Dahingerafft

Vor fünf Jahren war das Modehaus Ungaro ziemlich am Ende. Dann kam ein Millionär aus Silicon Valley und wollte die Marke mit viel Geld und Enthusiasmus retten. Aber ...

Als ich Asim Abdullah das erste Mal sah, war er nervös und verschwitzt, sein Haar fiel ihm strähnig in die Stirn und die Hemdknöpfe hielten mühsam seinen Bauch im Zaum. Es war im Januar in Paris, er kam durch die Drehtür des Hotels »Plaza Athénée«, und eine Freundin flüsterte mir zu: »Das ist der Mann, dem Ungaro gehört.«

Ungaro ist ein Begriff, das Modehaus war in den Achtzigern und Neunzigern berühmt. Und man musste sich damals schon sehr dumm anstellen, wenn man eine Luxusboutique in Dallas oder New York führte und es nicht schaffte, ein Ungaro-Kleid zu verkaufen. Es hieß, Männer liebten Frauen in Ungaro-Kleidern, weil der Schnitt, die üppigen Falten, die leuchtenden Farben sie davon träumen ließen, was darunter zu entdecken sein würde. Einer Frau in einem Ungaro-Kleid lagen die Kerle zu Füßen und für dieses Privileg ließ sie sie auch noch zahlen - das war es, was Emanuel Ungaro im Sinn hatte, als er 1967 sein Haus an der Avenue Montaigne in Paris eröffnete: Lasst sie zahlen, die Männer!

Diese Idee und der besondere Glamour seiner Haute-Couture-Kleider machten Ungaro sehr schnell sehr erfolgreich. Fast sein ganzes Geld verdiente er jedoch mit Lizenzen wie zum Beispiel mit der Emanuel-Linie - Blazer und Kleider um die 400 Dollar, die er für Kaufhäuser entwarf. Zu Spitzenzeiten machte er damit 180 Millionen Dollar jährlich. Doch 1996 - niemand weiß genau warum - verkaufte Emanuel Ungaro sein Couture-Haus an die italienische Schuhfirma Ferragamo.

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Zu einem Problem der Couture-Häuser an der Avenue Montaigne wurde der Umstand, dass die Unternehmenskultur stets auf einem strengen Hierarchiedenken gefußt hatte - hier die Angestellten, fast wie Sklaven, da der Modeschöpfer: Alles hielt den Atem an, bis der Meister in seinem weißen Labormantel das Zeichen gab, dass man ihm eine Nadel reichen durfte, erst dann konnte die Arbeit weitergehen. Zu Ungaros Zeiten hatte das funktioniert, und so kam es, dass Ungaro ohne Ungaro etwa 15 Millionen Dollar im Jahr verlor, bevor man diesen Wahnsinn bei Ferragamo erkannte und sich im Jahr 2005 nach einem Käufer umsah. Der einzige ernst zu nehmende Interessent war Asim Abdullah. Als er mir im vergangenen Sommer beim Tee in New York dann zum ersten Mal seine Geschichte erzählte, dachte ich: Das ist eine der traurigsten, die ich je gehört habe; er hat sich wirklich übernommen, und er hat es noch nicht ausgestanden.

Asim Abdullah, Informatiker aus Karachi in Pakistan, hatte in Stanford studiert und in den Neunzigerjahren dank seines guten Geschäftssinns und Timings ein Vermögen in der Technikbranche verdient. So ernsthaft und fleißig er eigentlich war - mitzuerleben, wie Technikaktien in wenigen Monaten um tausend Prozent gestiegen waren, hatte in seinem Gehirn einen Schalter umgelegt und den Spieler in ihm geweckt: Als Asim Abdullah auf einer Geschäftsreise nach Paris hörte, dass Ungaro zu verkaufen war, bekam er Herzklopfen. Da war er 42 und hatte von Mode keine Ahnung. Aber er sehnte sich wieder nach der Spannung, wollte wieder stolz sein, wie damals in den Neunzigern, als er Veo Systems gründete, eine Firma, die Software für den Internet-Handel entwickelte. Sie fusionierte mit Commerce One, Asim Abdullah wurde Geschäftsführer und war beim Börsengang dabei. Dann verkaufte er die Hälfte seiner Aktien und verließ die Firma - ein halbes Jahr, bevor die Technikblase platzte.

