So viele von uns sind ja oft über Jahre und immer wieder damit beschäftigt, sich selbst zu suchen und zu finden, aber die Geschichte, die ich im The Reykjavík Grapevine las, »dem unentbehrlichen Führer durch Leben, Reisen und Unterhaltung in Island«, ist doch sehr besonders: Eine Frau aus Asien nahm an einer Busfahrt durchs südliche Island teil, die Gruppe verließ den Omnibus, man wanderte wohl ein wenig, die Teilnehmer kehrten zurück - aber die Frau aus Asien fehlte. Ein Wochenende lang suchte man nach ihr. Schließlich fand man sie: unter den Suchenden.
Es war nämlich so, dass diese Reisende sich während des kleinen Ausfluges umgezogen hatte. Bei der Rückkehr hatte man sie in veränderter Kleidung für eine andere gehalten, und in der dann ausgegebenen Beschreibung der Gesuchten hatte sie sich selbst nicht wiedererkannt, auch mangels Sprachkenntnissen vielleicht. Deshalb hatte die Frau sich den Suchtrupps angeschlossen, durchstöberte Südisland auf der Suche nach sich selbst, ohne eigentlich zu wissen, dass sie auf der Suche nach sich selbst war. Und wenn sie sich nicht selbst gefunden hätte, würde sie vielleicht immer noch zwischen Geysiren, Vulkanen und insolventen Banken vermisst, von den anderen jedenfalls.
Sie selbst war ja die ganze Zeit bei sich, sozusagen.
Übrigens gibt es in der Bloomberg Businessweek zurzeit eine interessante Serie über seltsame Berufe - und wenn jemandem gerade die Hoffnung verloren geht, im Leben seinen Platz zu finden, sollte er sie lesen: Denn es gibt wirklich unglaublich viele Plätze, von denen man nichts ahnte. Man braucht nur eine Idee, eine einzige gute Idee plus die Energie, sie zu verfolgen! Und die Sache läuft. Judi Collora aus Mount Pleasant in Iowa/USA zum Beispiel hat ihrem Mann Sam, der gern Tiere präpariert, in den Achtzigerjahren mal einen lebenden Hirsch geschenkt, als Modell für die anderen, die er ausstopfen wollte. Sam aber begann, den Urin des Hirsches zu sammeln und als Köder bei der Jagd zu nutzen. Weil auch seine Freunde zur Jagd gingen, schenkte er ihnen bisweilen etwas Hirsch-Pipi.
Dann fiel ihm auf, dass der Bedarf größer war. Und, was soll ich sagen? Heute besitzen die Colloras 130 Hirsche und 17 Elche. Sie sammeln deren Urin in unterirdischen Tanks unter den Stallungen, frieren ihn ein, verkaufen ihn nationwide und setzen Millionen um, Dollars meine ich.
Das Problem ist: Es kommt niemand bei deiner Geburt zu dir und sagt: Du wirst dein Geld mal mit Hirschharn verdienen. Man muss es selbst herausfinden.
Jason Leach zum Beispiel, aus Scarborough in England, verfolgt das Projekt einer Art -Bestattungsfirma, bei der man seine Asche in Vinyl pressen kann, sodass man gewissermaßen Opa auf den Plattenteller legen kann; man hört dann seine Lieblingsmusik oder sogar ihn selbst, wie er etwas erzählt, und man weiß: Auf dieser Platte steht nicht nur »Opa« drauf. Da ist auch Opa drin.
Wie kam Jason Leach auf die Idee?
Anscheinend ist es an der Nordostküste Englands nicht unüblich, die Asche der Verstorbenen in den Wind zu streuen, und Leach wuchs mit den Erzählungen seines Vaters auf, der immer erzählte, bei der Bestattungsfeier seines Großvaters auf einem Boot sei etwas schiefgegangen, der Wind drehte plötzlich, und sie hätten am Schluss den Ahnen sozusagen vom Deck schrubben müssen. Bei seinem eigenen Opa, so Leach, sei es ähnlich gewesen, da sei ihnen die Asche ins Gesicht geflogen. Da habe er sich gedacht: Das soll mit mir mal nicht passieren.
Die schönste Idee hatten, schon vor Jahrzehnten, Suzanne Asbury-Oliver und ihr Mann Steve. Sie sind nämlich die führenden amerikanischen Himmelsschriften-Maler, fliegen mit einer mehr als fünfzig Jahren alten De Havilland Chipmunk über Städte und Dörfer und schreiben gegen Bezahlung mit Rauch Zeichen an den Himmel: Wörter, einen Satz, vielleicht auch ein Bild. Was für ein wunderbarer Beruf! Und wie schön wäre es, müsste ich diesen Text hier jetzt nicht in Druck geben, sondern könnte in ein Flugzeug steigen und ihn an den Himmel über der Stadt schreiben!
Illustration: Dirk Schmidt