Bruno, mein alter Freund, sagt, kürzlich habe er mal wieder seine Eltern besucht, beide seien nun schon mehr als achtzig Jahre alt, und da sei ihm aufgefallen, wie klein der Kühlschrank der beiden sei. Natürlich kenne er den Kühlschrank schon lange, er sei ja mit ihm aufgewachsen. Aber heute komme ihm dieses Gerät seltsam winzig vor, fast wie eine Minibar. Und das Gefrierfach! Da habe man früher ohnehin nie mehr als ein Hühnerfrikassee unterbringen müssen oder einmal im Jahr eine Königsrolle von Langnese. Unvorstellbar für eine Familie heute, in deren Frostabteilungen man ganze Rinderhälften …
Ganze Rinderhälfte!, rief ich, ist das so viel wie ein halbes Rinderganzes?
Gleichzeitig fiel mir ein, dass, spricht man das englische Wort für Kühlschrank – refrigerator also – mal deutsch aus … also, es klingt dann wie eine Dinosaurier-Art, nicht wahr? Velociraptor, Diplodocus, Brontosaurus, Refrigerator. Oder wie ein Münchener Starkbier: Salvator, Maximator, Triumphator. Aber das nur nebenbei.
Tatsache ist, dass Kühlschränke heute bedeutend größer sind als sie einst waren, was mich an eine Nachricht aus dem British Medical Journal erinnert. Dort war zu lesen, eine Forschergruppe der University of Cambridge habe herausgefunden, auch Weingläser seien im Verlauf der Jahrhunderte immer größer geworden. So habe ein durchschnittliches Glas um das Jahr 1700 herum etwa 66 Milliliter gefasst, zu unserer Jahrtausendwende schon 417 Milliliter, heute noch mehr: 449.
Natürlich hat das damit zu tun, dass man jetzt mehr Wert darauf legt, dass Rotwein Raum zum Atmen hat, während man vor 300 Jahren den Wein einfach trank, bevor er einmal nach Luft schnappen konnte. Kein Mensch füllt ja ein Bordeaux-Glas bis zum Rand. Dennoch stellten die Forscher fest, dass mit der Größe der Gläser auch der Weinkonsum steigt. Man testete das bei einem Feldversuch im Pint Shop in Cambridge: Vergrößerte man dort die Gläser, schenkte aber in den größeren Behältern die gleiche Menge Wein aus wie zuvor in den kleinen – dann tranken die Leute mehr, weil sie wohl bei größeren Gläsern das Gefühl hatten, weniger Wein bekommen zu haben.
Auf verblüffende Weise passen diese Erkenntnisse mit denen eines amerikanischen Paläontologen zusammen, der im 19. Jahrhundert lebte und Edward Drinker Cope hieß, obwohl er sich nicht mit Weingläsern befasste. Nach ihm ist das Cope’sche Gesetz benannt. Es besagt, dass es bei Lebewesen im Verlauf der Evolution eine Zunahme der Körpergröße gebe. Pferde hatten einst nur eine Schulterhöhe von zwanzig Zentimetern; auch Elefanten oder Menschen waren in den Urformen kleiner, als sie es heute sind.
Seltsamerweise wachsen die Dinge aber offenkundig schneller als die Lebewesen. Die Größe der Weingläser hat sich von 1700 bis heute mehr als versechsfacht! Das lässt sich vom Menschen nicht sagen. Vor 300 Jahren gab es weder Popcornbecher noch Flachbildschirme; heute sieht man Menschen in Kinos hinter papierkorbgroßen Popcorneimern verschwinden. Ein Fernsehschirm kann heute leicht die zehnfache Fläche des TV-Geräts im Haushalt von Brunos Eltern umfassen. Während uns also unablässig Ressourcenschonung gepredigt wird, werden die Dinge des Alltags größer und größer.
Natürlich höre ich nun das Gegenargument: Computer und Telefone zum Beispiel seien geschrumpft. Das ist nur logisch, entgegne ich, es ist ja immer weniger Platz da, weil die Weingläser alles verdrängen.
So sieht also unsere Zukunft aus: lallende Giganten vor wasserturmhohen Weingläsern! Und dann? Werden wir und die Refrigeratoren auch einmal aussterben wie einst die Riesensaurier, erschlagen von einem Steinklops aus dem Weltall?