Folgeschäden

Unterstützt man die Politik von Donald Trump, wenn man ihm auf Twitter folgt und damit seine viel beachtete Followerzahl steigert? Was das »Folgen« in Sozialen Netzwerken wirklich bedeutet - und warum Twitter dringend eine neue Funktion braucht.

Donald Trump erregt auf Twitter inzwischen so viel Aufsehen, dass der Vogel im Twitter-Logo ebensogut seine Frisur tragen könnte.

Jeden Tag schreibt mir der US-Präsident kurze Nachrichten. Wenn er gerade aufgestanden ist, schnell in seinen Mittagspausen, vor dem Schlafengehen. Wenn er sehr wütend ist, schreibt er Wörter oder ganze Sätze in Großbuchstaben und nagelt ein Ausrufezeichen dran. Wenn ihm etwas gefällt, schickt er mir den Link zum Artikel oder Video gleich mit. Einmal hat sich Donald Trump sogar bei mir bedankt, also unter anderem bei mir, denn er feierte seinen zehnmillionsten Follower auf Twitter – da war ich schon einer davon. Ich folge @realDonaldTrump seit Monaten. »Ernsthaft?«, fragt mich meine Kollegin Regina. »Dann denkt der doch, dass du sein Fan bist!«

Vermutlich, denn ganz offenkundig ist Donald Trump sehr eitel. Man darf davon ausgehen, dass er sich gern die Zahl seiner Twitter-Follower ansieht, die seit seinem ersten Tweet am 4. Mai 2009 rasant wuchs; dass ihm die Zahl von inzwischen 25 Millionen Followern das Gefühl gibt, sehr viele Anhänger zu haben. Hinzu kommen 15 Millionen Follower des von Barack Obama geerbten US-Präsidenten-Accounts @POTUS, 21 Millionen Facebook-Freunde sowie 5,9 Millionen Instagram-Abonnenten. Trump ist nach Obama der zweite Social-Media-Präsident, einer, dessen Wahlsieg zu großen Teilen seiner geschickten (oder dreisten) Social-Media-Strategie zugesprochen wird. Follower sind eine Währung der Wichtigkeit.

Und nichts scheint Trump mehr zu bedeuten als seine Wichtigkeit. Ja, Trump wird denken, ich folge ihm aus Sympathie. Bei meinen eigenen Followern denke ich ja auch, dass es Menschen sind, die mich mögen oder zumindest das, was ich poste. Dabei sind schon unter meinen 691 Followern einige mir unbekannte Accounts, auch zweifelhafte ohne Profilfoto oder mit sinnlosen Namen, die ausschließlich auf Chinesisch, Arabisch, Russisch oder gar nie posten. Mehr als 50 Bekannte von mir folgen Trump auf Twitter. Fast alle davon lehnen seine Politik ab. Wie viele Follower würden Trump wohl bleiben, wenn man von den 25 Millionen alle verwaisten und Fake-Accounts abziehen würde – und alle, die ihm feindlich gesinnt sind?

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Und an dieser Stelle unterscheidet sich das Folgen von Donald Trumps Account von dem Folgen anderer Promi-Accounts wie @TheBorisBecker oder @KimKardashian. Ich würde keinem Fanclub von Becker oder Kardashian beitreten, aber ich habe nichts gegen sie. Dass ich ihnen auf Twitter folge, hat Entertainmentgründe. Ich folge ihnen so, wie ich beim Friseur die Bunte durchblättere. Eine Mischung aus einer harmlosen Form von Fassungslosigkeit und Belustigung.

Trump folge ich, weil es nicht mehr lustig ist. Es lohnt sich, seine Tweets im Original zu kennen, seinen Satzbau, seine Wortwahl, seine Sicht auf die Welt, seine Verachtung für Menschen, die anders denken, seinen immer größeren Hass auf die New York Times, seine Drohungen, seine Nachrichtenquellen wie Breitbart News, deren Artikel er teilt. Er ist der mächtigste Mensch der Welt und das Vorbild vieler an die Macht strebender Populisten. Twitter lässt mich ungefiltert sehen, wie dieser Mann tickt. Extrem laut und unglaublich nah.

Dicht an Trump dranbleiben und ihn zugleich demonstrativ auf Abstand halten – wie sollte das gehen? Gut, man könnte Trumps Twitterseite täglich besuchen, statt ihn bequem per »follow« zu abonnieren, eine andere Möglichkeit wäre es, ihn in eine angelegte Twitter-Liste einzusortieren, so erhielte man seine Posts durch die Hintertür und ohne »Follow«-Sympathiebekundung. Meine Kollegin Regina fände es aber viel aussagekräftiger, den »Folgen«-Buttons um einen »Beobachter«-Button zu erweitern. Von mir aus gleich noch »Kritischer Beobachter«, »Lachender Beobachter« oder »Entsetzter Beobachter«. Wenn von 25 Millionen Followern die Hälfte »Entsetzte Beobachter« wären, könnte das Trump zu denken geben. Und wenn nicht, würde ich mich zumindest besser fühlen.

Illustration: Nishant Choksi