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Warum prickelt Champagner? Erkenntnisse eines Physikers, der tief ins Glas schaut.

SZ-Magazin: Wie kommt ein Physiker auf die Idee, sich mit Champagnerbläschen zu beschäftigen?

Gérard Liger-Belair: Ich bin nicht nur Physiker, sondern auch Fotonarr, und wollte schon immer Nahaufnahmen von Bläschen in Flüssigkeiten fotografieren. Vor acht Jahren fing ich mit Mineralwasser und Bier an. Irgendwann landete ich beim Champagner.
Wieso das? Ganz einfach: Champagner hat zwei- bis dreimal so viele Bläschen, weil er dementsprechend mehr gelöstes Kohlendioxid enthält. Das hängt mit dem Gärungsprozess zusammen. Beim Brauen von Bier wird viel weniger Zucker zugesetzt als bei der Herstellung von Champagner. Mehr Zucker heißt mehr Kohlendioxid.
Was haben Sie dann mit Ihren Fotos gemacht? Als ich ein paar spektakuläre Bilder zusammenhatte, dachte ich, die Champagnerhersteller könnten sich vielleicht dafür interessieren. Also schickte ich sie an Moët & Chandon. Die Leute waren begeistert. Erst recht, als ich ihnen erklärte, dass ich meine Beobachtungen auch wissenschaftlich untersuchen wollte. Schon hatte ich einen Sponsor für meine Doktorarbeit.
Bevor wir auf die physikalischen Details der Bläschen kommen: Können Sie kurz erklären, wie Champagner überhaupt hergestellt wird? Sicher. Der erste Schritt ist, wie gesagt, die alkoholische Gärung. Dem Traubenmost wird Hefe zugesetzt, die mit dem Zucker aus dem Most reagiert. Dabei entstehen Alkohol und Kohlendioxid. Das Kohlendioxid verflüchtigt sich aber, weil die Gärung im offenen Gefäß stattfindet. Bis dahin läuft alles wie bei der Herstellung von Weißwein.
Wann wird aus dem Weißwein Champagner? Das beginnt mit dem sogenannten Verschneiden. Um den typischen Geschmack von Champagner zu erhalten, mischt der Kellermeister verschiedene Weißweine, im Extremfall bis zu vierzig. Eine enorme Verantwortung, wenn man bedenkt, dass Champagner mindestens 15 Monate im Keller lagert, wenn nicht sogar einige Jahre. Erst dann zeigt es sich, ob die Mischung gestimmt hat.
Und wann entstehen die Bläschen? Bevor das Gemisch in den Keller wandert, gärt es zum zweiten Mal – nun in einer geschlossenen Flasche. So bleibt das Kohlendioxid in der Flüssigkeit und bildet später die Grundlage für die Champagnerperlen.
Wars das?Noch nicht. Nach dem Lagern werden die Champagnerflaschen gerüttelt, um die toten Hefezellen zu entfernen. Das machen heute Maschinen. Die Flaschen stehen dabei auf dem Kopf. Dann friert man den Flaschenhals ein, sodass ein Eispfropfen mit den toten Hefezellen entsteht. Dann wird der Korken kurz geöffnet und unter dem frei werdenden Druck schießt der Eispfropfen mit der Hefe heraus.
Aber auch ein paar Tropfen von dem kostbaren Champagner. Richtig. Deshalb wird am Schluss etwas Likör zugesetzt. Je nachdem, wie süß der ist, bezeichnet man den Champagner als »brut«, also sehr trocken, oder »doux«, sehr süß. Fertig!
Was halten Sie von Leuten, die Champagnerkorken knallen lassen? Mache ich eigentlich auch gern. Aber hier in der Champagne kommt das nicht gut an. Außerdem kann es böse enden. Der Korken fliegt nämlich mit bis zu 50 Stundenkilometern aus der Flasche. Früher, als die Glasbläserei noch in den Kinderschuhen steckte, platzten die Flaschen häufig. Wer einen Champagnerkeller betrat, trug deshalb eine Gesichtsmaske.
Woraus trinkt man Champagner am besten? Kelch oder Schale? Mir ist ein schmales hohes Glas lieber. Man kann darin schöner beobachten, wie die Bläschen aufsteigen. Außerdem prickelt der Champagner in der Schale nicht so lange, weil das Kohlendioxid über die größere Oberfläche schneller entweicht.
Womit wir wieder bei den Bläschen wären. Was haben Sie zu diesem Thema Bahnbrechendes herausgefunden? Die überraschendste Entdeckung ist sicher, dass der Champagner im Glas nur perlt, wenn auf der Innenwand etwas Schmutz haftet. Ich meine damit mikroskopisch kleine Teilchen, wie sie millionenfach in der Luft herumschwirren. Oder winzige Stofffasern vom Trockentuch. Im Inneren dieser Teilchen bleiben nach dem Einschenken kleine Hohlräume. Hier entstehen die Bläschen.
Ohne Dreck keine Bläschen – über diese Nachricht werden sich die Hersteller nicht sehr gefreut haben. Kann man wohl sagen. Einige waren richtig schockiert.

