Auf der Canal Street in Chinatown, New York, drehen Verkäufer den Touristen für ein paar Dollar gefälschte Taschen von Louis Vuitton und Prada an. Eine Straße weiter wohnt Christo Vladimirov Javacheff in einem schmalen, etwas heruntergekommenen Haus mit fünf Stockwerken und Feuerleitern vor der Fassade. Christo lebte und arbeitete schon hier, als das Viertel noch nicht so hip und er noch nicht so berühmt war.
Eine Treppe führt zur Galerie im ersten Stock, wo Bambuspflanzen für gutes Feng-Shui sorgen sollen und Arbeiten von Christo ausgestellt sind. In der Ecke stehen verhüllte Ölfässer, an der Wand hängen Collagen und ein verpacktes, nicht mehr zum Telefonieren gedachtes Münztelefon. Christo ist ein auf angenehme Art nervöser Mensch. Er trägt einen schwarzen Pullover und ausgebleichte Jeans, ein riesiges Loch entblößt sein rechtes Knie. Das Arbeitsknie, erklärt Christo entschuldigend: Darauf rutsche er immer umher, und er arbeite eben bis zu 15 Stunden am Tag.
So hält er es schon immer. Er hat einen langen Atem, und den braucht er auch, denn manche Projekte werden erst nach Jahrzehnten verwirklicht, wenn überhaupt. Nur eins hat sich geändert: Jeanne-Claude starb vor fünf Jahren an einer Hirnblutung. Nach über einem halben Jahrhundert ist Christo auf einmal allein. In seinem Tatendrang hat ihn das nicht gebremst. Doch wenn er über seine aktuellen Projekte spricht, sagt er immer noch »wir«.
SZ-Magazin: Christo, Sie und Jeanne-Claude waren das berühmteste Paar der Kunstwelt, aber Sie saßen nie gemeinsam im selben Flugzeug. Warum nicht?
Christo: Um unsere Kunst zu schützen. Wir haben uns immer gesagt: Wenn einer von uns abstürzt, muss der andere unsere Projekte allein zu Ende führen.
Wie fühlt es sich jetzt an, ohne Jeanne-Claude weiterzumachen?
Es ist schlimm. Zum Glück habe ich ihre Assistenten Vladimir und Jonathan geerbt, unsere Neffen. Die beiden hatten schon 25 Jahre für sie gearbeitet, und jetzt managen sie mich. Wir fragen uns oft: Was würde Jeanne-Claude sagen? Sie fehlt mir ständig.
Sie hassen es, wenn man Sie Verpackungskünstler nennt. Warum so empfindlich?
Weil es eine grobe Vereinfachung ist! Ich habe schon lange nichts mehr verpackt. Die Gates im Central Park waren keine Verpackung, die Schirme und der Running Fence auch nicht. Die letzte Idee, etwas zu verpacken, hatten wir 1975, das war Pont Neuf. Den Berliner Reichstag wollten wir schon 1971 verpacken, es hat nur ein bisschen länger gedauert. Aber ich arbeite immer mit Stoffen, weil sie den provisorischen Charakter, die Vergänglichkeit unserer Projekte verkörpern.
Was haben Stoffe denn mit Vergänglichkeit zu tun?
Jeanne-Claude und ich waren wie Nomaden der Kunst: Wir haben immer schnell unsere Zelte aufgeschlagen und sind nach ein paar Wochen schon wieder weitergereist.
Wie haben Sie mit dem Verpacken angefangen?
Ich habe nicht einfach Objekte verpackt, sondern Baumwollstoff mit einem speziellen Lack bestrichen, der das Gewebe steif machte und dem ganzen Objekt einen skulpturalen Charakter verlieh. Ich fing an, einfache Dinge wie Flaschen, Dosen und Stühle zu verwandeln und zu schauen, wie sich unsere Wahrnehmung dadurch verändert.
Was steckt in dem Paket dort?
Keine Ahnung, es ist halt ein Paket. Ich habe in den Sechzigerjahren irgendwas darin verpackt.
Damals schien nichts vor Ihnen sicher. Sie verpackten Motorräder, einen Renault, den Kinderwagen Ihres Sohnes und die Schuhe Ihrer Frau.
Jeanne-Claude hat geschimpft, weil ich immer ihre neuesten Schuhe nahm. Ich habe eben einfach die alltäglichen Gegenstände genutzt, die ich um mich hatte. Aber Sie müssen verstehen: Daraus entstanden nicht einfach irgendwelche Pakete, sondern attraktive Skulpturen.
