"Ich bin keine Visionärin"

Die Designerin Inga Sempé.

Inspiration? Mit diesem Begriff kann Inga Sempé nicht viel anfangen. Während andere Designer ausschweifend ihre Philosophie erklären, reicht der Französin die Aussicht in den Himmel über Paris. Sie blickt aus dem vierten Stock ihrer Altbauwohnung, gleich um die Ecke der Ateliers von Modedesigner Jean-Paul Gaultier nördlich des Hallenviertels, dann fängt sie an, auf Papier zu zeichnen. »So lange, bis ich die richtige Form gefunden habe.«

So war es auch bei ihrem aktuellen Projekt, der kubischen Lampe »Double Stray« (»doppelte Streuung«). »Ich wollte eine Lampe entwerfen, die an die chinesischen Papierlampen erinnert, ein erschwingliches Designobjekt, das in jede Wohnung passt«, sagt Inga Sempé. Der Lampenschirm besteht aus zwei Röhren, beide in Streifen geschnitten, durch die sich interessante Licht- und Schatteneffekte ergeben. Lampen üben eine besondere Faszination auf Sempé aus, weil sie zwei Facetten haben, beleuchtet und unbeleuchtet: »Das ist magisch, anders als ein unbeweglicher Stuhl.«Double Stray passt zu ihrem Konzept der Alltagstauglichkeit: »Mir geht es darum, dass ein Objekt einfach und praktisch ist.« Diesen pragmatischen Anspruch lebt sie selbst vor: Die Mutter zweier Kinder im Alter von drei Monaten und neun Jahren lebt und arbeitet in ihrer 100-Quadratmeter-Wohnung.

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Ihre Ideen für Hersteller wie Cappellini, Luceplan, Ligne Roset, Edra oder Baccarat entstehen in einem Zimmer von gerade mal 15 Quadratmetern. Ein einfacher Holzschreibtisch mit Computer, einige Prototypen, Aktenordner und ein Zeichenblock, aus viel mehr besteht die Ausstattung ihres Ateliers nicht. Auch sonst ist die Wohnung recht schlicht, eingerichtet nur mit einem Minimum an Möbeln, einigen selbst entworfenen Lampen und Sempés Sofa »Moël«. Kein moderner Designtempel, eher bequem und gemütlich. Darum geht es Inga Sempé auch, wenn sie Objekte entwirft, so wie Moël in Form einer Blüte oder das geschwungene Satin-Sofa »Chantilly« (»Schlagsahne«).

Auf den Pariser Flohmärkten, die sie als Kind jedes Wochenende mit ihrer dänischen Mutter besuchte, entwickelte sie die Leidenschaft für Design. Ihr Zeichentalent hat sie geerbt. Sempés Mutter arbeitete als Illustratorin und ihr Vater ist Jean-Jacques Sempé, der berühmte Zeichner der Kinderbuchserie Der kleine Nick.

Auch ihre Mutter zeichnete zu Hause, deshalb findet Inga Sempé es ganz normal, zwischen Babywindeln Designobjekte zu entwickeln. Wichtig ist ihr die Freiheit, allein zu arbeiten. Ihre Designphilosophie sieht ganz anders aus als die von Andrée Putman, bei der sie einige Zeit beschäftigt war: »Ich entwerfe lieber alltägliche Designobjek-te, als große Konzepte zu ent-wickeln«, erzählt sie. Sie bewundert deshalb Designer wie die Bouroullec-Brüder und Konstantin Grcic, deren schlicht-poetischem Ansatz sie sich verbunden fühlt.

Viele nennen sie den »Couturier« unter den Produktdesig-nern, weil sie mit edlen Stoffen und viel Plissée arbeitet. »Mode inspiriert mich gar nicht«, antwortet sie darauf knapp. Ebenso wenig wie Kunst oder Museen. Sempé sucht bei ihren Entwürfen nach »Esprit, Humor und Originalität«. Deshalb arbeitet sie gern mit Falten, weil sie veränderbar sind.

Wer sie nach Tendenzen für die Zukunft des Designs fragt, erntet nur ein Achselzucken: »Ich bin keine Visionärin.« Statt futuristischer Designobjekte wür-de sie lieber Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände entwerfen. »Zum Beispiel Fenster, damit die endlich mal besser aussehen.«

Inga Sempé, 40, lebt in Paris. Zu ihren Kunden zählen Hersteller wie Edra, Baccarat, Cappellini und Ligne Roset.
Aktuelles Projekt: Double Stray, eine Papierlampe für die US-Firma Artecnica.