»Was die bildende Kunst betrifft, bin ich der Größte des Jahrhunderts«

Andrew Vicari porträtiert Ölscheichs, Aristokraten und Staatschefs – und kam so zu einem märchenhaften Vermögen. Eine Begegnung mit dem vielleicht letzten Hofmaler unserer Zeit.



Man sieht Andrew Vicari nicht an, dass er ein reicher Mann ist. Nicht seinem petrolgrauen Jackett, das trotz Einstecktuch eher wie ein Kittel aussieht, nicht seinen abgewetzten Gucci-Loafern und auch nicht seinem Atelier in Monte Carlo, einer dunklen Kammer im Erdgeschoss eines Altbaus. Doch Andrew Vicari, 73, geborener Waliser italienischer Abstammung und von Beruf Maler, muss reich sein, sehr reich. Englische Zeitungen führen ihn in Listen regelmäßig unter den fünfzig wohlhabendsten Briten, irgendwo zwischen Paul McCartney und Ringo Starr. Über seine Kunst schreiben sie so gut wie nie. Dabei ist er ein großer Mann in China und erst recht in Saudi-Arabien, wo er ab Mitte der 1970er-Jahre Könige und Scheichs in riesigen heroischen Ölgemälden verewigte und dafür einen Haufen Öl-Millionen kassierte. Seine Bilder hängen dort in Museen und öffentlichen Gebäuden. In seinem Atelier lehnen sie nur an den Wänden, es müssen an die hundert sein: Porträts von Caroline von Monaco, Skizzen von Nelson Mandela oder François Mitterrand. Dazwischen viele Pferde im Sonnenuntergang, Frauen in Getreidefeldern, pastorale Szenen. Man könnte Kitsch dazu sagen, doch das würde Andrew Vicari, dem Hofmaler und vielleicht Letzten seiner Art, nicht gerecht. Vor zwei Jahren blieb eines seiner Werke bei einer Auktion in England bei 55 Pfund stehen, was Vicari nicht weiter anficht. In China sei kürzlich eins für 60 000 Euro weggegangen. Ob man Fotos von seinen Bildern hier machen darf? »Natürlich, nur zu.« Was aber gar nicht so leicht ist, da Vicari sich immer gleich mit ins Bild schiebt. »Haben Sie’s im Kasten?« Seine Facebook-Seite hat 19 Fans.

SZ-Magazin: Herr Vicari, es ist sehr dunkel hier in Ihrem Atelier.
Ich brauche nicht mehr Licht. Die alten Meister wie Caravaggio oder Rembrandt haben auch bei Kerzenlicht gemalt.

Was kostet es, wenn man bei Ihnen ein Porträt in Auftrag gibt?
Zwischen 100 000 und 250 000 Pfund.

Die Saudis sollen sogar noch mehr gezahlt haben.

Darüber will ich nicht sprechen. Ich frage mich, warum alle sich immer nur für mein Geld interessieren. Picasso wurde auch nie gefragt, wie reich er ist. Ich habe die islamische Kunst revolutioniert, das ist, was zählt. Haben Sie Ihr Aufnahmegerät auch an?

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Kann man mit Auftragsarbeiten wirklich eine ganze Kunsttradition revolutionieren?
Ich habe die figurative Malerei mit meinen Porträts wieder in der offiziellen islamischen Kunst etabliert, nachdem es über 600 Jahre verboten war, figurativ zu malen. Riad ist ja so was wie der Vatikan des Islam, verstehen Sie?

Sie verbrachten 1974 zwei Jahre in Saudi-Arabien und malten die Herrscherfamilie. Was war das für eine Zeit für Sie?
Ich wohnte in der Präsidenten-Suite im »Intercontinental Hotel«. Der König stellte mir seinen Chauffeur zur Verfügung. Um mich herum waren ständig Schweizer Banker, die auf Tischen schliefen, weil es so wenige Hotels gab. Es war die Zeit des Ölbooms. Tagsüber malte ich, abends wurde gefeiert. Ich hatte eine fantastische Zeit.

Würden Sie jeden malen, solange der Preis stimmt?
Manchmal sage ich Nein, aber dann bieten sie mehr, und ich werde weich. Ich mache es dann, obwohl es mich malerisch nicht interessiert. Maler sind Söldner, wissen Sie.

Wäre es Ihnen egal, wenn der Auftraggeber unsympathisch ist?