Mitunter führte Ihre Kunst zu Missverständnissen. Einmal kaufte das Kunstmuseum in Teheran ein Modell des verhüllten Reichstags. Bei der Ankunft packten Mitarbeiter das Kunstwerk versehentlich ganz aus.
Wir mussten einen Restaurator des British Museum nach Teheran schicken. Als er landete, war gerade der Ayatollah Khomeini in den Iran zurückgekehrt. Der arme Mann steckte vier Wochen in den Revolutionswirren fest, nachdem er das Kunstwerk wieder fachgerecht verpackt hatte.
Ein anderes Mal packten schwedische Zöllner Ihre Werke auseinander. Haben Sie ein Beuys-Problem? Dessen Fettecke wurde ja auch von wohlmeinenden Reinigungskräften weggeputzt.
Das passiert leider vielen Künstlern. Die Menschen haben heutzutage einfach keinen Respekt mehr vor Kunstwerken, besonders vor zeitgenössischen. Die Leute gehen vorsichtiger mit Porzellantassen um als mit moderner Kunst! Es ist eine Frechheit. Ein Kunstwerk ist hundertmal so teuer wie das teuerste Porzellan, aber die Menschen haben keinerlei Verstand und behandeln es wie den letzten Dreck. Wir verschicken unsere Kunstwerke deshalb nur noch zusammen mit Fotos und Anweisungen, dass sie im Beisein von Experten geöffnet werden müssen.
Haben Sie Ihre Frau verpackt?
Nein, aber ich habe andere junge Frauen verpackt. Die erste 1962 in Paris, dann 1963 in Düsseldorf. Der deutsche Fotograf Charles Wilp stellte uns Models zur Verfügung. Sie mussten fünf Stunden stillstehen und durch eine kleine Öffnung in der Verpackung atmen. 1967 entwarf ich sogar ein Hochzeitskleid.
Nach Ihrer ersten Begegnung höhnte Jeanne-Claude: Der Mann sei offensichtlich schwul. Sie lästerte über Sie und sagte: »Mutter hat einen Hund ohne Leine mit nach Hause gebracht.« Wie ist es Ihnen gelungen, die verwöhnte Generalstochter doch zu erobern?
Ach, wissen Sie, ich nehme nie etwas als persönliche Beleidigung auf. Ich lebe jetzt seit 58 Jahren im Westen und hatte mit so vielen Widrigkeiten zu kämpfen. Ich kann nicht zulassen, dass all diese Widerstände im Leben meine Gefühlswelt beeinträchtigen. Selbst heute haben wir bei jedem Projekt mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Es gehört dazu, ich nehme nichts persönlich. Was ich tue, tue ich gern. Jeanne-Claude und ich haben jede Minute unseres Lebens an die Kunst verwandt, weil wir die Kunst lieben. Alles ist Kunst. Wir waren wie Besoffene. Ich bin besoffen von Kunst.
Sind Sie zufrieden mit der Bilanz Ihres Schaffens?
Wir haben über ein halbes Jahrhundert 22 Projekte verwirklicht und für 37 keine Genehmigung bekommen. Projekte wie der verhüllte Reichstag wurden dreimal abgelehnt, und wir haben uns doch nicht davon abbringen lassen. Manchmal kann Ablehnung ungewohnt belebend wirken.
Was frustriert Sie am meisten?
Eines der größten Probleme ist der Umstand, dass es keinen Quadratmeter auf der Welt gibt, der nicht irgendjemandem gehört. Wir müssen immer herausfinden, wem ein Grundstück gehört. Die 62 Kilometer lange Strecke des Arkansas River in Colorado zum Beispiel, die ich mit Stoff bespannen will, gehört zum größten Teil der US-Regierung. Wenn Sie das Land mieten wollen, können Sie nicht einfach einen Brief nach Washington schicken und höflich anfragen. Wir haben Architekten, Verkehrsexperten und Ingenieure beauftragt, eine Planungsstudie für uns zu erarbeiten. (Er wuchtet zwei dicke Bücher auf den Tisch.) Das ist unsere Bewerbung: 2029 Seiten. Die hat eineinhalb Millionen Dollar gekostet. Dann haben wir die besten Anwälte und Lobbyisten in Washington beauftragt, die Studie zu prüfen und zu überarbeiten. Noch einmal zweieinhalb Millionen Dollar und noch ein Bericht von 1686 Seiten.
