Fruchtiger Feuerlöscher

Menschen neigen häufig dazu, sich selbst zu überschätzen – besonders, wenn es um scharfes Essen geht. Dann hilft nur noch eins: Mango-Lassi.

Foto: Maurizio Di Iorio

Heute geht es um Schmerz, und da Schmerzempfinden immer subjektiv ist, zu Beginn eine Umfrage, was denn mal so richtig wehtat. Mein Freund K., der seine Sommer am Gardasee verbringt, eine Art Hobby-Italiener, sagt: Zerbrochene Spaghetti, ein Pfahl in die Seele, schlimm. Meine Freundin J. sagt: Wenn man diesen Hautfitzel neben dem Fingernagel rauszieht! Meine Mutter sagt: deine Geburt.

So unangenehm die Sache mit dem Schmerz ist, so unfassbar ist es, dass der Mensch sich solchen gern selbst zufügt. Man peitscht sich mit Birkenzweigen oder Lederriemen aus, je nachdem, ob man in der Sauna oder in einem SM-Kerker sitzt. Kein Hund wird zweimal gegen einen Elektrozaun pinkeln (unser Collie war danach nie wieder der alte), aber wir Menschen sind wohl die einzigen Lebe­wesen, die freiwillig Schoten essen, die ihre Mundhöhle in die neun Höllenkreise verwandeln, und nach dem Essen klopfen wir uns auf den Bauch und rufen: Na, das brennt zweimal, wa! Manche können einfach nicht anders. Auch ich nicht.

Dass ich ein Problem habe, bemerkte ich mal beim Inder. Ich mag ja scharfes Essen, wenngleich die Schanghaier Küche, mit der ich aufgewachsen bin, nicht für ihre Schärfe bekannt ist. In unserem Restaurant kochte mein Vater eher »pikant« als scharf, eine Mutprobe für die Sandalenträger-Gäste, die beim Anblick einer ­Paprika schon anfingen zu schwitzen. So wollte ich nicht sein. Ich wollte das Mädchen beeindrucken, also fragte ich: »Kann ich das in Indisch-Scharf haben?«

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Der Kellner zog eine Augenbraue hoch: »Sind Sie sicher?« – »Ja, ja«, sagte ich, »also bitte dieses RICHTIGE Indisch-Scharf, nicht das für Deutsche.«

So unangenehm die Sache mit dem Schmerz ist, so unfassbar ist es, dass der Mensch sich solchen gern selbst zufügt

Der Kellner nickte und verschwand lächelnd in der Küche. Von der Wand winkte mir eine Ganesha-Statue mit dem Rüssel und vier Armen aufmunternd zu. Nach 15 Minuten kam das Essen. Ein Curry Vindaloo mit Hühnchen und Kartoffeln. Nach dem ersten Löffel wurde mir wieder klar: Schärfe ist kein ­Geschmack, sondern eine Körperverletzung. Wenn der Körper den Schmerz spürt, rührt er einen chemischen Cocktail zusammen, schmeckt ihn mit einem Schuss Adrenalin ab, und dann in jede Bahn rein, die bei drei nicht belegt ist, der Körper bereitet sich so auf Kampf oder Flucht vor, und was da auf meiner Zunge abging, erinnert mich heute an eine dieser irren Verfolgungsjagden in Fast & Furious, wenn Vin Diesel mit einer Mörderkarre das Gaspedal durchtritt und der Asphalt zu ­rauchen beginnt, tssssss.

»Ist es scharf genug?«, fragte der Kellner. »Eff geht fon«, hauchte ich. Meine Augen suchten den Raum nach Linderung ab: Brot, Wasser, hinten stand ein Feuer­löscher. Ich wollte mich von diesem Curry aber nicht bezwingen lassen, löffelte also weiter, mehr lutschend als essend. Mir schwirrte der Kopf. Vor meinem glasigen Blick dann eine Bewegung. In diesem Moment hätte es alles sein können: Ganesha, der mit Vin Diesel in einem Cabrio durchs ­Lokal rattert, zwei Hände ordnungsgemäß am Steuer, und mit den anderen beiden peitscht er den schwitzenden Diesel mit Birkenzweigen aus – es hätte mich nicht gewundert.

Aber es war der Kellner. Seit geraumer Zeit tigerte er umher, und nun erbarmte er sich und stellte mir einen Kupferbecher hin. »Geht aufs Haus«, sagte er, dessen Nase jetzt irgendwie an einen Rüssel erinnerte. Ich trank es in einem Zug. Flüssige Seide aus einem Mangofluss. Ich solle mir keinen Kopf machen, sagte der Kellner, ich sei nicht der erste Gast, der sich etwas übernommen habe. Deshalb habe der Mensch vor 3000 Jahren dieses Joghurtgetränk erfunden. So ein Mango Lassi habe ayurvedische Wirkung, dozierte er, das Fett hemme die Schärfe, beruhige ­Magen und Geist, aber ich hörte nicht mehr zu. Ich deutete auf das Curry, das mich geschafft hatte statt umgekehrt, und krächzte: »Können Sie mir den Rest einpacken?«