Das passiert nie. Ich male nur Leute, die ich kenne oder mag. Aber wenn der Preis stimmt und ich das Geld brauche, zum Beispiel für ein anderes Projekt, tu ich’s. Ich bin Profi. Es gibt immer eine Facette, die Sie aufgreifen und überhöhen können.

Hätten Sie auch, sagen wir, Gaddafi gemalt, wenn er Sie gefragt hätte?

Ach, Gaddafi. Er ist ein Dummkopf. War er immer schon. Der libysche Krieg, der ganze arabische Frühling ist meiner Meinung nach von der CIA gesteuert. Jetzt herrscht dort Anarchie. Das ist nicht Michigan. Der Nahe Osten, die islamische Welt, das ist eine vertrackte Gegend.

Können Sie der arabischen Freiheitsbewegung nichts Positives abgewinnen?
Das geht mir alles am Arsch vorbei. Man kann dort nicht die Macht in die Hände des Volkes legen. Bakschisch, also Schmiergeld und Korruption, ist dort ein Way of Life. Das ist eine blutgierige Region, verstehen Sie?

Nicht ganz.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Einmal fragte mich jemand bei einem Empfang in Riad, ob ich schon mal eine Exekution gesehen hätte. Ich sagte: Nein, aber ich würde gern. Was man halt so sagt, es war ironisch gemeint. Der Typ wandte sich zu einem anderen: Sag mal, wann werden die beiden Mörder exekutiert? Nächstes Wochenende, sagt der andere. Kannst du sie nicht ein wenig schieben, bis Andrew kommt, er wäre gern dabei. Als ich das hörte, wurde mir ganz anders. Es kostete mich zwanzig Minuten, die beiden aus der Nummer wieder rauszuschwatzen.

Andrew Vicari hat sich in Betriebstemperatur geredet. Er spricht schnell und viel. Am liebsten von sich und gern im Superlativ. Und man weiß nicht, was einen mehr irritiert – die Chuzpe, mit der er sich als verkanntes Genie inszeniert, oder seine unzweifelhaften Entertainer-Qualitäten. Wahrscheinlich hat beides seiner Karriere nicht geschadet. Vicari sitzt jetzt auf der Couch seines kleinen Apartments in Monte Carlo und zeigt immer wieder neue Fotos von sich und irgendwelchen wichtigen Menschen. Er hat sich vorbereitet für dieses Treffen. Wir blättern durch Bücher seines Œuvres. Manchmal hält er inne: »Das hier ist auch fantastisch, finden Sie nicht?«


Figuren wie Vicari passen gut zu Monte Carlo mit seinem Glanz, der auf Geld gebaut ist, seiner Hybris und dem Glamour der Vergangenheit. Hier lässt es sich gut leben und von den alten Zeiten träumen. Die alten Zeiten hängen an den Wänden: Vicari mit General Schwarzkopf, Vicari mit einem Scheich, Vicari mit Putin und dazwischen Ehrungen, Ausstellungsposter, Frauen in Kornfeldern. Auf einem Beistelltisch liegt ein Buch mit dem Titel
A Pictorial History of Sex in Films. Schließlich reicht er eine mehrseitige Liste mit Namen von Hunderten Personen, mit denen er angeblich irgendwann mal im Leben Kontakt hatte. Sie soll die Arbeitsgrundlage für seine geplanten Memoiren sein und ist unterteilt in Schauspieler, Literaten, Künstler, Politiker, Aristokraten. Es gibt aber auch eine Rubrik mit dem Titel »Die Unterwelt«. Dort findet sich der Eintrag »Der Henker von Riad«. Die Liste, sagt Vicari, ist nicht vollständig.

Herr Vicari, auf dieser Liste stehen lauter illustre Namen, haben Sie die alle gekannt?
Locker.

Nehmen wir mal Sean Connery. Wann haben Sie ihn getroffen?

Wir waren in diesem Pub in London, wo damals immer die Filmleute abhingen. Es war in den Fünfzigerjahren. Zu jener Zeit arbeitete ich gerade an einem Porträt von Richard Harris. Auf einem Heizkörper saß ein Typ in Cowboyklamotten, Jeans, Jeansjacke. Ich fragte meinen Freund John: Wer ist der Typ? Er: Das ist Sean. Ich: Was macht er? Er: Er möchte Schauspieler werden. Ich schaute ihn an und sagte: Der Typ wird niemals Schauspieler! Ist das nicht lustig? Ich hätte noch eine wundervolle Geschichte, wie Bogart mir beibrachte, Glas zu essen. Erzähl ich Ihnen ein andermal.

