Die gerupfte Narzisse

Über Britney Spears wurde jetzt genug gesagt, geschimpft, gelacht. Der Rest ist Arbeit für die Wissenschaft. Eine psychoanalytische Diagnose.

In einer Zeit, in der andere gerade lernen, die Pubertätspickel zu überschminken, war Britney Spears schon ein Superstar, mit 17 Platz eins der Charts, das meistverkaufte Debütalbum der USA, nichts als Rekorde. Dieselbe Britney Spears stellt heute durchgeknallt und mit Drogen voll gepumpt die verrücktesten Dinge an. Zwar ist gerade Blackout, ein neues Album von ihr, erschienen, aber eigentlich ist sie damit beschäftigt, um das Sorgerecht für ihre Kinder zu prozessieren. Und sie hat viel Chaos hinter sich: Hat geheiratet und ließ nach 58 Stunden ihre Ehe annullieren, zeigte sich ohne Unterwäsche den Paparazzi, beging Fahrerflucht, ließ sich den Kopf rasieren.
Was ist mit der Frau los?

In der Narzissmusforschung werden solche Fragen gern umgedreht. Also nicht: Wie werden aus braven Kindern Verbrecher? Sondern: Wie kommt es, dass sich der Zweijährige, der bei der kleinsten Versagung (Enttäuschung oder Verweigerung) in Wut und Rachsucht ausbricht, zu einem disziplinierten Schulkind entwickelt? Jugendliche sind Mischwesen, in ihren Fähigkeiten den Erwachsenen mindestens ebenbürtig, aber noch verspielt; sie leben in inneren Märchen. Um ihre Persönlichkeit zu festigen, braucht es ein günstiges Gemisch aus Anerkennung und Frustration. Die richtige Menge von Versagungen soll das Selbstgefühl realitätstauglich formen, ohne den gesunden Narzissmus zu zerstören. Verwöhnte Kinder scheitern an der Wirklichkeit; verängstigte können ihre Potenziale nicht verwirklichen.

Ein Mensch, der schon in der Pubertät ständigen Erfolg hat, erlebt zu selten, dass sich die Welt nicht all seinen Träumen fügt. Britney musste sich nicht – wie etwa ihre ältere Kollegin Madonna – erst mal ein paar Jahre irgendwie durchschlagen. Doch Erfolg übt einen Sog aus; er verstärkt das, was Heinz Kohut, der Pionier der Narzissmusforschung, das »archaische Größenselbst« nennt. Der betroffene Mensch kann nicht zwischen realen und imaginären Fähigkeiten unterscheiden. Je erfolgreicher ein jugendlicher Star, desto gefährlicher das »Größenselbst«. Es flüstert ihm ein, er könne jeden Widerstand besiegen, er stehe über dem Gesetz.

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Narzisstische Störungen sind keine Krankheiten wie eine Virusgrippe oder ein Beinbruch, die in allen Gesellschaften ähnlich aussehen. Sie sind immer auch die Karikatur sozialer Werte. In einem durchschnittlichen deutschen Gymnasium gibt es mindestens 20 anorektische oder bulimische Schülerinnen; in den Armutsvierteln von Kalkutta oder Kairo ist dieses Krankheitsbild unbekannt.

Ein Mädchen, das noch in Prinzessinnen-Träumen lebt und über Nacht zur Queen of Pop mutiert, bräuchte schier übermenschliche Disziplin, um seinen Größenfantasien nicht zum Opfer zu fallen. Diese sind vor allem in Liebesbeziehungen schlechte Ratgeber. Die narzisstische Grandiosität fordert bedingungslose Bewunderung – und Trennung im Augenblick der ersten Versagung. In ihr gibt es nur Idealisierung und Entwertung, grandioses Glück und pathetisches Scheitern. Als Britney Spears ihren Geschwindigkeitsrekord in Heirat/Scheidung aufstellte, folgte sie nicht nur einer besoffenen Laune. Sie demonstrierte vor allem das für die narzisstische Grandiosität charakteristische Kippen von der Idealisierung in die Entwertung, von der süßesten Liebe in den Abgrund der Verachtung.

Erfolgreiche Musik für das Poppublikum zu machen ist Selbstdarstellung und Industrie zugleich. Diese Arbeit festigt das Selbstgefühl. Aber was tun, um nach dieser Arbeit zu entspannen, ohne an fantasierter Größe einzubüßen? Jetzt rächt es sich, wenn der Star sein Privatleben der Karriere geopfert hat. Denn Niederlagen im Beziehungsleben erzeugen sofort panische Ängste, gänzlich zu scheitern. Und um diese Angst zu bekämpfen, werden Drogen unentbehrlich – Alkohol, Kokain, Ecstasy. Sie führen dazu, dass ein überangepasstes Kind, das alles tat, um zu gefallen, in seiner Verzweiflung auch probiert, eine böse Göre zu sein. Aber das verstärkt nur die Angst: Mit dem Erfolg ist dieses Leben Mist; ohne ihn noch viel mehr.

Welche therapeutischen Möglichkeiten gäbe es für Britney Spears? Die primitive Größenfantasie ist ein ernstes Therapiehindernis. Wer alle die Misserfolgszwerge um sich herum überragt, kann sich doch nicht von ihnen beibringen lassen, wie man eine gute Mutter ist oder so Auto fährt, dass man den Führerschein behält. Der Weg in die Gesundheit wird schmerzlich sein, weil er ein Schrumpfungsprozess ist. Er verlangt zu erkennen, dass man kein Übermensch ist, wenn man 80 Millionen Platten verkauft hat. Erst dann könnte Britney den Halt gewinnen, den sie braucht, ihre Ängste zu ertragen. Möglicherweise wäre es für sie gerade gesund, wenn ihr neues Album floppte. Und der Joker in Britneys Entwicklung sind sicher die Drogen.

Teuflische Verstärker der narzisstischen Störung, die aus harmloser Selbstüberschätzung pathologische Entgleisungen machen. Sie löschen Reifungsschritte. Es gibt eine psychologische Regel, die besagt, dass man für jedes mithilfe von Rauschmitteln überstandene Jahr zwei vom Lebensalter abziehen muss, um ein realistisches Bild der Persönlichkeit zu gewinnen. Wenn wir mal grob schätzen, dass sie seit vier Jahren Drogen nimmt, dann ist Britney trotz ihrer 25 Jahre psychisch 17. Baby one more time.

Der Autor ist Psychoanalytiker und hat mehr als 40 Fachbücher verfasst, darunter etliche Standardwerke (z.B. »Die hilflosen Helfer«).