»Du meinst doch nicht den Ungaro?«, fragte seine Frau, als er sie in Kalifornien anrief und ihr von seinem Plan erzählte. Klar, er zweifelte, sagt er heute - »bis zur letzten Sekunde«. Aber die Vorstellung, eine Luxusmarke zu besitzen, faszinierte ihn. Und er war sich sicher: Wenn er die »besten Leute« anheuern würde und sie ihren Job machen ließe, würde Ungaro in ein paar Jahren Profit abwerfen. In den letzten Jahren hatte er vor allem Golf gespielt, Oldtimer gekauft und sich auf Auktionen herumgetrieben. Er brauchte eine neue Herausforderung, das fand auch seine Frau. Aber dann lief nichts so, wie Abdullah es sich ausgemalt hatte. Die »besten Leute« entpuppten sich als die falschen, allen voran der Mann, den er zum Chef machte: Mounir Moufarrige; er geisterte schon seit vielen Jahren durch die Pariser Modebranche und erzählte gern, dass er es war, der Stella McCartney zu Chloé geholt hatte. Unter Mounier Moufarrige als Geschäftsführer bei Ungaro allerdings nahmen drei Designer ihren Hut: Peter Dundas, der inzwischen beim Modehaus Pucci zum Star geworden ist; Esteban Cortazar, der nun in New York für sein eigenes Label entwirft; und Estrella Archs, die vor Ungaro unter anderem für Prada und Nina Ricci gearbeitet hat und sich heute ebenfalls auf ihr eigenes Label konzentriert.

In den USA hat sich der Marktanteil von Ungaro inzwischen fast vollständig in Luft aufgelöst. Und weltweit wird der Umsatz der Prêt-à-porter-Linie für nächstes Jahr auf nur noch 13 Millionen Dollar geschätzt. Asim Abdullah hat Gerüchten zufolge 84 Millionen Dollar mit Ungaro verloren; und er zahlt weiter. Er ist dicker geworden und hat wieder angefangen zu rauchen. Asim Abdullah ist ein netter Mensch, anständig, aber für die Modewelt hat er kein Gespür, für ihre unsichtbaren Fallstricke und die Menschen, die einem einfach alles aufschwatzen können. Oder wie hätte er sonst letzten Herbst zulassen können, dass ausgerechnet Lindsay Lohan »künstlerische Beraterin« bei Ungaro wurde? Wer würde jetzt noch ein 2000 Dollar teures Ungaro-Kleid kaufen?

Was eigentlich bringt einen vernünftigen Menschen dazu, so etwas Unvernünftiges zu tun? Eitelkeit? Rastlosigkeit? Sicher, auf jemanden mit Abdullahs Vermögen und seinem etwas flüchtig angelesenen Halbwissen über die Modebranche musste Ungaro verführerisch wirken. Luxusgüter-riesen wie LVMH, zu denen unter anderem das Modehaus Louis Vuitton gehört, hatten dagegen 2005 längst festgestellt, dass es kein Modelabel in Europa mehr wert war, gekauft zu werden - außer denen, die aus gutem Grund sowieso nicht zu haben waren: Chanel und Armani. »Mir ist klar, welches Bild man von mir hat«, sagte Abdullah mir vor einigen Monaten und nahm einen Schluck Tee. »Für die Welt bin ich ein neureicher Typ aus dem Silicon Valley, der sich dieses Modehaus gekauft hat, um damit ein bisschen Spaß zu haben.« Abdullah ist selbst nicht mehr sicher, ob er die vergangenen fünf Jahre nicht komplett vergeudet hat. Er hat es gut gemeint, als er in seinem Modehaus das Hierarchiedenken und die Sklavenmentalität der Couture-Häuser abschaffen wollte. Wenn ihn eine Assistentin fragt, welche Blumen er an der Rezeption haben will, gerät er in Rage: »Entscheiden Sie das! Sie haben doch einen eigenen Kopf!«

Lindsay Lohan als Stilberaterin?

Wie ein Unternehmen florieren soll, in dem so viele Menschen nur die Anordnungen anderer ausführen, versteht Abdullah nicht. In der Mode aber ist es Tradition, dass einer den Ton angibt, und zwar der Designer: Er gibt die ästhetische Richtlinie der Marke vor, und der Geschäftsführer oder Eigentümer hat sie zu befolgen, egal wie albern sie auch sein mag. Als Asim Abdullah beschloss, dass sein Geschäftsführer Mounir Moufarrige das Sagen haben sollte, machte er wohl nur seinen ersten großen Fehler. Moufarrige, ein großgewachsener, jovialer Mann, etwas zu zuckersüß und freundlich, erzählt: Als Abdullah ihn 2006 einstellte, habe der gesagt: »Ich habe keine Ahnung von dieser Branche. Und wenn ich ehrlich bin, will ich auch nichts darüber wissen.« Schnell kam es zum Machtkampf zwischen Geschäftsführer Moufarrige und Chefdesigner Peter Dundas: Moufarrige schrieb Dundas vor, wie die Kollektion auszusehen habe, er wollte mehr Kleider und Drucke sehen. »Das war nicht mein persönlicher Geschmack«, sagt Moufarrige. »Ich habe nur die Wünsche der wichtigen Einkäufer weitergegeben.« Weil Moufarrige in Wahrheit Kreativdirektor spielen wollte, kam es zu heftigen Spannungen bei Ungaro, sagen viele. Der Stylist George Cortina, der mit Peter Dundas bei Ungaro arbeitete, sagt über diese Zeit: »Das war meine schlimmste Erfahrung bisher.« Einmal habe er den Geschäftsführer dabei erwischt, wie er nachts die Reihenfolge von Dundas’ Modenschau umarrangierte, und ihm daraufhin angekündigt, dass dieser ihn aus dem Fenster werfen würde, wenn er nicht aufhörte, sich einzumischen.

