Blasebalg

Während der Arbeitszeit frisch gezapftes Bier trinken zu können mag manchem verlockend erscheinen. Ebenso der lockere Dresscode, die zufriedenen Kunden und das Kantinenessen – jeden Tag Brathähnchen. Wie es einem Bierzeltmusiker auf dem Oktoberfest wirklich ergeht, erfahren Sie hier.


    Donnerstagnachmittag, noch zwei Tage bis zum "O'zapft is". Das Löwenbräu-Festzelt ruht in Frieden: die neuen Bierbänke glänzen, das große Zelt steht leer, nur die Musiker sind da: Kapellmeister Bert Hansmeier und "Die Heldensteiner". Genau genommen sind nur "die Heldensteiner" da, der Kapellmeister fehlt, wo ist er eigentlich? "Der ist da unten drin", weiß einer und zeigt auf eine geöffnete Tür unter dem großen Podium für die Blaskapelle. Dort unten gibt es eine Art Keller, sieh an. Dann steigt Hansmeier hinauf, grüßt bestens gelaunt mit der charmanten bayerischen Variante des "Hallo", dem "Habe die Ehre".

    SZ-Magazin: Herr Hansmeier, vor Ihnen stehen 16 Tage Oktoberfest-Wahnsinn, wie fühlen Sie sich?
    Bert Hansmeier: Ich freue mich. Ja, wirklich. Andere nehmen vorher Urlaub, den brauche ich nicht, ich bin ja schon Rentner.

    Waren Sie Berufsmusiker?
    Nein, wir machen das alle nebenberuflich. Wissen Sie, was mein Beruf war? Da müssen Sie jetzt vom Land kommen, um das zu kennen: ich war Besamungstechniker!

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    Wie sieht Ihr Arbeitstag im Löwenbräuzelt aus?
    Wir spielen werktags von 12 Uhr mittags bis 22.30 abends. Mit einer Stunde Pause von 14 bis 15 Uhr. Am Wochenende machen wir nur eine halbe Stunde Pause und gespielt wird ab 11 Uhr. Insgesamt spielen wir 171 Stunden, hab ich mal ausgerechnet.

    Sie oben auf dem Podest, um Sie herum 6000 feiernde, Bier trinkende Menschen, die gerade abends und am Wochenende recht wild werden, klingt wie ein harter Job...
    Anfang der zweiten Woche beginnt es anstrengend zu werden. Gerade an den Wochenenden ist es immer stressig. Nach dem Oktoberfest lasse ich mir immer bewusst viel Zeit, bis ich die Musiker wieder frage, ob sie im nächsten Jahr auch dabei sind. Die ersten vier Wochen danach brauchst du keinen fragen, erst nach drei Monaten etwa beginnt wieder die Lust darauf.

    Aber der Job an sich - Kapellmeister auf der Wiesn - ist sehr begehrt, oder?
    Es soll Bands geben, die dem Wirt anbieten umsonst zu spielen im ersten Jahr, um auf das Oktoberfest zu kommen. Wir sind eher durch einen Zufall hierher gekommen: Auf dem Volksfest Oberaudorf haben wir für einen Löwenbräuwirt gespielt, der fand uns ganz gut und wusste, dass eine neue Oktoberfestgruppe gesucht wird. Das war vor 13 Jahren, seitdem sind wir hier.

    Was ist hier anders als bei einem Volksfest in Oberaudorf?
    Auf einem normalen Volksfest muss die Kapelle die Stimmung anheizen, hier müssen wir die Leute eher bremsen.

    Wie bremst man ein ganzes Zelt außer Rand und Band?

    Wenn der Sicherheitsdienst etwa zu uns kommt und sagt, dass es zu viel wird, dann spielen wir gerne den Bayerischen Defiliermarsch, dann setzt sich die Jugend hin, das ist nicht so deren Musik.

    Sie haben also keine festgelegte Reihenfolge der Lieder, Sie improvisieren bei Bedarf?
    In anderen Festzelte spielen die immer Punkt 15 Uhr das gleiche Lied, aber ich mag so was nicht. Wir haben eine große Liste, darauf sind alle Lieder durchnummeriert, dann sage ich "jetzt die 4" und dann spielen wir Song Nummer 4. Wenn ich etwa merke, so jetzt passt ein Wiesenhit, dann spielen wir einen Wiesnhit.
    Bert Hansmeier geht kurz die Liste mit den Liedern holen, ein in Plastik eingeschweißtes DinA4-Papier mit durchnummerierten Liedern. (Hier exklusiv die Wiesnhit-Sonderliste aus dem schönen Löwenbräufestzelt: "So ein schöner Tag", "Lasse reden", "Rotes Pferd", "Lasso", Ein Stern", "Ruby ruby", Joanna", "Viva Colonia", "Fürstenfeld", "Country Roads", Hände zum Himmel", Höll", Hey Baby", "You can leave your head on", Let it be", "Hey Jude", All summer long". Nicht verzeichnet: die White-Stripes-Hymne "Seven Nation Army" , denn "da braucht nur der Bassist die ersten Töne anstimmen, dann singt das ganze Zelt von alleine", weiß Hansmeier.)

    Sie steuern die Stimmung im Zelt, ab wann sollen die Leute auf den Bänken stehen?
    Es gibt ein etwas ruhigeres Mittagsprogramm und ein Abendprogramm. Mittags spielen wir traditionelle bayerische Musik oder Glen Miller, die Oberkrainer und Abba. Auch nachmittags ist die Musik eher noch gemütlich. Wenn ich die Bedienungen sehe, wie sie reihenweise Tabletts mit Essen hereintragen, dann kann ich nicht die Stimmung hochkochen lassen. Erst wenn die meisten das Essen beendet haben, so gegen 18 Uhr, dann soll die Stimmung so richtig hochgehen.

    Zeit für eine Anekdote, verraten Sie uns Ihre liebste?
    Einmal, es war noch früher am Tag und nicht so voll, haben wir mit fünf Trompeten ohne Verstärker ein ganz traditionelles Lied gespielt (summt die Melodie), da sehe ich, wie mich eine ältere Frau zu ihr herunterwinkt. "Ich warte schon seit zwei Stunden auf das Lied", sagt sie, bedankt sich und dann ist sie gegangen. Das fand ich schön, dass jemand nur wegen einem Lied ins Zelt kommt.

    Und haben Sie als Zeltkenner noch einen Tipp, den Sie an dieser Stelle geben können?
    Es kommt ja immer wieder vor, dass jemand zu uns hochkommt und von hier aus einen Heiratsantrag macht - das sollte man besser mittags machen, abends ist die Stimmung so gut, da geht das total unter und keiner hört zu.

    Was sagt der Musiker zur Akustik im Festzelt?
    Die ist ein bisschen schwierig: Am Wochenende sind die vielen Leute manchmal lauter als wir, da muss man gegen anspielen.

    Das Zelt schließt um 23 Uhr, können Sie daheim gleich einschlafen?
    Nein, da ist man noch zu aufgedreht. Ich fahre nach der Arbeit immer noch eine Stunde mit dem Zug nach Hause, da kommt man runter und dann brauche ich daheim noch eine halbe Stunde Ruhe bis ich schlafen kann.