Ihre Arbeit klingt alles andere als romantisch.
Fast 4000 Seiten über ein Kunstwerk, das gar nicht existiert, verstehen Sie! Welcher Künstler kann das schon von sich behaupten? Kein Künstler kann das behaupten. Über einen Zeitraum von vielen Jahren denken Tausende von Menschen über etwas nach, was gar nicht existiert. Das ist eine ungeheure Befriedigung für mich. Das ist eine eigene Realität! Anders als normale Künstler arbeite ich nicht ständig in einem Studio und produziere ein Werk nach dem anderen. Unsere Kunst ist eine enorme Darstellung menschlichen Verhaltens und nicht allein das Resultat unserer eigenen Arbeit. Wir haben fabelhafte Teams aus Anwälten, Ingenieuren, Handwerkern.
»Die Leute sind wirklich bescheuert! Die kapieren nicht, worum es bei unserer Arbeit geht.«
Und wenn Sie nach Jahren und Jahrzehnten dann ein Projekt verwirklichen, ist nach zwei Wochen alles vorbei. Wird man da nicht melancholisch?
Nein, denn es ist einmal da gewesen. Sie können es nicht auslöschen. Aber die Vergänglichkeit ist ein essenzieller Teil unserer Projekte. Das Kunstwerk ist unverkäuflich. Niemand kann Eintrittskarten verkaufen, niemand kann es besitzen. Sogar Jeanne-Claude und ich haben keinen Besitzanspruch darauf. Unsere Arbeiten besitzen eine ungeheure Freiheit, denn sie sind total nutzlos, total irrational und total unnötig. Es gibt sie nur, weil Jeanne-Claude und ich sie sehen wollen. Deshalb haben sie auch so eine besondere Aura und machen aus Menschen Kunst-Groupies. Sie wollen sich das anschauen und an einem Moment teilhaben, der nie wiederkommen wird. Wir haben kein einziges Projekt zweimal gemacht.
Gab es nie Anfragen?
Doch, ständig. Nachdem wir den Reichstag verhüllt hatten, bekamen wir jede Menge Anfragen von Bürgermeistern, ob wir nicht auch ihre Stadthalle verpacken wollten. Die Leute sind wirklich bescheuert! Die kapieren nicht, worum es bei unserer Arbeit geht.
Als Sie vor Miami Inseln verpackten, bekamen sie so viel Gegenwind von Naturschützern, dass Sie nur mit kugelsicherer Weste auf die Straße gingen.
In Berlin hatten wir sogar 17 kugelsichere Westen für uns und unsere Bodyguards. Die Bundesregierung hatte uns informiert, dass es Drohungen von Rechtsextremen gab, und machte den Personenschutz zur Bedingung für unsere Landegenehmigung. Jeanne-Claude war so besorgt, dass wir vor Beginn des Projekts zur Charité fuhren und Eigenblut spendeten, das die Ärzte für den Notfall aufbewahrten. Das gleiche Problem haben wir jetzt in Colorado. Die Leute von der Tea Party kommen mit Kampfanzug und Revolvern zu unseren Informationsveranstaltungen. Unser Projektmanager musste schon den Sheriff rufen.
In Berlin testete die Feuerwehr sogar mit Molotowcocktails die Entflammbarkeit des Stoffs, bevor Sie den Reichstag verhüllen durften. Haben Sie mit einer Revolution gerechnet?
Die größte Sorge des Bürgermeisters Diepgen waren die Neonazis. Am Tag der Verhüllung waren mehr als 1500 Polizeibeamte in Zivil rund um den Reichstag postiert. Jeanne-Claude und ich aber hatten andere Sorgen. Berlin ist die Hauptstadt des Graffiti, und wir hatten mehrere Fässer mit spezieller Silberfarbe eingelagert, um Schmierereien sofort übermalen zu können. Die Angst war unbegründet. Wir mussten keine einzige Dose öffnen.
Um Ihre Kritiker zu besänftigen, mussten Sie sich sogar mit dem Sexualleben von Seekühen beschäftigen.
Ja, 1983 wollten wir in der Biscayne Bay in Florida elf Inseln mit Stoff umsäumen. Umweltschützer befürchteten, dass die heimischen Seekühe darunter ersticken könnten. Also ließen wir das Verhalten der Tiere von Meeresbiologen in einem großen Wasserbecken erforschen, das zur Hälfte mit Gewebe bedeckt war. Es stellte sich nicht nur heraus, dass die Seekühe sehr gut unter dem leichten Stoff atmen konnten. Das pinkfarbene Polypropylengewebe stimulierte sogar ihren Paarungsinstinkt.