Was war mit Truman Capote?

Ich war mal mit Lorenza Mazzetti zusammen, einer Nichte von Einstein, als junger Mann, 1953. Sie machte in einem Film mit damals, und wir waren zu Dreharbeiten in Rom. Eines Tages war uns die Milch ausgegangen. Sie sagte: Nebenan wohnt Truman Capote, vielleicht hat der welche. Ich sagte: Ich werde da nicht klingeln um neun Uhr morgens. Ich tat es dann doch. Capote kam in einem Babydoll zur Tür. Im Hintergrund sah ich jemanden in seinem Bett liegen: Jean Genet. Ich habe Geschichten erlebt, die würden Sie nicht glauben.

Machen Sie ruhig weiter.

Die Chinesen konnten meinen Namen nicht aussprechen. Irgendwann machte mich das wahnsinnig. Ich sagte ihnen: Schaut, ich bin Italiener, ich liebe China. Und was glauben Sie, was dann passierte?

Keine Ahnung.

Ich haben ihnen gesagt,: Nennt mich einfach »Marco Polo 2«. In China bin ich seitdem bekannt als Marco Polo 2! Und damit war das Problem gelöst. Ich hatte immer jemanden um mich herum, der mir einen Sonnenschirm hielt. Bei meiner Ausstellungseröffnung fiel ein Mann auf die Knie vor mir, um meine Hand zu küssen.

Warum?
Ich war 1995 der vierte westliche Künstler, den die chinesische Regierung zu einer großen Ausstellung einlud. Die anderen drei, denen diese Ehre vor mir zuteilwurde, sind schon tot: Miró, Chagall und Rodin. Ich habe Konfuzius gemalt, obwohl sie mir sagten, sie können das nicht zeigen. Sie haben dann ihre Meinung geändert. Ich war der Erste, der Konfuzius malte.

Es gibt ein Foto von Ihnen und Helmut Kohl. Haben Sie ihn auch gemalt?
Nein, aber ich war befreundet mit seiner Frau Hannelore. Sie hat mich sogar mal in Monaco besucht. Manche sagten uns eine Affäre nach, aber das ist Unsinn. Es war die Zeit der RAF. Das hat sie ganz schön mitgenommen. Ich hab sie mal gefragt, wie sie es überhaupt aushält mit den ganzen Sicherheitsleuten im Haus, und sie sagte: Ich betrachte sie einfach wie alte Möbelstücke, ich nehme sie gar nicht mehr wahr. Helmut konnte kein Wort Englisch.

Von allen Persönlichkeiten, die Sie gemalt haben – wer war die angenehmste?
François Mitterrand. Er sah meine Bilder, die ich für Interpol gemacht hatte, und wollte ein Porträt. Er war ein außergewöhnlicher Mann. Er gab Frankreich die Noblesse zurück, die es verloren hatte.

Was haben Sie für Interpol gemalt?

Zwei große Bilder der Justitia. Die üblichen Frauen mit Schwertern und so weiter. Bei der Eröffnung wussten sie nicht, wo sie mich platzieren sollten. Also stellten sie mich zu den geladenen Botschaftern und nannten mich Botschafter der Kunst, was sehr liebenswert ist. Interpol schuldet mir immer noch zwei Millionen Francs.

Warum haben sie nicht gezahlt?
Sie waren pleite. Aber verklagen Sie mal Interpol. Das ist keine gute Idee.Während des Golfkriegs haben die Saudis Sie noch mal engagiert, als Maler des Kriegs. Wie malt man Schlachtengemälde?Ich weiß es nicht. Sie malten sich von selbst.

Die Frage war technisch gemeint: von Fotos oder im Schlachtengetümmel vor Ort?
Von Fotos. Ich muss mehr als 60 000 Fotos geschossen haben. Plus: mein Gefühl über das, was da gerade passiert. Jeder Künstler sollte seinen Krieg haben.

Wie meinen Sie das?
Das Adrenalin. Ich hab es erlebt. Ich war auf einem Minenfeld, verdammt noch mal. Es gibt ein Foto von mir mit all den riesigen Minen um mich herum.

