Der schöne Schein

Der beste Weg, Geld zu verdienen, ist Geld zu verleihen – das stellt jetzt auch der Sohn unserer Autorin fest. Und wirft damit Licht auf ein Kapitel ihres Lebens, das sie lieber noch geheim gehalten hätte.

Vor ein paar Tagen ging es im Familienkreis mal wieder um das Thema Geldverdienen. Angeblich redet man ja nicht über Geld. Ist aber falsch. Es geht dauernd um Geld, im Leben. Mein Großer sagte zu seinem kleinen Bruder: »Ich hab schon die perfekte Idee, wie man viel Geld verdienen kann.« Guckte der Kleine etwas gelangweilt, er kommt ganz stark nach der Familie der Mutter. Die hat es mit dem Viel-Geldverdienen nicht so. Der sind »Ideale« wichtiger. Das kann einen teuer zu stehen kommen. Also fragte der Großvater, neugierig: »Und die Idee wäre?«

Er werde, sagte daraufhin der Große, einfach mal anderen Geld verleihen. Und dafür dann Geld verlangen, »und zwar üppig«.

Am Tisch im Biergarten trat eine schockartige Stille ein, die Stille nach dem Schuss. Man konnte das Blatt vom Kastanienbaum schweben hören und der Kleine blickte ihm verträumt nach. »Da hast du«, sagte ich in einer eigenartigen Mischung aus Stolz und Erschrecken, »punktgenau den Kern der Sache getroffen.« Der Große blickte mich fragend an und ich sagte – als Mutter will man sein Kind in seiner Brillanz bestätigen, auch wenn sie einem Angst macht: »Super Idee, damit wirst du ganz bestimmt mal wahnsinnig reich werden!«

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Die Erwachsenen holten dann ein bisschen aus, das ist so eine blöde Art in der Familie. Der Großvater begann von Geldverleih, Zinsen, Schulden und »unserem kapitalistischen Bankensystem« zu faseln. Weil das für zehn-, zwölfjährige Kinder recht abstrakt klingt, sagte ich: »Du bist so klug, mein Schatz, du hast sicher beobachtet, wie die Mama seit Jahren im Dispo lebt und da einfach nicht mehr raus kommt, weil das für die Bank ganz toll ist, wenn die Menschen Schulden bei ihr haben, dann müssen sie ihr nämlich andauernd ganz viel Zinsen zahlen und dann wird die Bank megareich.«

»Man nennt das Wucher!«, rief der Großvater grimmig. Und ich dachte, ich muss ihm ja jetzt (noch) nicht erzählen, wie sich das anfühlt: Wenn man nicht mehr arbeitet, um Geld zu verdienen, sondern um sich vom Dispo-Rand wegzurobben wie vom Abgrund, an den man Monat für Monat wieder ranrutscht. Als würde von der Abbruchkante durch das eigene permanente Ranrutschen andauernd was abbröckeln. Der Zins und der Zinseszins. Und wie das ist, wenn die Bank-Tante anruft und vorschlägt, den Dispo noch mal ein klitzekleines bisschen zu erhöhen und man denkt: Nein, bloß nicht, weil das ist psycho, ihr wollt mich ja nur mein Leben lang auf der Abbruchkante hängen lassen, wie Prometheus, ihr Geier. Und weil die Großmutter sah, dass die Aufmerksamkeit (nicht nur) der Kinder abzuschweifen begann, schlug sie vor, jetzt mal gemeinsam einen Namen für die Bank zu überlegen. Bleuel-Bank zum Beispiel. Wörtersuchen ist ein sehr beliebtes Spiel in der Familie. Alle lachten sich halbscheckig.

Bis auf den Großen, der war ganz still geworden. Er spürte, dass er einen Punkt getroffen hatte, einen wunden. Er tat uns ein bisschen leid. Mit seinem genialen Einfall. Der auf so viel Gutmenschentum, Verzweiflung und Furor stieß. Vermutlich war das der Grund, weshalb der Großvater ihm einen Ausweg wies. Als er ihm diesen rätselhaften Satz mitgab, von einem Dichter, Bert Brecht hieß der, und der hat gesagt: »Was ist der Überfall auf eine Bank gegenüber der Gründung einer Bank.«

Man konnte zusehen, wie es anfing zu rattern im Kopf von diesem Kind. Am Abend haben wir dann gemeinsam »Bonny und Clyde« gekuckt, wie sich die wunderschöne Faye Dunaway und der knackige Warren Beatty durch die Lande ballern. Vor dem Einschlafen sagte der Große: »Bankräubersein ist aber auch ganz schön anstrengend.« Ist halt  ein kluger Junge, mein Bänker.

Foto: ArthurVKuhrmeier / photocase.de