Die Kritiker Ihres Projektes in Colorado fürchten nun um das Wohlergehen des nordamerikanischen Dickhornschafs.
Laut einer Studie der US-Regierung ist unsere Installation keine Gefahr für das Dickhornschaf. Aber natürlich tun wir alles, um die Angst der Leute zu besänftigen. Während der Brunftzeit des Dickhornschafs stellen wir die Arbeit ein, und wir stören die Brutnester der Adler nicht. Obwohl wir noch gar nicht mit den Arbeiten angefangen haben, zahlen wir schon jetzt Jahresmiete an die US-Bundesregierung – 160 000 Dollar seit November 2011.
Mieten Sie sich immer zuerst ein, bevor Sie Ihre Kunstwerke verwirklichen?
Ja. Der Stadt New York haben wir drei Millionen Dollar Miete für den Central Park gezahlt. Der Reichstag war günstiger: Die Bundesregierung hat 150 000 Dollar Miete von uns bekommen, und wir bekamen nicht nur den Reichstag, sondern auch das Gebiet im Umkreis von einem halben Kilometer. So konnten wir verhindern, dass dort irgendetwas passierte, was das Kunstwerk stören würde.
Was sollte passieren?
Die Tenöre Pavarotti, Domingo und Carreras wollten vor dem verhüllten Reichstag singen. Nein! Die Berliner Philharmoniker und Claudio Abbado wollten Fidelio vor dem Reichstag spielen. Nein! Wir haben zu allem Nein gesagt. Der Reichstag sollte genau wie sonst sein, nur eben ein Kunstwerk – keine Zirkusshow.
Wie viel verdienen Sie an Ihrer Kunst?
Gar nichts. Als Angestellter der Christo Vladimirov Javacheff Corporation bekomme ich ein Gehalt von 80 000 Dollar pro Jahr, das ist alles. Wir haben die Corporation in den Sechzigerjahren gegründet, weil keine Galerie mich exklusiv vertreten wollte. Die Corporation ist eine profitorientierte Gesellschaft, sie kauft und verkauft unsere Kunst und realisiert unsere Projekte. So wurden Jeanne-Claude und ich zu den größten Sammlern unserer eigenen Kunst. Unser Hauptlager befindet sich in Basel. Wir besitzen eine unfassbare Menge eigener Kunstwerke – von den Fünfzigerjahren bis in die Gegenwart.
Sie kontrollieren also den Weltmarkt für Ihre Kunst – und damit auch die Preise.
Nein, aber unsere Kunst ist unser Kapital. Sie dient als Sicherheit für Bankkredite. Galeristen und Sammler sind dafür berüchtigt, sehr spät zu zahlen. Aber ich kann nicht zu meinen Bauarbeitern sagen: Leute, am Freitag gibt’s keinen Lohn, denn Herr Smith hat noch nicht für seine Christo-Collage gezahlt. Deshalb arbeiten wir bei großen Projekten immer mit Banken zusammen, die uns einen Bereitschaftskredit in Millionenhöhe geben, damit wir finanziell immer flüssig sind. Die Banken bekommen im Gegenzug unser riesiges Lager in Basel, wo Kunstschätze im Wert von vielen Millionen lagern, als Kreditgarantie.
Was kostet eine Christo-Collage heute?
Kommt darauf an, wie alt sie ist. Sobald ein Projekt vorbei ist, mache ich keine Zeichnungen mehr. Sie dienen lediglich der Vorbereitung und spiegeln im Lauf der Jahrzehnte auch die Entwicklung von Projekten wieder. Am günstigsten sind Zeichnungen von aktuellen Projekten wie Over the River oder der Mastaba. Die Collage hier zu Over the River kostet 230 000 Dollar. Die große Zeichnung dort ist fast zweieinhalb Meter lang und kostet 520 000 Dollar.
Finden Sie das teuer?
Meine Kunst ist überhaupt nicht teuer. Verglichen mit Gerhard Richter sind meine Preise sehr moderat. Die teuersten Zeichnungen sind die von den Toren im Central Park, da kostet eine 1,5 Millionen Dollar.
Die werden vermutlich gern von den reichen Anwohnern des Central Park gekauft, die das aus der Portokasse bezahlen können?
