Ich fand schon immer faszinierend, wie groß die Diskrepanz ist zwischen dem, was Männer über die Welt von Frauen denken, und wie Frauen die Welt erleben. Als ich neulich einem Mann davon berichtete, dass ich einen besonders schlechten Tag gehabt hatte, beruflich, persönlich und dann auch noch als Mutter, schlug er vor, ich könne doch noch was trinken gehen. Allein in einer Bar, so als Frau, dachte er, sei ich doch in Nullkommanix wiederhergestellt. Ich musste lachen, als ich die Nachricht las.
Hätte man mich gefragt, ob ich glaubte, an einem Abend beim Wäschesortieren oder beim Allein-in-einer-Bar-Sitzen mehr Frieden zu finden, ich hätte die Wäsche gewählt. Der Freund meinte, in einer Bar würden allein trinkende Frauen begehrt und umschmeichelt, so eine Art Ego-Wellness plus Alkohol. Ich kann mir vorstellen, was er sich vorstellt, aber ich sehe dann eine Frau wie Lupita Nyong’o oder Scarlett Johansson vor mir, die Seide mit weitem Rückenausschnitt trägt, und die Dinge funktionieren nach einem Drehbuch.
In echt ist es sehr anders: Wenn man um einen Tisch bittet, wird man zunächst mal gefragt, ob noch jemand kommt. Ein Mann, der parkt oder draußen noch aufraucht. Wenn man Nein sagt, wird man gemustert. Aber nicht auf die Möglichkeit hin, den Premiumplatz an der Bar zu bekommen, an dem alle einen guten Blick auf den Rücken haben. Ich fürchte, es ist eher andersherum: Man sollte nicht zu sichtbar sein. Gute Plätze bekommen Menschen, die mehr konsumieren. Das ist wohl normal. Ich glaube aber, es gibt bei allein Trinkenden einen zusätzlichen Faktor: Sie wirken traurig. Und Frauen wirken in den Augen der meisten auch noch ein wenig unvollständiger.
Es wäre also das Letzte gewesen, was an diesem verflixten Tag noch gefehlt hat: In einer Bar einen guten Platz erstreiten, den leichten Ärger ertragen, dass man eine schöne Ecke allein besetzt und nur Weißweinschorle trinkt, beobachtet zu werden mit der Frage im Kopf, was an einem wohl das Problem sein könnte. Einmal hatte ich eine besonders bezeichnende Begegnung in einer Bar. Ein Paar nickte mir freundlich zu, als ich mich setzte, als aber nach zehn Minuten niemand dazugekommen war, wandten sie sich leicht ab und schauten nicht mehr rüber. Das alles ist kein Wohlfühlprogramm.
In Wahrheit ist es mit dem Brüste-Haben in etwa so wie mit dem Barbesuch. An guten Tagen kann es Spaß machen. An schlechten Tagen ist es anstrengend
Getoppt wird das Frau-in-Bar-Missverständnis eigentlich nur von dem Brüste-Missverständnis. Das geht so: Ein junger Mann, den ich früher kannte, erklärte mir mal, dass Frauen es echt gut hätten, weil sie immer Brüste dabeihätten, die sie anfassen könnten. Er meinte das ganz ernst, und man merkte ihm an, dass der Gedanke nicht gerade spontan entstanden war, sondern dass er da etwas vorbrachte, das ihn oft beschäftigte. Als hätte er ein Urzeitprivileg der Frau aufgedeckt, den barrierefreien Brustzugang. Das fand ich eine interessante Sicht, denn in Wahrheit störten sie oft. Beim Sport, beim Springen, BHs sind unbequem, man schwitzt, sie schmerzen bei Stößen: Man ist gleich unterhalb vom zu schützenden Kopf schon wieder empfindlich. Und in Seide, die man gern tragen würde, erregen sie zu viel Aufsehen, ganz ohne dass man es so gemeint hätte.
Es ist eine Art von Halbe-Strecke-Empathie, in der sich einige Männer ausmalen, wie es sein müsste, eine Frau zu sein, auf der Begehren ruht. Allen voran ihres. Ja, Mensch, also, das muss doch wohl genial sein! Manche von ihnen verachten Frauen dann wiederum für die Macht, die sie ihnen angedichtet haben. In Wahrheit ist es mit dem Brüste-Haben in etwa so wie mit dem Barbesuch. An guten Tagen kann es Spaß machen. An schlechten Tagen ist es anstrengend.