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Bedeutet das umgekehrt: Wenn der Champagner nicht prickelt, ist das Glas zu sauber? Theoretisch ja. Wir haben das im Labor getestet und ein Glas so gereinigt, dass tatsächlich nichts mehr sprudelte. Dazu brauchen Sie allerdings Chromschwefelsäure, die für gewöhnlich niemand zu Hause herumstehen hat. Und das ist auch gut so. Wenn im Champagnerglas also keine Bläschen entstehen, dann wohl eher, weil der Korken undicht war.
Was ist dran an dem Spruch: Je kleiner die Bläschen, desto besser der Champagner? Dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis. Würde mich aber nicht wundern, wenn es so wäre. Beim Lagern des Champagners entweicht über den Korken immer ein bisschen Kohlendioxid – umso mehr natürlich, je länger er im Keller liegt. Lange gereifte Champagner von hoher Qualität enthalten deshalb weniger Kohlendioxid und bilden im Glas kleinere Bläschen.
Aber zu wenig Kohlendioxid ist wahrscheinlich auch schlecht. Ja, es gibt ein Limit von etwa zwei Gramm Kohlendioxid pro Liter Flüssigkeit. Unterhalb dieser Grenze entwickeln sich keine Bläschen mehr. Das ist der Grund, warum es hin und wieder passiert, dass jahrzehntelang gelagerte Champagner nicht mehr perlen. Nicht gerade förderlich für den Geschmack, kann man eigentlich nur noch wegschütten.
Auf Ihren Fotos erkennt man, dass Bläschen wachsen, wenn sie im Glas aufsteigen. Und wie! Von der Entstehung bis zum Zerplatzen vergrößern sich die Bläschen um den Faktor eine Million. Während sie aufsteigen, wandern weitere Kohlendioxidmoleküle in die Bläschen. An der Oberfläche erreichen sie deshalb einen Durchmesser von fast einem Millimeter.
Außerdem sieht man auf den Bildern, dass die Bläschen zuerst gerade aufsteigen. Dann fangen sie an zu rotieren. Wie das? Solange die Bläschen einen Durchmesser von weniger als drei Millimetern haben, sind sie beinahe rund. Werden sie größer, so ändert sich ihre Form. Sie sind dann eher oval und wandern deshalb auf einer spiral- oder zickzackförmigen Bahn nach oben. Diesen Effekt sieht man aber nicht im Champagnerglas, weil die Bläschen erst einen Millimeter groß sind, wenn sie an der Oberfläche platzen. Man braucht ein Glas von mindestens zwanzig Zentimeter Höhe, damit die Bläschen die erforderliche Größe erreichen. Zum Beispiel ein Aquarium.
Oder eine Maß Bier. Habe ich nie ausprobiert. Ist aber vorstellbar, ja.
Was passiert, wenn die Bläschen an der Oberfläche platzen? Das ist ein sehr komplexer Vorgang. Im Prinzip läuft dabei Folgendes ab: Wenn ein Bläschen die Oberfläche im Champagnerglas erreicht, dann reißt irgendwann die Haut auf. Das entstehende Loch wird schnell größer. Wo das Bläschen war, ist nun eine Vertiefung, in die von allen Seiten Flüssigkeit strömt. Diese Ströme treffen in der Mitte aufeinander, sodass etwas Flüssigkeit nach oben spritzt – die sogenannten Jettröpfchen.
Sie haben sicher auch gemessen, wie viele Jettröpfchen aus einem Glas Champagner so spritzen. Gemessen nicht, aber man kann das leicht schätzen: In einem frisch eingeschenkten Glas platzen etwa hundert Bläschen pro Sekunde. Pro Bläschen ent-stehen etwa fünf Jettröpfchen. Insgesamt schießen also 500 Jettröpfchen pro Sekunde empor. Diese Tröpfchen sind übrigens sehr wichtig für den Geschmack, weil sie extrem viele Aromastoffe enthalten.
Heißt das: Champagner schmeckt frisch eingeschenkt besser, als wenn er ein paar Minuten im offenen Glas ist? So ist es wohl.
Was macht man dann mit einer übrig gebliebenen halb leeren Flasche Champagner? Einen Löffel in den Flaschenhals stecken? Das bringt überhaupt nichts. Nur spezielle Korken können verhindern, dass Kohlendioxid aus dem Champagner entweicht. Aber am besten trinkt man die Flasche ganz aus.
Können Sie das nach acht Jahren Forschung überhaupt noch: einfach so Champagner trinken, ohne gleich irgendwelche Berechnungen anzustellen?
Schon. Aber tatsächlich schaue ich mir das Glas zunächst eine Zeit lang an, bevor ich den ersten Schluck nehme. Das ist für mich wie Hypnose. Gérard Liger-Belair, 35, ist Professor für Physik an der Universität Champagne-Ardenne in Frankreich. Seit acht Jahren erforscht er die physikalisch-chemischen Vorgänge in kohlensäurehaltigen Getränken und begeistert damit nicht nur die Fachwelt: Seine Detailaufnahmen von Champagnerperlen wurden in mehreren Kunstgalerien ausgestellt.