Es gibt keine Regeln. Sie können verlangen, was die Leute zu zahlen bereit sind. Das Paket hinter ihnen kostet fünf Millionen Dollar, die Ölfässer dort in der Ecke vier Millionen. Das sind sehr seltene frühe Arbeiten von mir.
»Wenn ich verreise, habe ich immer meinen Knoblauch bei mir im Koffer.«
Was passiert eigentlich mit Großprojekten wie dem verhüllten Reichstag, wenn sie abgebaut sind?
Ein Großteil des Materials wird recycelt. Aber ich hebe einzelne Objekte auf, zum Beispiel Tore aus dem Central Park und riesige Muster des Stoffs, mit dem der Reichstag verhüllt wurde. Außerdem hat jedes unserer Projekte eine eigene Dokumentationsausstellung mit Miniaturmodellen, Videoaufnahmen und Fotos. Diese Ausstellungen gehören uns, und Jeanne-Claude hat noch vor ihrem Tod alles dafür getan, um eine neue Heimat für sie zu finden. Die Running Fence-Ausstellung hat sie an das Smithsonian in Washington verkauft, und momentan sind wir in Verhandlungen mit einer deutschen Stiftung, die für Berlin die Ausstellung zum verhüllten Reichstag erwerben möchte. Die kostet ungefähr zehn Millionen Dollar. Sie sind sehr daran interessiert, aber erst mal müssen sie das Geld zusammenbekommen.
Sammeln Sie auch die Werke anderer Künstler?
Eigentlich nicht. Ich besitze einen unglaublichen Stuhl von Gerrit Rietveld, dem ich dafür eines meiner Päckchen gegeben habe. Mit Lucio Fontana habe ich auch getauscht. Ich habe einen Warhol, außerdem Duchamp, Miró und solche Sachen. Aber ich bin kein Sammler. Ich habe keine Zeit zu sammeln. Ich sammle nur meine eigene Kunst und kaufe sie ständig zurück.
Hören Sie bei der Arbeit immer noch Mozart?
Das war eine Idee von Jeanne-Claude. Sie hatte von einer wissenschaftlichen Studie gehört, der zufolge der IQ von Studenten stieg, wenn sie Sonaten von Mozart hörten. Keine andere Musik hat diesen Effekt, selbst Beethoven nicht! Bei Mozart aber geben sogar die Kühe mehr Milch. Also besorgte Jeanne-Claude eine CD mit dem Titel Mozart macht dich schlau und spielte sie den ganzen Tag, wenn wir arbeiteten.
Und wie halten Sie Ihren Körper fit?
Es sind neunzig Stufen hinauf zu meinem Atelier, die steige ich täglich mindestens 15 Mal rauf und runter. Außerdem habe ich einen russischen Physiotherapeuten, der alle zwei Tage kommt. Wenn man älter wird, drückt jedes Gelenk im Körper. Man muss die Glieder strecken und Luft auf die Knochen lassen. Es ist sehr wichtig, dass es weh tut.
Stimmt es, dass Sie am liebsten hungrig arbeiten?
Ich lasse das Mittagessen ausfallen, weil ich gerne mit leerem Magen arbeite. Dann fühle ich mich aufgedrehter und leichter und habe mehr Energie. Jeden Morgen esse ich eine ganze Zwiebel bulgarischen Knoblauch mit Joghurt. Das regt das Immunsystem an. Ich habe mein Leben lang nie mehr als einen Tag Grippe gehabt. (Er klopft auf den Tisch.) Jeder Arzt wird Ihnen bestätigen, dass Knoblauch sehr wichtig zur Vorbeugung von Krebs ist. Wenn ich verreise, habe ich immer meinen Knoblauch bei mir im Koffer.
Sie sind ein Hypochonder!
Nein, aber ich ertrage Krankenhäuser nicht. Nicht mal als Besucher. Ärzte machen mich nervös, ich habe ein Weißkittelsyndrom. Sobald ich eine Klinik betrete, bekomme ich schon vom Geruch Herzklopfen und Angst. Aber ich gehe seit dreißig Jahren einmal jährlich zum Gesundheitscheck für eine Woche in die Mayo-Klinik in Florida. Die sieht gar nicht wie ein Krankenhaus aus, dort tragen die Ärzte keine Kittel, und es gibt sogar einen Golfplatz.
Welche Marotten haben Sie noch?