»Ich hasse meine Arbeit«


Es ist Mittag. Vom vielen Reden ist Andrew Vicari ganz hungrig geworden. Er hat uns einen Tisch bestellt im besten Restaurant in Villefranche, einem Küstenstädtchen nahe Nizza, etwa dreißig Autominuten von Monte Carlo. Bevor wir aufbrechen, überreicht er eines seiner Bücher, gefühlte zehn Kilo schwer, in China gedruckt: »Sagen Sie nicht Nein, es ist ein Sammlerstück und hat eine Lithografie drin, es wird mal Millionen wert sein.« Er packt es in eine grüne Plastiktüte der italienischen Supermarktkette Conad.

Rémy Blouin, Chef des Restaurants, begrüßt uns mit zwei lebenden Hummern in der Hand. Es werden Fotos gemacht. Daniel Curzi stößt hinzu, ein ehemaliger Journalist und langjähriger Weggefährte Vicaris. Er ist sein Biograf, aber auch sein Fahrer, Agent, je nachdem, was gerade anfällt. Rémy Blouin kommt mit drei Flaschen Rotwein an den Tisch. Vicari überreicht im Gegenzug eine kleine Zeichnung, Blouin legt zufrieden den Kopf zur Seite: »Magnifique!« Bezahlen muss Vicari hier nie. Noch bevor die Bouillabaisse kommt, ist die erste Flasche leer. Der Lautstärkepegel steigt merklich. Blouin und Vicari haben jetzt einen kleinen Anekdoten-Wettstreit laufen. Irgendwann holt Blouin eine Armbanduhr, die ihm sein Gast Boris Jelzin mal geschenkt hat. Santé, auf die alten Zeiten! Dann schnippt er mit den Fingern und weist einen Kellner an, das Motorboot fertig zu machen. Es wird eine kleine Hafenrundfahrt geben, bis das Dessert fertig ist. Der schwere Wein hat Vicari stiller werden lassen. Zurück am Tisch wechselt er zu Pfefferminztee und wirkt plötzlich ganz nachdenklich.

Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß, Herr Vicari?

Nein. Es ist schrecklich. Ich hasse sie.

Sie hassen sie?

Ja, so wie man auch seine Ehefrau hassen kann.

Warum tun Sie’s dann?

Es ist meine Arbeit. Es ist das Einzige, was ich kann. Was für ein seltsames Leben, das ich mir da ausgesucht habe, Jesus!

Haben Sie nicht erreicht, was Sie wollten?

Manchmal schaue ich mir abends meine Arbeit an und denke: Absolut fantastisch. Am nächsten Morgen komme ich ins Atelier und denke: Was für ein großer Haufen Mist. Manchmal muss mich jemand davon zurückhalten, Bilder zu zerstören. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre nie Maler geworden.

Kann Geld die Künstlerseele korrumpieren, die Inspiration?
Ich habe keine Inspiration. Ich fange um zehn Uhr morgens an zu malen und höre um sieben Uhr abends auf.

Was halten Sie von der zeitgenössischen Kunst?
Interessiert mich nicht. Es ist alles so absurd. Die Tate Gallery hat vor ein paar Jahren eine Dose mit Exkrementen des italienischen Künstlers Piero Manzoni gekauft, für eine sechsstellige Summe. Auf den Dosen steht: »Artist’s Shit«. Mit solchen Leuten kann man doch nicht ernsthaft reden.

Kunst muss nicht nur schön sein.
Kommen Sie! Fallen Sie doch darauf nicht herein. Wie all die anderen blinden Schafe. Und wie heißt dieses andere Mädchen, das immer in der Presse auftaucht … Tracey …

Tracey Emin?
Genau. Sie macht Kunst aus gebrauchten Slips. Warum ist das Kunst? Und der Typ, der das Hai-Zeugs macht … er kann nicht malen.

Sie meinen Damien Hirst.

Er ist ein Scharlatan. Das ist doch alles nur Trickserei. Er kann nicht malen!

Man muss nicht malen können, um Künstler zu sein im 21. Jahrhundert.

Ist mir egal. Ich weiß nur, ich bin ein Maler, ich male meine Bilder in Öl. Und sie sind fantastisch. Was die bildende Kunst betrifft, bin ich der Größte des Jahrhunderts. Das wird eines Tages klar werden. Sie haben doch Ihr Aufnahmegerät an?

Fotos: Didier Boukou