»In unserer Gegend lag der Blues einfach in der Luft«

Jazz-Legende Mose Allison erzählt vom Überlebenskampf der Jazz-Musiker, von den Problemen, die das Publikum mit seinem lakonischen Humor hatte – und von seiner Jugend am musikalisch fruchtbarsten Ort der US-Geschichte, dem Mississippi-Delta.

Foto: Anti-Records

Mose Allison wirkt manchmal wie ein Zeuge einer längst vergangenen musikalischen Ära. Es gibt nicht mehr viele Musiker, die aus erster Hand vom Vorkriegs-Blues im Mississippi-Delta berichten können, und die in den dortigen Baumwollfeldern musikalisch sozialisiert wurden. Andererseits ist Mose Allison, 82, alles andere als ein Relikt. Er schreibt weiterhin neue Songs, spielt um die hundert Auftritte pro Jahr und hat nun unter der Ägide des Produzenten Joe Henry sogar ein exzellentes neues Album aufgenommen. Auf The Way Of The World (Anti-) präsentiert er die Mischung aus lakonischem Humor und eigenwilligem Jazz-Piano, die ihn bekannt gemacht hat; ein Alterswerk ist das Album allerdings nicht: Im Prinzip hört er sich noch genauso an wie 1957, als er mit dem später von den Who gecoverten »Young Man Blues« debütierte. Vor ein paar Wochen hatte ich Gelegenheit, mit Mose Allison zu telefonieren.

Sie sind 1927 geboren worden, mitten im Mississippi-Delta. Wenn sie an diese Zeit zurückdenken ...
... sehe ich als erstes das Haus vor mir, in dem ich geboren wurde. Ein Bauernhaus, drei Meilen südlich eines Ortes namens Tippo. In unserem Haus gab es ein mechanisches Klavier. Mein Vater hat mir als Kind erlaubt, den Stride-Stil zu lernen; ich habe ihn mir einfach vom mechanischen Klavier abgeschaut. Als ich fünf war, habe ich dann Unterricht erhalten.

Das Mississippi-Delta ist der Geburtsort des Blues. Haben Sie davon als Kind etwas mitbekommen?
Klar, schon als ich wirklich jung war. Der Blues war überall. In unserer Gegend lebten hauptsächlich schwarze Pachtbauern, da lag der Blues einfach in der Luft. Bloß Bluesmusiker habe ich damals keine gekannt, außer einem, der in Tippo gespielt hat.

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Gab's denn da unten bei Ihnen schon Schallplatten?
In der Tankstelle in Tippo hatten wir eine Jukebox. Die war hauptsächlich mit Country Blues bestückt, dazu noch mit ein bisschen Swing und Countrymusik. Außerdem hatte eine meiner Cousinen ein Grammophon. Das musste ich aufziehen, weil sie keinen Strom hatten, dann konnte ich Platten von Louis Armstrong und Earl Hines hören. Musikalisch betrachtet war das Delta also auf jeden Fall ein guter Ort, um aufzuwachsen. Schon als Kind habe ich verschiedene Stile der amerikanischen Musik kennengelernt.

»Willie Dixon hat gesagt: Blues is the truth. Diesem Leitspruch bin ich gefolgt: Ich wollte Songs schreiben, die wahr sind«

Warum war das Delta musikalisch so fruchtbar?
Das lag hauptsächlich daran, dass dort so viele schwarze Pachtbauern wohnten. Es gab ein paar weiße Landbesitzer, aber die Schwarzen waren in der Mehrheit. Sie waren die bestimmende kulturelle Kraft.

Was hat Ihnen am Blues gefallen?
Als Kind vor allem die anzüglichen Nummern!

War es ungewöhnlich, dass Sie als Weißer sich für Schwarze Musik interessierten?
Nein, diese Frage kam erst auf, als ich Mitte der Fünfziger nach New York gekommen bin. Als ich gesagt habe, dass ich ein weißer Blues-Sänger sei, wurde ich teilweise heftig angepöbelt.

