stimmt. Bloß gibt es so viele kölsche Lieder, das Risiko steigt, wenn man sich Köln als Ort nähert, man Radio aus Köln hört – und natürlich zur Karnevalszeit. Da kann man auch schon mal in einer Nürnberger Bäckerei von de Höhner, de Paveier oder de Räuber überrascht werden. De sind dann plötzlich überall.

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Ich glaube, keine Stadt wurde öfter besungen als Köln. Dort hat sogar jeder Stadtteil ein Lied, ja gar der Kiosk im Stadtteil. Es gibt diese Lieder einfach noch und nöcher.

»Am ­Bickendorfer Büdche, do käuf dä Jupp sing Brütche, beim Lisbeth en enem Tütche, dat hät e lecker Schnütche«

Grund ist natürlich diese taumelige Kölner Seligkeit über die eigene Stadt. So parasitär, dass sie sich an jedem Gegenargument nur trotzig nährt. Wer das Negative sieht, den Dreck, die Hässlichkeit, die lebensgefährlichen Radwege, dem werden gleich die Vorteile aufgezählt. Manche müssen dann eben ad hoc gefunden werden. Aufgrund der vielen Kontras ist Köln eine sich ständig aufblähende Pro-Produktionsmaschine. Was mich natürlich total anrührt. Welche Stadt kann das schon? Sich sich selbst schön reden. Wieder ein Pro. Sehen Sie, so machen wir das. Jetzt waren Sie sogar mal dabei.

Diese Selbstverliebtheit ohne Grund ist von außen betrachtet ­komisch, das gebe ich zu. Aber sie hat eben auch schon all diese Lieder hervorgebracht. Denn was die Kölner im Alltag tun, das tun natürlich auch die Künstler und Künstlerinnen dieser Stadt. Sie ist auch eine Hymnen-Produktionsmaschine. Kölle, du bes e Jeföhl. Das können Oasis auch nicht besser.

Auch wenn, und das muss man dann hier auch zugeben, die Texte oft sehr einfach und ein bisschen schlüpfrig sind. Der Kioskstadtteil-Song geht etwa so: »Am ­Bickendorfer Büdche, do käuf dä Jupp sing Brütche, beim Lisbeth en enem Tütche, dat hät e lecker Schnütche.« Also: Am Kiosk in Bickendorf kauft der Josef bei der Elisabeth sein Brötchen in einem Tütchen, und die Elisabeth hat einen schönen Mund. Ein weiterer Klassiker will noch weniger, er geht so: »Op dem Maat, op dem Maat, stonn die Buure. Decke Eier, fuhle Prumme, lange Muhre.« Will ­sagen: Auf dem Markt stehen die Bauern, dicke Eier, faule Pflaumen, lange Möhren. Da hilft dann das Kölsch auch beim Zuhören.