Neulich las ich von einem seltsamen Vogel, der im afrikanischen Busch lebt und plötzlich vor einem den Busch durchstreifenden Jäger auftauchen kann, auffällig flatternd und schnatternd: Folge mir!, sagt der Vogel mit seinem ganzen Verhalten. Und folgt der Mensch ihm tatsächlich, führt ihn der komische Vogel zu einem Volk wilder Bienen, das einen hohlen Baum bewohnt. So kommt der Mensch zum Honig, den er liebt - aber warum hat ihm der Vogel den Weg gezeigt? Weil der Mensch nun den Bienenstock plündern wird und damit dem Vogel den Weg frei macht zum Wachs der Bienenwaben, das er frisst (wie er auch die Maden der Bienen verzehren wird) und an das er aber allein nicht herankommt, jemand muss den Stock aufbrechen, zerlegen. Das tut der Jäger, nachdem er ein rauchendes Feuer angezündet hat, das ihn leidlich vor den Bienen und deren Stichen schützt.
Dieser Vogel trägt den Namen Honiganzeiger oder auch Indicator indicator. Ich entdeckte seine Geschichte in dem schönen Buch Symbiosen, das der Zeichner Johann Brandstetter und der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf über bestimmte Arten des Zusammenlebens in der Natur gemacht haben, Hund und Mensch, Wildschwein und Trüffel, Stelzvogel und Krokodil, Titanenwurz und Aaskäfer. Der eine profitiert vom anderen, der andere vom einen, so geht das. Interessant ist insbesondere, dass der Honiganzeiger Wachs zu fressen in der Lage ist, denn eigentlich ist es unverdaulich, jedoch: In des Honiganzeigers Darm leben Bakterien, die helfen, Wachs zu verarbeiten, eine Seltenheit im Reich der Tiere, Menschen und Pflanzen.
Wobei: Nun höre ich von der Wachsmotte Galleria mellonella, die ihre Eier in Bienenstöcke legt. Die geschlüpften Würmer ernähren sich dann von Wachs. Das weiß man natürlich schon lange, aber richtig bekannt wurde diese Tatsache, nachdem die Biologin und Hobby-Imkerin Federica Bertocchini in Santander/Spanien, wo sie an der Universität arbeitet, einen Bienenstock von Wachsmottenraupen säuberte, diese in einer Plastiktüte verstaute, aber schon kurze Zeit später entdeckte, dass die Tiere Löcher in die Tüte geknabbert hatten und geflüchtet waren. Die Mottenlarven fressen also nicht nur Wachs, sondern auch Kunststoff, was kein Wunder ist, denn Wachs, sagt Frau Bertocchini, sei im Prinzip eine natürliche Art von Plastik, dem Polyethylen chemisch nicht unähnlich!
Das ist eine großartige Entdeckung, denn Kunststoff haben wir zufällig im Überfluss, und zwar in Form von Müll. Gelänge es, jene Enzyme oder Moleküle, die im Körper der Wachsmottenraupe die Kunststoffzersetzung besorgen, zu isolieren und das Pulver über Deponien zu verstreuen - wir hätten eine Sorge weniger!
Bruno, mein alter Freund, sagt, er habe, als er dieses las, für einen Moment den Gedanken gehabt: Ja, am Ende wird die Natur durch eine überraschende Entdeckung uns doch von dem einen oder anderen Problem befreien, eine Hoffnung, die er nicht zu haben gewagt hätte und die natürlich auch lächerlich sei, die nun aber für eine Sekunde in seinem Hirn glimmte und ihn zu Gedanken führte wie: Könnte es irgendwo einen unentdeckten Käfer geben, der Atommüll frisst und in Schokolade verwandelt? Oder eine Schnauzbartmotte namens Erdoğan erdoğan, die in den Gesichtern von Diktatoren von deren Oberlippenhaar lebt? Einen Riesenmeerwassersäuferfisch, der uns das Anschwellen der Meeresspiegel einfach wegtrinkt?
Man stelle sich eine Symbiose von Mensch und Motte vor! Oder vielleicht kann auch der Honiganzeiger Polyethylen verdauen, muss nicht mehr Bienenstöcke plündern? Sondern flattert in der Fußgängerzone vor unserer Nase umher und führt uns zu einer Mülltonne mit Plastiktüten, wir öffnen den Deckel, und er, der Plastikanzeiger, ...