"Schönheits-OPs normieren die Menschen"

Wer mit sich selbst zufrieden ist, hat auch kein Problem, älter zu werden, sagt Waltraud Posch. Im Interview spricht die Soziologin über den Zwang zur Jugendlichkeit, und was es für Heranwachsende bedeutet, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die nicht älter werden möchte.



    SZ-Magazin: Frau Posch, wir haben das Gefühl, dass heute keine Oma mehr aussehen möchte wie eine Oma. Was ist da nur passiert?

    Waldtraud Posch: Ein jahrhundertealter Stereotyp löst sich gerade auf. Die Oma von heute muss nicht mehr automatisch ein selbstloses Wesen sein, das immer verfügbar ist und ständig für die eigenen Enkelkinder Zeit hat. Sie kann sagen: „Ich opfere mich nicht mehr für meine Familie auf. Ich habe lange genug gearbeitet, jetzt genieße ich die Rente.“ Das ist neu. Dazu kommt ein körperlicher Aspekt: Es gibt gerade bei Frauen den wachsenden Druck, nicht altern zu wollen. Oder zumindest, nicht älter aussehen zu wollen.

    Also das, was man gemeinhin Jugendwahn nennt.
    Ich habe etwas gegen Begriffe wie Jugendwahn oder Schönheitswahn. Wenn man von diesen Zuschreibungen ausgeht, dann wäre es ja ganz einfach. Dann könnte man ja sagen: „Frauen, nehmt doch einfach euer Alter an! Wehrt euch nicht dagegen.“ Ich fürchte, es ist etwas komplizierter. Einer der Gründe für das, was man "Jugendwahn" nennt, zeigt sich in vielen aktuellen Studien: Eine Abweichung zwischen dem tatsächlichen Lebensalter und dem gefühlten Lebensalter. Das zeigen Man könnte auch von innerem und äußerem Lebensalter sprechen.

    Die beiden klaffen auseinander?

    Ja. Es gibt heute reihenweise Menschen, die sagen: „Ich fühle mich noch nicht so alt, wie ich bin. Ich habe mich doch innerlich gar nicht verändert.“ Das ist eine relativ neue Entwicklung und sie führt offenbar dazu, dass auch der Körper das innere Lebensalter ausdrücken soll. Da schwingt auch ein etwas neoliberalistisches Konzept mit: Wer fit im Geist ist, muss doch auch fit im Körper sein. Wer seinen Körper nicht beherrscht, der kann auch geistig nicht mehr ganz auf der Höhe sein. Die Maxime lautet: Mein Körper und mein Wesen sollen meine innere Jugendlichkeit bewahren. Frauen scheinen davon stärker betroffen als Männer.
    Ja. Bei Männern wird Älterwerden tendenziell mit Machtzuwachs assoziiert, bei Frauen oft mit Machtverlust.

    Warum?
    Schon alleine deshalb, weil Männer über Jahrzehnte erst im Alter in hohe, mächtige Positionen kamen. Denken Sie etwa an die Politik. Alte Männer waren dadurch schon immer in der Öffentlichkeit stark präsent. Alte Frauen hingegen waren längste Zeit nahezu unsichtbar. Das hat sich zwar schon ein bisschen geändert, aber diese Stereotypen sind tief in der Gesellschaft verwurzelt.

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    Ältere Frauen sind also heute sichtbarer als früher?
    Das betrifft ältere Menschen generell, wie eine Reihe von Untersuchungen zeigt. Zum Beispiel in der Werbung. Mit dieser neuen Sichtbarkeit des Alters werden allerdings ausschließlich seine positive Seiten hervorgekehrt: Alte Menschen sind gesund, erfolgreich, sie sind funktional. Sie halten sich jung. Es gibt Werbespots, die sich genau auf diese vorhin angesprochene Diskrepanz zwischen innerem und äußerem Lebensalter konzentrieren. Sehen Sie wieder so alt aus, wie Sie sich fühlen!

    Wie groß ist der Einfluss von solchen durch die Werbung vorgegebenen Idealen?
    Nun, es ist bestimmt nicht so, dass wir wie die Marionetten an den Fäden von Wirtschaftsunternehmen tanzen. Diese Ideale werden nicht nur von außen produziert. Obwohl wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle spielen, reproduzieren wir Ideale auch durch unsere Handlungen ständig. Wer sich unters Messer legt, der lässt sich ja nicht einen dickeren Bauch machen oder ein paar zusätzliche Falten. Damit verstärken wir genau die Stereotypen, von denen wir uns unabhängig wähnen. In Untersuchungen wird häufig angegeben, dass Menschen sich individualisieren wollen, wenn sie sich schön machen – ob nun durch Schönheitschirurgie oder auch nur durch Schminke. Das ist aber ein Trugschluss. Es hat vielmehr von Normierung als von Individualisierung. Wobei es da starke schicht-spezifische Unterschiede gibt.

