SZ-Magazin: In Ihrem Buch The Last Testament porträtieren Sie sieben Männer, die sich jeweils für den neuen Messias halten. Glauben Sie an Gott?
Jonas Bendiksen: Nein, ich war nie ein gläubiger Mensch. Ich war, bin und werde immer ein lebenslanger Skeptiker sein. Trotzdem hege ich eine große Faszination für Religion und die Mechanismen des Glaubens. Wann immer wir die Zeitung aufschlagen, sieht man, welche Macht der Glaube auf uns Menschen hat, welche Kraft und welchen Einfluss Religionen besitzen. Lange habe ich nach einem Weg gesucht, einen Zugang zu dieser Welt zu finden. Gibt es eine geeignetere Methode die Antworten auf alle kosmischen Fragen zu erhalten, als Jesus persönlich zu treffen?
Aber wie haben Sie das angestellt? Einfach »neuer Jesus Adresse« bei Google eingegeben?
Tatsächlich habe ich von einem der Messiasse schon vor langer Zeit gehört, als ich in den späten Neunzigerjahren anfing zu fotografieren. Ich las in einer russischen Zeitung über Vissarion, einen Jesus aus Sibirien. Vermutlich hatte ich das noch im Hinterkopf, als sich meine Pläne für eine Arbeit über Glauben konkretisierten. Ich fing an zu recherchieren und stieß auf mehrere Männer, die meinen, der neue Messias zu sein – also ja, ich habe nach Jesus' selbsternannten Nachfolgern gegoogelt.
Ist das nicht ein schmaler Grat zwischen Religionsführer und Nervenheilanstalt?
Deshalb habe ich nach strikten Kriterien gefiltert. Ich habe nach Menschen gesucht, die ihre Offenbarung schon vor langer Zeit hatten. Außerdem war für mich entscheidend, dass sie damit bereits an die Öffentlichkeit getreten waren und eine Glaubensgemeinschaft um sich versammelt hatten. Wichtig war auch, dass diesen Gruppen eine eigene Theologie zugrunde lag, die in irgendeiner Art und Weise Sinn ergab. Die Anzahl reduzierte sich so recht schnell auf sieben – die Zahl göttlicher Vollkommenheit.
Was sagen Sie kritischen Stimmen, die die Männer als Spinner, Betrüger oder psychisch krank bezeichnen?
Wenn du glaubst, diese Leute wären geisteskrank, sind es alle Gläubigen.
Aber wie muss ich mir diese Männer dann vorstellen? Worin sehen sie ihre Aufgabe auf Erden?
All diese Männer eint, dass sie eine außergewöhnliche Vorstellung davon haben, wer sie sind. Es ist ihre Überzeugung, dass sie der Schlussstein der menschlichen Erzählung sind. Sie sind die Schlüsselfigur, die am Ende aller Tage die Menschheit in Gottes Reich führen wird. Die meisten von ihnen sind unglaublich charismatisch. In den drei Jahren, in denen ich an diesem Projekt gearbeitet habe, hat mich nicht einer der sieben nach meinen Ansichten gefragt. Sie haben nie versucht, mich von ihrem Glauben zu überzeugen. Das hatte ich nicht erwartet.
Haben die neuen Jesusse ebenfalls Wunder vollbracht?
Mit dieser Frage hat der Großteil der Messiasse ein Problem. In ihren Augen dienten die Wunder Jesu als Kommunikationsstrategie in einer Zeit, in der noch niemand lesen und schreiben konnte. Es war ein effektives Mittel, um schnell Informationen zu verbreiten. Der moderne Jesus benutzt Youtube, Facebook und Twitter.
Wie binden die Männer ihre Jünger an sich?
Die Menschen, die sich zu einem der sieben Männer hingezogen fühlen, tun dies aus denselben Gründen, aus denen sich andere Menschen zum Christentum, dem Islam, dem Judentum, dem Buddhismus oder anderen Glaubensrichtungen hingezogen fühlen. Sie glauben, dass ihr Messias die Antworten auf die Fragen des Lebens hat. Er gibt ihrer Existenz eine Bedeutung. Dazu kommt, dass in diesen speziellen Fällen der Sohn Gottes direkt neben ihnen steht. Sie können ihn berühren, ihn spüren, mit ihm reden, sie kriegen Antworten, wohingegen andere Menschen sich auf ein 2000 Jahre altes Buch verlassen müssen.
Gibt es einen Grund dafür, weshalb der von Ihnen porträtierte INRI Christo-Jesus aus Brasilien beinahe ausschließlich weibliche Jünger hat?
Das habe ich ihn auch gefragt. Seine Antwort lautete: Schau dir doch an, was beim letzten Mal passiert ist, als ich am Kreuz hing. Die Jungs waren komplett nutzlos. Einer hat mich verraten und der Rest ist abgehauen. Einzig die Frauen standen mir bei. Sie sind stärker.
Klingt nach einem liberalen Typ.
Das stimmt. Er steht allen Lebenskonzepten offen gegenüber. Er grenzt niemanden aus. Für ihn begeht ein Mensch erst dann eine Sünde, wenn ein anderer zu Schaden kommt. Das einzige, was er von den Menschen verlangt, ist gut zueinander zu sein. Alles andere interessiert ihn nicht.
Es fiel Ihnen also nicht schwer, von Ihrer angeborenen Skepsis abzulassen?
Die Menschen, die ich kennenlernen durfte, waren herausragend - charismatisch, lebensbejahend und irre humorvoll. Obwohl es nicht meine Welt war, fiel es mir daher nicht schwer mich auf die Situationen einzustellen und mich von ihnen tragen zu lassen. Auch weil diese Gemeinschaften ein paar wirklich treffende und aufschlussreiche Dinge zu sagen haben. Ich habe ihre Sicht auf die Welt als sehr erfrischend empfunden.
Konnten diese erfrischenden Erfahrungen Ihren eigenen Glauben an eine höhere Macht am Ende verändern?
Oft habe ich mir während der drei Jahre gedacht, dass es unglaublich toll wäre, einfach loszulassen. Meine Skepsis vollends über Bord zu werfen, den individuellen Ballast, den ich, den ein jeder von uns trägt, von den Schultern rutschen zu lassen und in diese Welt einzutauchen, in ihr zu verschwinden. Es ist mir jedoch mit Willenskraft alleine nicht gelungen. Am Ende glaube ich doch nur das, was ich sehe. Wenn ich nächste Woche den wissenschaftlichen Beweis für die tatsächliche Existenz eines Gottes geliefert bekommen würde, würde ich es glauben, ohne mit der Wimper zu zucken. Eine Sache hat sich allerdings verändert: Früher habe ich in schwarz und weiß gedacht, in wahr oder falsch. Ist er der Messias oder nicht – eine recht großspurige Herangehensweise. Heute stehe ich der Welt demütiger gegenüber.
Alle Bilder finden sich in dem Buch »The Last Testament«:
Jonas Bendiksen, The Last Testament, Aperture Foundation/ GOST, New York 2017.
Fotos: Jonas Bendiksen/ Magnum Photos