Ich rasiere mich mindestens zweimal täglich. Bartstoppeln kann ich nicht leiden. Ich weiß, dass das in Mode ist, aber ich brauche ein sauberes Gesicht, damit ich mich wohl fühle. Außerdem wasche ich die ganze Zeit zwanghaft die Hände. Das habe ich wohl von meinem Vater geerbt, der Chemiker war. Es ist anscheinend sehr gesund, sich die ganze Zeit die Hände zu waschen. Sehr gesund! Das ist das größte Problem überhaupt: dass die Menschen sich nicht oft genug die Hände waschen.
Wie möchten Sie sterben?
Auf jeden Fall schnell, so wie Jeanne-Claude. Sie fiel beim Abendessen hier in der Wohnung plötzlich um. Sie war nicht krank, sondern hatte ein Aneurysma. Ich bin so froh, dass sie sich nie im Rollstuhl sehen musste, gelähmt und stumm. Ich bin 79 Jahre alt, und mir ist bewusst, dass es auch mich bald erwischen kann. Deshalb habe ich es eilig. In diesem Alter wird einem die Zeit so kurz. Jeden Tag denke ich daran, wie kurz die Zeit ist.
Sie haben einmal von sich behauptet: »Nach meinem Tode werde ich der unschuldigste Künstler genannt werden müssen, den es gab. Denn ich werde keines meiner großen Kunstprojekte zurücklassen.« Wird man sich in 500 Jahren an Sie erinnern?
Die Geschichte unserer Zivilisation besteht nur aus Überresten, die von Archäologen ausgegraben wurden. Es ist alles im Verfall, selbst die Architektur. Wir wissen inzwischen, dass die Venus von Milo nicht weiß war, sondern von oben bis unten bemalt. Deshalb ist unser Selbstbild als Menschheit so verzerrt. Wie wird Archäologie in 500 Jahren funktionieren? Computerchips, elektronische Erinnerung, Bilder. Verstehen Sie! Die Archäologen des Jahres 2500 werden im elektronischen Gedächtnis der Menschheit schürfen, nicht mehr in der Erde – und da werden sie meine Werke finden, denn ich dokumentiere alles!
Dennoch sind Ihre Pläne gigantisch. In Abu Dhabi wollen Sie mit der Mastaba aus 410000 Ölfässern eine der größten Skulpturen der Welt in den Wüstensand setzen.
Entschuldigung, das wird DIE größte Skulptur der Welt werden! Die Mastaba wird größer als die Cheops-Pyramide sein. Aber sie ist keine Pyramide mit quadratischem Grundriss, sondern hat eine ganz ungewöhnliche architektonische Harmonie. Wenn Sie auf die Schrägseite blicken, werden Sie die größte Treppe der Welt sehen: 150 Meter Höhenunterschied bei einem Anstieg von sechzig Grad.
Klingt, als ob die Mastaba Ihr Turm zu Babel wird.
Und das Tollste ist: Ohne dass ich es geplant hätte, entspricht der Grundriss genau dem des Petersplatzes in Rom!
Werden Sie auch die Mastaba – wie alle Ihre Werke – nach ein paar Wochen wieder abbauen?
Nein, die bleibt! Sie wird der neue Eiffelturm werden.
Christo
Am 13. Juni 1935 wurde Christo Vladimirov Javacheff in Bulgarien geboren - am selben Tag wie seine spätere Frau und künstlerische Gefährtin, die Französin Jeanne-Claude Denat de Guillebon. Christo studierte an der Kunstakademie in Sofia. 1957 floh er als blinder Passagier in einem Zug von Prag nach Österreich. Nach einem Semester an der Wiener Kunstakademie reiste er nach Paris, wo er sich zunächst als Porträtzeichner in Friseursalons verdingte. Er war noch immer staatenlos, als er 1958 Jeanne-Claude kennenlernte. Die beiden heirateten vier Jahre später und erregten 1962 ganz Paris, indem sie eine Straße mit Ölfässern verstopften, um gegen den Bau der Berliner Mauer zu protestieren. In den folgenden Jahrzehnten fielen Christo und Jeanne-Claude durch spektakuläre Projekte auf, etwa den »Valley Curtain« (1972), die »Surrounded Islands« (1983) oder die Verhüllung von Pont-Neuf (1985) und des Reichstags in Berlin (1995). Dabei stieß das Paar oft auf den Widerstand von Umweltschützern, Lokalpolitikern und sogar Nonnen - Auseinandersetzungen, die nach Christos Verständnis Teil des Kunstwerks sind. 2009 starb Jeanne-Claude an einer Hirnblutung.