Ich singe wie eine Nebelkrähe. Oder, wenn es an die höheren Register geht, wie Fräulein Rita mit dem Frömmeltremolo, die Pfarrhaushälterin, die in unserer Dorfkirche die Orgel spielte und so schrill dazu sang. Ich kann auf meiner grünen Kindermelodica als einzigen Song »Lucky« von Britney Spears spielen. Neulich sprengte ich einen Jodelkurs, weil ich dauernd den Text vergaß. Beim dreistimmigen Gesang verhalte ich mich wie ein Geisterfahrer, der sich in fremde Melodiespuren drängelt. Ich bin aus tiefster Krakeele-Seele unmusikalisch.
Trotzdem träume ich immer schon vom ganz großen Auftritt, von angewandtem Rockstarwesen, mit meiner eigenen Band, die spielen muss, was ich singen will – natürlich würde ich meine Bandleaderrolle ähnlich diktatorisch anlegen wie der von mir sehr verehrte, gerade verstorbene Mark E. Smith. Befeuert wurde dieser Wunsch durch die vielen, meistens leider mittelprächtigen Konzerte, die ich eine Zeitlang besuchte, um darüber zu schreiben, und diverse, oft angeschnarchte Gespräche mit Musikern.
Einmal hatte ich immerhin schon eine Band. Es ist ungefähr 17 Jahre her, während meiner Unizeit in Tübingen. Wir waren nur zu zweit und nannten uns Der kleine Pauli – feinster Studentenhumor, weil damit entweder dieser kleine Maulwurf mit dem grünen Hütchen aus den Fix & Foxi-Heftchen oder aber, mit »y« geschrieben, eine Fachenzyklopädie für Altertumswissenschaft gemeint sein konnte. Unsere damalige Geistesverfassung – und damit auch die Wahrheit – lag irgendwo dazwischen. Wir fanden einen Proberaum neben dem Waschsalon des Studentenwerks. Manchmal wummerte es durch die Wand, wenn mehrere Maschinen gleichzeitig in den Schleudergang fielen. Vor uns probte im selben Raum eine Formation namens African Bongoman, alibimäßig standen da auch tatsächlich ein paar Trommeln, aber die feinen Bongomänner nutzten den Raum unüberriechbar vor allem als Kiffhöhle.
Ich muss gestehen, dass ich eher am Designen von Bandshirts als am Schreiben von Liedern interessiert war, deswegen dauerte es eine Weile, bis Der kleine Pauli neben Coversongs auch Eigenes im theoretischen Programm hatte – ein echter Auftritt vor Leuten kam damals noch nicht infrage. Zu schüchtern. Dafür hatten wir mindestens zwei Spitzensongs. Jeunes gens richtete sich agitatorisch an die jungen Leute, um sie für mehr Hingabe an das Kulturschaffen zu begeistern. Die Zeilen »Jeunes gens / Engagez-vous / Gagnez toujours / Le Prix Goncourt« halte ich eigentlich noch heute für epochal. Ein anderes Lied handelte davon, welche Eigenschaften ich mit berühmten Franzosen teile: Ich war Turmbewohnerin wie Montaigne, Hundeliebhaberin wie Brigitte Bardot und manchmal blau wie ein Yves Klein. Studentenhumor, ich erwähnte es schon.
Dann zog ich weg, und Der kleine Pauli setzte sich zur Ruhe, ohne je angefangen zu haben. Etwas später kam Myspace und die Verheißung, dort als Musiker entdeckt und sofort ein Star werden zu können. Wie es den Arctic Monkeys passierte. Ich hatte mich inzwischen auf Hörnchengesang verlegt: Mit Rumfummeleien im Musikprogramm »Garage Band« pitchte ich meine Stimme in solche Quietschehöhen, dass sie nach Backentierchen im Zuckerschock klang. Nicht mehr schief, sondern niedlich. Der Name meines Soloprojektes war Wir sind Hörnchen, denn mein bestes Lied war ein Nager-Cover von Wir sind Heldens Denkmal, das sich wirklich viel hübscher anhört, wenn Tiere mehrstimmig »Hol den Vorschlaghammer!« quieken. Radio Fritz wurde auf mich aufmerksam und spielte das Hörnchen-Denkmal in einer Sendung. Ich sollte auf einem Festival des Senders auftreten. Es scheiterte daran, dass ich kein Eichhörnchenkostüm in Erwachsenengröße auftreiben konnte. Und an meiner Scheu.
Einen kleinen Gesangsauftritt hatte ich dann doch. Ich war im Rahmen einer Blitzausbildung für Journalisten mit der deutschen Luftwaffe auf Sardinien, um zu üben, wie ich auf hoher See überleben würde, falls ich meine Kampfjetpilotenkarriere mal via Schleudersitz beenden müsste. Am Abend sang ich betrunken mit einem Kameraden in einer klebrigen Karaokebar alle Lieder aus deren Repertoire, die uns luftwaffenmäßig vorkamen, im Wesentlichen Leaving On A Jet Plane und Danger Zone aus Top Gun. Das Publikum war desinteressiert, und am Morgen bekamen wir einen Rüffel wegen unkameradschaftlichen Verhaltens. Es hatte uns jemand verpetzt.
Am nächsten kam ich danach dem flirrenden Rockbusiness, als ich die Band Locas In Love, mit der ich befreundet bin, ein paar Tage lang aushilfsweise als Tourmanager begleitete. Ich scheuchte übermütige Vorbands mit Halsdurchschneide-Gesten von der Bühne, wenn sie ihr Zeitlimit überzogen, reklamierte beim Veranstalter pelzige Kochtöpfe mit schimmeligen Chili-Resten und drehte Fans im Merchandiseverkauf viel zu kleine T-Shirts an, um die Größe-S-Kontingente endlich abzuschmelzen.
Als ich nicht mehr an den musikalischen Durchbruch glaubte, passierte er, im vergangenen Dezember. Ich sollte in Köln in einer kleinen Bar aus meinem Tierbuch Saturday Night Biber lesen, und Locas In Love hatten zur Untermalung freundlicherweise eigens einige Tierlieder geschrieben. In der Probe überraschten sie mich mit einem dritten, abschließenden Lied, das wir zusammen singen sollten, einer Coverversion von Donovans Atlantis. Hastig schrieb ich noch Strophen, in denen es um die Verherrlichung des Ameisenbärs ging. Ich war sehr aufgeregt, als ich am Ende der Lesung das Mikro aus dem Ständer zog. Zugegeben, es war eher Sprechgesang als wirkliches Tirilieren, aber beim (biologisch nicht ganz korrekten) Refrain schwenkten die Menschen die Arme und sangen mit: »Way down below the ocean / Lebt der / Ameisenbär, der Ameisenbär!« Es war ein erhebender Moment für mich, alles, was ich mir immer erträumt hatte. Gut, mein Publikum bestand nur aus ungefähr sechzig Menschen, aber so viel anders kann das vor 60 000 ja auch nicht sein. Watch out for »Rock am Rützel«, der Vorverkauf startet demnächst.
Illustration: Zeloot