Lecko mio, ist das picobello hier

Wir benutzen viele Begriffe, die italienisch klingen, aber nicht italienisch sind. Zum EM-Halbfinale untersucht unser Sprachkolumnist, welche manchmal recht bizarren Pseudo-Wörter aus anderen Sprachen im Deutschen verwendet werden. Capito?

Lecko mio! titelte die Münchner Abendzeitung über den Elfmeterkrimi im Viertelfinale Deutschland - Italien. Ein klassischer Fall von Pseudo-Italienisch - für echtes Italienisch wird das hoffentlich niemand halten. Überhaupt ist Italien längst Europameister, wenn wir nach der Zahl dieser Scherzbildungen im Deutschen gehen: Schickeria, futschikato, klaro, logo, null Problemo, picobello, alles paletti. Ein paar dieser Beispiele wirken angegraut wie die Herren der Squadra Azzurra, capito? Doch auch lecko mio! hielt ich für längst im Orkus des Sprachwandels verklappt, bis, ja, siehe Abendzeitung.

Nun also Halbfinale gegen Frankreich. Das einzige Land, das noch halbwegs gegen Italien anstinken kann: Stiefelette, Staffage, Schmierage, Stellage. Erkennbares Pseudo-Französisch. Der feine Unterschied: Es sind keine eindeutigen Scherzbildungen wie die pseudo-italienischen Ausdrücke, sie machen bis auf Schmierage einen seriösen Eindruck. Nicht qualifiziert sind französisierende Bildungen, die ungeübten Ohren als echtes Französisch durchgehen, auch wenn sie in Wahrheit kein Französisch sind: Friseur, Raffinesse, Delikatesse. Bleibt die Blamage, aber da warten wir erst mal den Donnerstag ab.

Und ein mögliches Finale gegen Wales? Pseudo-Walisisch, so reizvoll es wäre, bietet das Deutsche nicht. Sprechen ohnehin mehr Englisch, die Waliser. Erstaunlich: Mir ist trotz der vielen Englisch-Importe kein ernsthaftes Pseudo-Englisch bekannt. Dass Public Viewing im Englischen die Aufbahrung von Leichen bedeutet - geschenkt. Das ist doch bitteschön keine Scherzbildung. Es ist der dreiste Versuch, einen englischen Ausdruck zu kreieren, der besser ist als alles, was die englischen Muttersprachler hervorbringen. Unser Handy ist dem englischen mobile phone durchaus überlegen, der Streetworker, der Oldtimer - alles nützliche Ausdrücke, das ist ja das Problem, Scherzfaktor null. Diese Wörter tun für unsere Ohren so, als wären sie korrektes Englisch. Sie sind das komplette Gegenteil von lecko mio. Schmal Wunder, dass England so früh ausschied. Wobei ... kennt jemand Pseudo-Isländisch? Huh haben wir inzwischen gelernt, aber das ist so wenig pseudo wie Eyjafjalljökull.

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Spanisch! Tiki-Taka, das ewige Hin- und Hergeschiebe kurz vorm Strafraum, kann ja spätestens seit Spaniens Ausscheiden gegen Italien als endgültig verabschiedet gelten. Doch was ist von Rex Gildo zu halten? Hossa, Hossa! Aber nein, Mexiko spielt ja gar nicht mit. Gut, dass wir den pseudo-spanischen Stinkadores haben, übrigens mit Geschlechtsumwandlung: Als die Stinkadores eine Zigarre ohne Charakter, als der Stinkadores ein Käse mit Charakter.

Funktioniert Pseudo-Sprache auch innerhalb des Deutschen? Über den Bayern mokiert sich der Unbayer ja gerne. Seppelhosen soll er tragen, der Bayer, und Brezeln soll er essen. Der Norddeutsche bajuwarisiert halt gern. Hängt ein zweckloses el oder l an, nur weil es wahnsinnich urich klingt! Eine Brezel und ein Maß Bier? Das bestellen Sie nur einmal auf der Wiesn und dann nie wieder.

Eine ähnliche Funktion hat das Kraxeln. »Guck ma die Berchkraxler!« musste ich mir, aus den Abgründen des Höllentals zur Zugspitze emporklimmend, von den Gästen der Gipfelseilbahn anhören (was ich mit umwölktem Nordwandblick konterte). Der Norddeutsche kommt sich mit Kraxeln und Brezeln enorm bajuwarisch vor. Der Einheimische wendet sich mit Grausen, der Gast handelt guten Glaubens. Deshalb, leider: kein lupenreines Pseudo-Bairisch.

Schade, dass der Vatikan, schon mangels Fußballplatz, nicht qualifiziert war, denn da harren im Fundus einige schöne pseudo-lateinische Begriffe. Griechenland, noch 2004 Europameister mit Rehakles, durfte wegen der griechischen Krankheit Telefonitis ebenfalls nicht teilnehmen.

Welche EM-Teilnehmersprachen haben also glasklare Scherzbildungen im Deutschen hinterlassen? Das Italienische zuhauf und das Spanische mit seinem einsamen Stinkadores. Doch da gibt es noch einen Teilnehmer: Polen. Darauf wären Sie jetzt, Hand aufs Herz, nicht gekommen, gell? Dabei haben wir bei dieser EM gegen Polen gespielt. Schon während der WM 2006 adelte die Bild-Zeitung den damaligen Trainer Klinsmann zum Polen: »Klinski, putz die Polski!« Das gelang.

Bild-Zeitung beiseite: Fällt Ihnen ein reguläres pseudo-polnisches Beispiel ein, nein? Mir schon, gleich drei von der Sorte, das Spanische somit hochkant aus dem Wettbewerb geworfen: Radikalinski und flottikowski. Und damit tschüssikowski.

Illustration: Nathan Nankervis