Natürlich merkt der Mensch auf, liest er in der Rheinischen Post den Satz: »Wissenschaftler haben im menschlichen Verdauungstrakt ein bislang unbekanntes Organ entdeckt.« Unbekanntes Organ? Ist nicht der menschliche Leib total durchforscht und vermessen? Wie können hier größere Strukturen unbekannt sein? Der Satz liest sich wie: Ethnologen finden in Ost-Bochum ein Stammesvolk ohne Kontakt zur Außenwelt. Oder: Passagieren eines Kreuzfahrtschiffes fällt südlich der Malediven ein nicht auf Seekarten verzeichneter Kontinent auf.
In der Meldung ging es um das Mesenterium, auch unter dem schönen Wort Gekröse bekannt; literarisch Bewanderten fällt Schillers Ballade Der Kampf mit dem Drachen ein:
»Erspähe mir des Feindes Blöße
und stoße tief ihm ins Gekröse,
nachbohrend bis ans Heft, den Stahl.«
Diese Körperstruktur ist also seit eh und je bekannt: Es handelt sich um breite Gewebelappen, an denen der Darm befestigt ist, nichts Neues. Bloß ging es nun darum, dass dieses Bauchhöhlenmaterial von Chirurgen zum ersten Mal als eigenständiges Organ wie die Leber oder die Lunge begriffen wurde, nicht einfach als, nun ja: irgendwas.
Allerdings ist der Gedanke, man könnte im Menschen neue Organe auffinden, zu schön, um von ihm zu lassen. Bruno, mein alter Freund, mutmaßt, es müsse eine Schlechte-Laune-Drüse geben, die bei manchen Leuten überfunktioniere und so den Stoffwechsel entgleisen lasse; diese Personen dünsteten dann permanent schlechte Laune aus wie andere Knoblauchgeruch.
Oder wäre es möglich, dass es einen Twittermuskel gibt, ein knotenförmiges orangegelbes Gebilde, das sich in der Nähe des Gehirns befindet und in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Rolle spielte (weshalb es auch keinem Mediziner bisher auffiel)? Jedoch beginnt es neuerdings bei manchen Patienten zu wuchern, beeinträchtigt die Gehirnfunktion und kappt jeden Gedankenfluss nach 140 Buchstaben. Das heißt, das Denken solcher Menschen wird förmlich zertwittert. Es ist ihnen nicht mehr möglich, über 140 Zeichen hinauszudenken, man sieht in den Hirnströmen regelrechte Abhackungen, senkrechte Stürze ins Nichts. (Zu vertiefender Lektüre empfehle ich meinen Aufsatz »Zerebralstörungen durch Hypertrophie des musculus twitterius« in den Bad Schwürbelbacher Neurochirurgischen Schriften, Bd. 13/2016, S. 1477-1563.)
Es wunderte mich nicht, käme demnächst eine weitere Entdeckung im menschlichen Leib zu Tage: eine seltsam schaumig-dünne Flüssigkeit, die neben Blut, Schweiß und Tränen in Jahrtausenden immer vorhanden war, aber nie ausreichend medizinisch thematisiert wurde, nun aber unübersehbar ist, die sog. Brülle, die von der Hassblase unter dem Schlüsselbein produziert wird.
Ist die Hassblase bei den meisten Menschen selbst mit modernen Ultraschall-Geräten kaum sichtbar, kann sie in manchen Fällen geradezu explodieren. Sie verdrängt andere Organe irgendwo an den Körperrand. Insbesondere das Herz wandert dann irgendwo im Organismus herum, sucht nach einem Platz und findet keinen. Ja, es wurden schon Patienten untersucht, deren Herz unter den Nagel des rechten großen Zehs geschlüpft war und dort leise zitternd vor sich hin pochte – und deren Hirn fluchtartig verdunstet war. Die Hassblase aber füllte den gesamten restlichen Leib aus und produzierte dabei solche Mengen an Brülle, dass die Menschen, vom plötzlichen Brülle-Druck vollständig verändert, mit verzerrten Gesichtern und verrenkten Gliedmaßen durch die Straßen liefen und unverständliche Dinge schrien.
Die Medizin rät: Lassen Sie es nicht so weit kommen! Gehen Sie regelmäßig zur Hassblasen-Früherkennung! Und wenn Sie in Ihrem Umfeld Brülle-Befall erkennen: Reden Sie mit den Betroffenen! Bewahren Sie dabei Ruhe! Ihr Herz darf nie Richtung Hose rutschen! Wichtig: Hassblasen-Vergrößerung ist nicht ansteckend.
Illustration: Dirk Schmidt