Adalet Yürüyüsü heißt der Protestmarsch der Gerechtigkeit durch die halbe Türkei, der am Wochenende in Istanbul eintreffen soll. Ist das nicht wünderbar, ein Wort mit vier ü? yürüyüsü steht dabei für »Marsch«. So etwas schönes haben wir im Deutschen nicht, auch wenn das Schweizerdeutsch dem Türkischen wieder mal am nächsten steht: Beim Sächsilüüte (Sechseläuten) im Zentrum von Zürich jagen gestandene Eidgenossen einen riesigen Schneemann, den Böögg, in die Luft. Einmal üü, einmal öö, stark! Ein normales deutsches Wort mit zwei ö ist mir nicht bekannt, außer zusammengesetzte Wörter wie Schönheitskönigin. Mehrfache ü‘s gibt es schon öfter: Frühstück, gesteigert durch Frühstücksbüfett.
Eingefleischte 68er mögen sich noch an die Krautrockband Amon Düül erinnern. Was uns zum Heavy-Metal-Umlaut bringt: Motörhead und Mötley Crüe benannten sich zwei der erfolgreichsten Heavy-Metal-Bands im englischen Original, angeblich »weil es böse aussieht«. Für Briten und Amis ist halt alles, was deutsch wirkt, unweigerlich nazi. Die Aussprache änderte sich durch die Pünktchen nicht, für deutsche Fans aber doch: Mötley Crüe heißt es hierzulande gern.
Die enorme Exotik des Umlauts machte sich die US-Eiscreme-Kette Häagen-Dazs zu Nutze, die Pünktchen erhöhen den Wiedererkennungswert. Umgekehrt setzen auch deutsche Unternehmen den Umlaut werbestrategisch ein: Mit Göngxi warb eine deutsche Mobilfunkfirma in Peking. Uns selbst bereiten Umlaute durchaus Probleme. Schon ein simples Wort wie Rüböl geht schwer von der Zunge, der Schweizer Familienname Lüönd steht dem nicht nach.
Wann ein oe nur als ein gedehntes o zu sprechen ist? In den Ortsnamen Soest (»Sohst«) oder Itzehoe hört man nur ein gedehntes o. Das gilt natürlich nicht immer: Moers wird mit ö gesprochen und Buchloe mit o-e. Ortsnamen treiben es überhaupt recht bunt: Welche zwei Buchstaben stehen im Namen einer deutschen Großstadt für ein gedehntes ü? München hilft da nicht weiter, wohl aber Duisburg. Gleiches Prinzip bei der Nordsee-Insel Juist (»Jühst«).
Schaephuysen im Rheinland treibt es ganz doll: Zuerst das ae, ausgesprochen wie ein langes a. Und dann das uy, ausgesprochen als langes ü: Schahp-hühsen wäre die ehrliche Schreibweise. Passt ins Bild, dass Schaephuysen zur Gemeinde Rheurdt gehört, ausgesprochen Rhört. Sind sie nicht herrlich, diese Umlaute!
Sogar das Spanische scheint uns nachzueifern: Lingüista heißt da der Linguist. Ist aber kein gesprochenes ü, sondern nur ein Trema wie im französischen noël.
Und womit kann das Deutsche yürüyüsü die Stirn bieten? Allenfalls mit einem Wort, das alle drei Umlaute bietet, also ä, ö und ü. Dieses Wort gibt es, aber wirklich nur eines. Steht sogar im Duden: tränenüberströmt.
Illustration: Nathan Nankervis