Im Juli 2007 verließ dann jedoch Peter Dundas das Modehaus. Das schadete Ungaro - es war klar, dass man danach erst mal keinen neuen Topdesigner für die Marke würde gewinnen können. »Wir hatten jetzt einen schlechten Ruf«, gibt Abdullah zu - trotzdem vertraute er dem selbstbewussten Geschäftsführer Moufarrige weiter. Im Herbst 2007 ging es mit dem Haus Ungaro weiter dramatisch bergab: Da Abdullah keinen großen Namen für sein Label gewinnen konnte, engagierte er einen unbekannten jungen Designer aus New York, Esteban Cortazar. Doch es dauerte nicht lang, bis Moufarrige auch ihm vorschrieb, was er zu entwerfen hatte. »Viele von Moufarriges Ideen waren einfach veraltet«, erzählt Cortazar heute. »Außerdem war Moufarrige für alle im Unternehmen ein Fremdkörper. Es ging immer nur darum, was er wollte.«

2009 drängte Moufarrige darauf, einen Star wie Lindsay Lohan oder Paris Hilton mit ins Boot zu holen, um ein bisschen Wirbel zu machen, der Marke neuen Schwung zu verleihen. Die andere Möglichkeit - eine neue Identität für Ungaro zu entwickeln - würde zu viel Zeit kosten, in der das Haus keinen Profit machte, behauptete Moufarrige. »Ich musste mit ansehen, wie dieser Mensch Asim Abdullah überzeugt hat, dass das der richtige Weg sei«, sagt der Designer Cortazar. »Ich konnte nichts tun, also sagte ich: ohne mich.« So verließ der zweite Designer innerhalb kurzer Zeit das Unternehmen. Moufarrige ersetzte ihn durch die spanische Designerin Estrella Archs, die kein Problem mit Lindsay Lohan hatte, und sagte Abdullah, dass die Chefredakteure der wichtigen Modemagazine Lohans Anstellung für eine gute Idee hielten.

Abdullah begriff langsam, wie viel Macht die Menschen in den Chefetagen der Modemagazine hatten - er hasste es, sich ihnen anbiedern zu müssen, um ihre Gunst zu gewinnen. Trotzdem war er froh, als Moufarrige ihm erzählte, er habe Anna Wintour bei der Vogue besucht und auch sie fände die Lohan-Idee gut: Nun hatte er eine wichtige Chefredakteurin auf seiner Seite. Doch als Lindsay Lohan im Oktober 2009 die neue Ungaro-Kollektion präsentierte, schrie die Presse auf. Und Anna Wintour sagte, ihr habe der Gedanke nie gefallen, Lohan zu engagieren, mehr noch: Sie sei absolut dagegen gewesen. Zwei Monate später, im Dezember 2009, trat Mounir Moufarrige zurück. Er bestreitet bis heute, dass Lohan Ungaro geschadet habe oder dass er, Moufarrige, dafür verantwortlich sei. Stattdessen schiebt er der Chefdesignerin Estrella Archs die Schuld in die Schuhe: »Lindsay, das arme Ding, hatte doch mit der Kollektion nicht viel zu tun«, sagt er. »Aber es war ein Riesentrubel.«

Das ist schon fast die ganze traurige Geschichte. Im Mai dieses Jahres engagierte Abdullah den nächsten Designer, den Briten Giles Deacon. Der 41-Jährige arbeitete schon für Bottega Veneta und Gucci und entwirft seit 2004 auch seine eigene Linie »Giles«. Er besitzt einen kleinen Anteil am Unternehmen Ungaro und hat im Oktober die erste Kollektion in Paris gezeigt; die Reaktionen waren zurückhaltend, aber positiv.

Das Unternehmen sei jetzt ein bisschen wie ein Start-up, sagt Asim Abdullah. Er ist guter Dinge und glaubt, dass Giles Deacon als Kreativchef Maßstäbe setzen kann. Ron Frasch, Geschäftsführer des New Yorker Nobelkaufhauses Saks allerdings sagt, die Luxusbranche sei in der Wirtschaftskrise stark geschrumpft und die Marken würden aggressiv um Kunden werben. Selbst die erfahrensten Profis müssten kämpfen. »Es ist schwer«, sagt er, »wenn man in diese irrationale Branche einsteigt und nichts darüber weiß. Die Leute in der Modebranche können sogar einen verschrumpelten, angefaulten Pfirsich so ins Licht setzen, dass er zum Anbeißen aussieht.« Ähnlich sieht es der Chef eines berühmten französischen Modehauses, der ungenannt bleiben möchte: »Asim Abdullah ist ein ehrenwerter, kluger Mann. Ich halte mich selbst auch für klug. Aber könnte ich kluge Entscheidungen treffen, wenn ich Chef einer Fluglinie wäre? Asim Abdullah sollte die Firma für einen Euro verkaufen und sich ein schönes Leben machen.«

Fotos: AFP, AP