Christina Hendricks ist rot und darunter blond und auch sonst eine Männerfantasie. Wenn sie zu Preisverleihungen oder in Talkshows geht, was seit anderthalb Jahren ständig vorkommt, senken die Reporter und Moderatoren den Kopf, nicht aus Ergebenheit, sondern in andächtiger Bewunderung. »Sie sehen aus, wie Frauen aussehen sollten«, hat mal einer live in sein Mikro geseufzt, und als sie lächelnd weiterging, war er trotzdem nicht enttäuscht. Denn Christina Hendricks hat auch einen prächtigen Hintern, der Autor eines Blogs hat ihn mal mit einem Festtagsschinken verglichen. Ohnehin fallen den Menschen bei ihrem Anblick ständig Komplimente ein, die ziemlich altmodisch anmuten: Kurven! Marilyn! Sex! Heutzutage ist man andere Frauen gewohnt – dünnere, knochigere, diszipliniertere, Frauen in pragmatischerer Garderobe, die den Blick nicht aus dem Gesicht schubst. Wenn eine dann unvermutet so saftig daherkommt, ist es, als schiebe jemand nach einem Monat Heilfasten eine Eisbombe herein: Jeder vergisst die guten Manieren und will sich darauf stürzen.
Bezeichnenderweise verdankt Christina Hendricks ihren Ruhm der Virtuosität, mit der sie eine Frau aus den frühen Sechzigerjahren verkörpert. In der amerikanischen Fernsehserie Mad Men (in Deutschland bisher nur im Bezahlsender Fox Channel zu sehen) spielt die 34-Jährige aus Knoxville, Tennessee, eine Chefsekretärin namens Joan Holloway, die in einer New Yorker Werbeagentur arbeitet. Ihre Aufgabe: die Mädchen aus dem Tippsenpool zu beaufsichtigen, die Herren an ihre Meetings zu erinnern und die Zoten der Kollegen zu ertragen. Nach Feierabend mag sie von der Angst gepeinigt werden, unverheiratet zu bleiben, doch im Büro ist sie die Bienenkönigin. Männer spenden ihr stehende Ovationen für ihren Hüftschwung, die Kolleginnen bewundern ihre robuste Art. Mad Men zeigt, wie die Angestelltenwelt in den frühen Sechzigern war, ehe der Feminismus ein paar zivilisatorische Standards durchsetzte: ein Männerclub, der sich für unwiderstehlich hält, Kette raucht, schon am Vormittag trinkt und nur nebenbei arbeitet. Frauen dürfen Telefonate vermitteln, Termine koordinieren, zum Diktat stöckeln und sich auch sonst zur Verfügung halten – sie tun es in der Hoffnung, irgendwann vielleicht geheiratet und anschließend in ein Haus im Grünen umgetopft zu werden. Wenn die ewigen Sprüche und Grabschereien zu respektlos werden, verliert man erst auf der Toilette die Fassung und zieht hinterher den Lidstrich nach. Es ist, an jedem einzelnen Werktag, eine unerträglich harte Welt für Frauen.
Dummerweise sieht diese Welt verführerisch gut aus: Die Männer tragen akkurat geschnittene Anzüge und kämen nie auf die Idee, sich seltsame Gelfrisuren zuzulegen. Die Frauen stecken in fantastischen Kostümen, das Büromobiliar kommt aus den Tropen und nicht von Ikea, die Autos haben noch keinen Katalysator, dafür Aerodynamik. Sobald man das sieht, möchte man auf der Stelle durch einen Zeittunnel in die Sechzigerjahre kriechen, in eine Zeit, in der die Oberflächen noch Glanz hatten, die Verzweiflung in der Tiefe gehalten wurde und das Büroleben noch nicht so casual war. Abgesehen von den Sitten. Aber auch gegen lockere Bemerkungen und lockere Hände kann man sich wehren, wie das Beispiel Joan Holloways zeigt. Eine spitze Bemerkung im rechten Moment lässt jeden Frauenheldendarsteller und jedes Hosenzelt aufs kümmerliche Normalmaß schrumpfen. Das Schönste an der Frau, die von Christina Hendricks gespielt wird: Man verwechselt sie keine Sekunde lang mit einem jener Dekohäschen, für die Frauen ihres Körperbaus in unseren Nullerjahren gehalten werden. Sie ist ein Busenwunder. Blöd ist sie nicht.
Aus diesem Grund wird Hendricks auch von vielen Frauen bewundert. Natürlich sagt es viel über unsere Zeit aus, dass eine großartige Schauspielerin wieder einmal nur ihres Körpers wegen zur Sensation wird. Aber so sind die Zeiten eben. Frauen, die Größe 38 oder 40 statt »size zero« tragen und sich weder mit Diäten noch bei Workouts schinden, tauchen im Kino und im Fernsehen entweder als patente Kameradinnen oder dümmliche Bimbos auf – beides gleichermaßen entwürdigend. Die Hauptrollen, die guten Männer, den tollen Sex und die Macht bekommen immer die anderen, die Dünnen und die Taffen. Deswegen kann man die Begeisterung über Christina Hendricks gut verstehen. Sie hat etwas mit Erleichterung zu tun. Endlich wird der Beweis geführt, dass auch eine pralle Frau heiß wie die Hölle, stylish genug für die Vogue und schlauer als die Männer sein kann, mit denen sie schläft.
Ist das jetzt schon »the end of thin«, das Ende des Zwangs zur Magerkeit, wie eine englische Feuilletonistin jubilierte? Wahrscheinlich nicht. Aber ein wenig Ermunterung für zufällig etwas kurviger geratene Frauen, sich eine Silhouette zu gönnen, statt ihren Körper mit Säcken zu verhüllen und sich möglichst unsichtbar zu machen. Und nebenbei auch ein kleiner Hinweis an die superdrahtigen und superdisziplinierten Geschlechtsgenossinnen, nicht immer so herablassend über die voluminöseren Kolleginnen zu denken, wie sie es häufig tun. Natürlich ist es armselig, dass Frauen immer noch danach beurteilt werden, wie sie aussehen. Aber ist es nicht ebenso schäbig, Frauen mit einem Körper, wie Christina Hendricks ihn nun einmal hat, fast automatisch gering zu schätzen – bloß für den Körper, den sie haben?
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Der Drink zum Thema: natürlich Martini – auch wenn schon Dorothy Parker davor warnte ("Nach dem dritten liege ich unterm Tisch, nach dem vierten unter meinem Gastgeber"). Peter Praschl empfiehlt ein Verhältnis von fünf Teilen Gin zu einem Teil Wermut. Alles andere ist entweder ein Dessert oder Angeberei, die seit der Ära der Mad Men nicht mehr in Frage kommt.