    Inwiefern?

    Bei Befragungen zeigt sich, dass Frauen aus benachteiligten Klassen kein Problem damit haben zu sagen: Ja, ich mache mich für meinen Mann schön. Oder: Ich mache mich schön, um anderen zu gefallen. Je höher der soziale Status ist, desto eher wird alles auf einen selbst geschoben: Ich mache das nur für mich. Ich möchte nur für mich selbst schön sein. Ich denke aber, dass man sich dabei etwas vormacht. Wir wähnen uns ja grundsätzlich von gesellschaftlichen Zwängen unberührt. Kürzlich habe ich auf einem Kongress für Schönheitschirurgie einen Vortrag gehalten. Eine Frau aus dem Publikum, eine sehr gebildete Person, hat zu mir gesagt, sie schafft es nicht, mit behaarten Beinen ins Freibad zu gehen. Und wenn selbst sehr reflektierte Menschen auf diese Zwänge so reagieren, sieht man, wie tief das in uns allen verwurzelt ist. Für den freiheitsliebenden Menschen ist es eine Bankrotterklärung, sich einzugestehen, dass man sich für die Blicke der anderen die Beine rasiert.

    Von Botox und Hyaluronsäure ganz zu schweigen.
    Ja. Die Betonung der Freiwilligkeit scheint heute ganz wichtig, auch bei der Schönheitschirurgie. Es gibt da einen staken Gegensatz: Einerseits verfügen wir über viel mehr Optionen als frühere Generationen, es gibt viel mehr Möglichkeiten zur individuellen Entwicklung und Entfaltung. Das beginnt bei der Suche nach einem idealen Ausbildungsplatz, geht weiter bei dem neuen, offeneren Bild, das wir von Partnerschaften haben, bis hin zur optimalen Planung der Rentenzeit. Der Schweizer Soziologe Peter Gross spricht in dem Zusammenhang von der Multi-Optionsgesellschaft. Gleichzeitig verspüren wir einen starken Druck, das alles wahrzunehmen. Einen starken Druck, ständig an uns zu arbeiten. Und das hat natürlich auch eine ziemliche Bedeutung für Heranwachsende.

    Und zwar?
    Jugendliche wachsen heute in einer jugendlichen Gesellschaft auf. Sie haben dadurch wenig Möglichkeiten zur Abgrenzung. Wenn die Mutter, vielleicht sogar die Oma, ähnlich gestylt sein möchte wie die jugendliche Tochter, fällt jungen Menschen die Identitätsfindung deutlich schwerer. Mütter und Töchter gehen heute gemeinsam Kleidung einkaufen. Diese Vermischung hat viele positive Effekte, aber sie führt eben zu Abgrenzungsproblemen.

    Weil das Altern versteckt werden oder gar unsichtbar werden soll?
    Im Gegenteil: Ich glaube, dass das Altern heute stärker thematisiert wird als früher, und das nicht unbedingt verbal. Kinder lernen ja angeblich dann am besten, wenn sie nicht direkt in einer Erziehungssituation sind, sondern wenn sie ihre Bezugspersonen in alltägliche Situationen beobachten. Und was sehen sie? Man zupft sich ständig zurecht, wenn man fotografiert wird, streicht sich die Strähne aus dem Haar oder geht sich schnell schminken. Sie sehen, dass das Altern nicht mehr akzeptiert wird.

    Wie steht es um die Werte, die erst mit dem Alter entstehen? Etwa Lebenserfahrung?
    Schon durch die Bildungsgesellschaft hat Lebenserfahrung an Wert verloren. Junge Menschen haben heute größere Chancen, in Machtpositionnen zu kommen. Das bringt viel positives mit sich, es führt aber auch dazu, dass ein Wert wie Lebenserfahrung nicht mehr so hoch angesehen ist.

    Sie haben eingangs gesagt, man könne den Menschen nicht verordnen, ihr Alter anzunehmen. Welchen Rat geben Sie?
    Eines zeigt sich in Untersuchungen ganz deutlich: Wer mit seinen Lebensbedingungen, mit dem was er erreicht hat, zufrieden ist, der kann das Altern besser annehmen und mit den Ambivalenzen umgehen, die es mit sich bringt. Das ist ja auch logisch: Diese Personen haben weniger das Gefühl, etwas versäumt zu haben, oder etwas in ihrem Leben nicht mehr tun zu können. Aber auch wohlfühlen kann man nicht verordnen.

    Waltraud Posch arbeitet als Soziologin mit Schwerpunkt Körpersoziologie in Graz. Zuletzt erschien ihr Buch "Projekt Körper. Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt" (Campus Verlag 2009)