Es naht wieder der Tag, an dem viele von uns 18 Minuten lang schwarz-weiß fernsehen werden, einen Sketch aus dem fernen Großbritannien.
Dinner for One.
Dem Guardian entnahm ich jetzt, im Vereinigten Königreich gebe es noch 7161 Haushalte, in denen ein Schwarz-Weiß-Fernseher angemeldet ist. Im Jahr 2000 waren es noch 212000. Die Zahl der Nutzer sinkt rapide.
Irgendwie staunt man, dass es das noch gibt. Wollen die Leute das Brexitdurcheinander nicht so genau sehen? Leben sie der Zeit hinterher? Glauben sie, Churchill sei Premier? Ob wir in Deutschland noch Schwarz-Weiß-Fernseher haben? Alexander Gauland vielleicht. (Björn Höcke lauscht vermutlich nur einem Volksempfänger.)
Nein, das ist ungerecht. Schwarz-Weiß fernzusehen muss nichts Rückwärtsgewandtes sein, es kann, zum Beispiel, einer bewussten Entscheidung entspringen: Ich möchte mich auf das Wesentliche konzentrieren, mich nicht ablenken lassen durch das Bunte. Der Verstand ist schwarz-weiß, die Emotion farbig. Nachdem in Deutschland 1967 das Farbfernsehen eingeführt worden war, blieb die Tagesschau noch bis 1970 farblos. Bundestagsdebatten wurden bis Ende der Siebzigerjahre ausschließlich in Schwarz-Weiß übertragen. Wäre es nicht schön, einmal am Tag eine Sendung in Schwarz-Weiß zu sehen, vielleicht unter dem Titel Die Stimme der Vernunft?
Auch dieser Text hier erscheint in schwarzen Buchstaben auf weißem Papier, wir verzichten mit Bedacht auf alles Grell-Oberflächliche, es erklingt die Stimme der Ratio. Es wäre möglich, das Wort rot auch rot zu drucken, um dem Leser diesen gedanklichen Schritt abzunehmen. Machen wir aber nicht.
Spannend wäre natürlich, man würde das Wort gelb in roter Farbe abbilden, ein Effekt, den Feuilleton-Kritiker »verstörend« nennen würden. Deswegen lassen wir es. Wenn es ein Wort gibt, das ich hasse, ist es »verstörend«.
Übrigens suggeriert die Wortkombination Schwarz-Weiß, dass die Zwischentöne zu kurz kämen, es gehe immer nur um Schwarz oder Weiß. Das ist, nebenbei gesagt, interessant: Ausgerechnet in unserer, der buntesten aller Zeiten, wird so oft nur schwarz-weiß gedacht, für oder gegen, ja oder nein. Alles Abwägende, Differenzierte, Widersprüchliche verschwindet im Geschrei: Du musst es schwarz sehen oder weiß. Dabei ist gerade das Schwarz-Weiß-Fernsehen im Grunde nicht schwarz-weiß, sondern grau – und zwar in den verschiedensten und allerfeinsten Abstufungen. Und auch die Schwarz-Weiß-Malerei ist nicht immer eine, die nur krasse Gegensätze zeigt; Picasso hat sein Leben lang immer wieder schwarzweißgraue Bilder gemalt, alles andere als simpel.
Der Regisseur Edgar Reitz hat seinen 2013 erschienenen Kinofilm Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht fast ausnahmslos in Schwarz-Weiß gedreht (diese jedoch mit farbigen Sequenzen gemischt), weil er die Meinung vertritt: »Im Schwarz-Weiß-Film treten die Menschen mit ihren Schicksalen und ihren Befindlichkeiten sehr viel stärker in den Vordergrund als im Farbfilm, wo alles mögliche an dekorativen Nebenwirkungen mitgeliefert wird.«
Das wäre eigentlich schön, wenn wir im wirklichen Leben auch an entscheidenden Stellen in den Schwarz-Weiß-Modus schalten könnten, nicht wahr? Wie Chamäleons: Wenn ich will, dass du besonders auf mein Schicksal oder meine Befindlichkeit achtest, drücke ich die Schwarz-Weiß-Taste neben dem Bauchnabel, und auf einmal stehe ich schwarz-weiß in der Farbenwelt. Oder bin kaum noch zu sehen, grau vor einer grauen Wand.
Haben die 7161 britischen Haushalte also eine kulturell reflektierte Entscheidung vor dem Hintergrund der künstlerischen und fernsehtheoretischen Aspekte des Schwarz-Weiß-Fernsehens getroffen?
Die Wahrheit ist grau: Wer dort schwarz-weiß fernsieht, zahlt nur ein Drittel der Fernsehgebühren.