Und im Süden ...
... war es kein Thema, da hat den Leuten einfach meine Musik gefallen. Aber dort gab es zu dieser Zeit natürlich die Rassentrennung.

Was haben die Leute in New York sonst von Ihnen gehalten?
Die wussten nicht, was sie von mir halten sollen. Ich war ein weißer College Boy, der den Blues sang. Es gab eine richtige Debatte darüber, ob das richtig sei oder nicht. Damit hatte ich ein paar Jahre lang zu kämpfen. Aber ich habe einfach weitergemacht und an meinen Stil gearbeitet, den ich in den Nachtclubs im Süden entwickelt hatte.

Ihr Stil ist einzigartig: Das bluesige Klavierspiel, Ihre ungewöhnliche Stimme, die witzigen Texte – keiner klingt wie Sie!
Ja, einige Leute sagen das. Ich weiß es nicht genau. Ich bewerte meine Musik nicht.

Schon in den Sechzigern haben Sie satirische Texte gesungen, die für die damalige Zeit ganz untypisch waren.
Ich habe nach etwas, gesucht, worüber ich singen konnte, aber ich wollte keine normalen Popsongs singen. Ich wollte lieber bei dem bleiben, was ich am besten kannte, nämlich dem Blues. Willie Dixon hat gesagt: Blues is the truth. Diesem Leitspruch bin ich gefolgt: Ich wollte Songs schreiben, die wahr sind. Herausgekommen sind Songs, die die Leute damals für zynisch hielten. Erst jetzt, vierzig Jahre später, verstehen die Leute endlich meinen Humor.

In einem alten Interview haben Sie gesagt, alle ihre Songs würden in drei Kategorien passen: Slapstick, Gesellschaftskommentar oder persönliche Krise. 
Ja, das habe ich damals gedacht. Jetzt denke ich gar nichts mehr. Ich benutze keine Kategorien mehr.

Im Opener Ihres neuen Albums heißt es »My brain is losing power / 12000 neurons every hour«. Slapstick oder persönliche Krise?
Auf jeden Fall persönliche Krise!

Das Album gefällt mir sehr gut. Joe Henry, Ihr Produzent, hatte mir bereits im vergangenen Sommr davon erzählt. Es heißt, er habe Sie regelrecht beknien müssen.
Ja, drei Jahre lang. Ich habe schon viele Alben gemacht, keines hat sich gut verkauft. Deshalb wollte ich eigentlich keines mehr aufnehmen. Aber Joe Henry ist mir empfohlen worden und war tatsächlich sehr hartnäckig. Da habe ich irgendwann nachgegeben. Schaun wir mal, was passiert.

Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Ich bin niemals zufrieden. Meine eigenen Platten höre ich mir nicht an, wenn ich es vermeiden kann. Hier in den USA gehts nur um's Geschäft. Wenn man keinen großen Umsatz macht, wird man ignoriert. Ich habe nie besonders viel Umsatz gemacht, deshalb werde ich nicht beachtet. Aber ein paar Fans habe ich zum Glück.

Sie stehen seit sechzig Jahren auf der Bühne. Was war die einschneidendste Veränderung in all dieser Zeit?
Eigentlich gar nichts. Am ersten Abend, an dem ich in einem Club auftrat, ging's um dasselbe wie heute: darum, die Musik zu spielen, sie rüberzubringen, sie swingen zu lassen, damit die Leute darauf reagieren. Da hat sich nichts geändert.

Viele Leute bewundern Sie, weil Sie auch mit 82 noch regelmäßig auftreten.
Ja, ich spiele an rund 110 Abenden im Jahr.

Warum sind vor allem Jazzmusiker in dieser Hinsicht so aktiv?
Wir müssen Geld verdienen. Wenn ich nur zu Hause sitzen würde, würde ich verhungern.

»The Way Of The World« von Mose Allison ist am vergangenen Freitag auf Anti- erschienen.