Das Schöne am Leben als normaler Mensch ist, dass man keine Bierdusche fürchten muss, auch nicht nach allergrößten Leistungen. Was immer geschieht, wie köstlich die Torten sein mögen, die ein Konditor backt, wie ausgefeilt die Schriftsätze sein sollten, die ein Rechtsanwalt formuliert, wie anklagend die Leitartikel eines Leitartiklers je wären – nie muss unsereiner Angst haben, aus der Kulisse könnte ein teuflisch lachender Geselle treten und einen Humpen gelber Flüssigkeit über ihn ergießen.
Im Fußball hingegen gehört die Bierdusche zum Alltag jener, die das Größte erreicht haben, eine Meisterschaft oder einen Pokal – und doch ist sie etwas Ekelhaftes. Warum muss der Mensch ausgerechnet im Moment des vielleicht unwiederholbaren Sieges damit rechnen, in seinen besten Klamotten von Aberlitern Bieres eingesaut zu werden und hernach zu stinken wie ein ungespültes Holzfass?
Andererseits erinnert das an jenes römische Ritual der Triumphzüge, bei denen ein Sklave dem Triumphator immer wieder »Memento te esse moriturum« ins Ohr flüstern muss-te: »Denk daran, auch du wirst einmal sterben.« Wird einer nun biergeduscht, damit er die eigene Gewöhnlichkeit nicht vergisst? Das würde dafür sprechen, auch nach Bun-destagswahlen dem Sieger bisweilen eine rituelle Bierdusche zukommen zu lassen.
Übrigens ist interessant, wie sehr der Fußball dabei ist, die Politik im öffentlichen Interesse zu überflügeln, was zweifellos damit zu tun hat, dass er seinem Wesen nach einfach ist, die Politik aber immer komplizierter wird – und der Mensch liebt doch das Simple. Noch nie haben sich so viele Menschen mit Fußball beschäftigt, reine Fußballraserei hat uns ergriffen. Sind bei Borussia Dortmund, beim FC Bayern während des Countdowns auf Samstag hin Dinge geschehen, von denen wir nichts wissen? Nicht möglich.
Wie wird es sein, wenn das so weitergeht? Was wird aus dem Land, wenn der Fußball es ganz übernimmt?
Man könnte sich ja vorstellen, dass zum Beispiel jeder Deutsche immer einen Ball bei sich haben muss – und er darf ihn nie in die Hand nehmen oder in der Tasche tragen, nein, der Ball darf nur mit dem Fuß oder dem Kopf bewegt werden, auf der Straße, in der Bahn, im Bus, immer. Was wir allein dadurch an Gewandtheit, Geschicklichkeit, Fitness gewönnen! Wie das Spielerische in uns die Oberhand (ah, den Oberfuß!) bekäme gegenüber allem Ernst. Auch wäre es schön, wenn sich endlich die Vorstandschefs großer Konzerne nach dem Erlangen bedeutender Aufträge ihre Sakkos und Hemden vom Körper rissen und auf den Bäuchen die Vorstandsflure entlangschlidderten, jauchzend, an Eckfahnen rüttelnd, die natürlich auch überall stehen müssten, ja, an jeder Ecke Deutschlands müsste sich ein kleines Fähnchen befinden, das ist klar. Auch sollten an allen größeren Straßen Ersatzbänke sein, auf denen Menschen sitzen, die auf ihren Einsatz warten. Das heißt: Jeder von uns, dem etwas wehtut oder der sich nicht fit fühlt, muss nur dem neben der Bank stehenden Mann winken, schon wird er ausgetauscht und darf sich auf der Bank sitzend ausruhen, bis es ihm besser geht. Wenn ihm danach ist, wird er sogar auf einer Trage zu dieser Bank gebracht.
Die Kinder würden in den Schulen die Geschichte unserer großen Klubs lernen, im Deutschunterricht müssten sie den Satz »Gib mich die Kirsche!« analysieren und in Ethik die Frage erörtern, ob nicht ein Mensch Steuern hinterzogen haben und doch ein anständiger Mensch sein kann. Was würde das für einen Gewinn an Fähigkeit zum differenzier-ten Denken bedeuten! Und wäre es nicht ein dolles Ding, wenn wir nach dem Finale alle ein Jahr lang Hemden in der Farbe der Sieger tragen müssten? Wenn also ein Spiel wirklich eine echte Bedeutung für uns alle bekäme?
Gebt mir eine Bierdusche, Freunde, damit ich zur Besinnung komme! (Aber nicht vor Sonntag, bitte!)
Illustration: Dirk Schmidt