Kein schwarzes Jahr für die Mode

Teil 2 unseres Rückblicks: Unsere Stilkritikerin zieht Bilanz und erinnert sich an Statements auf dem Roten Teppich, Michelle Obama in Glitzer-Overknees und an eine Frau, die mit ihrer Hochzeit mal eben die britische Wirtschaft beflügelte.

Düstere Zeiten in Hollywood: Zu den Golden Globes erschienen fast alle Frauen wegen der Time's-up-Initiative in Schwarz.

Foto: Paul Drinkwater/NBCUniversal via Getty Images

Nicht-Farbe des Jahres: Schwarz

Das Modejahr 2018 begann mit einem Knall – und zwar nicht wegen besonders extravaganter, sondern eher zurückhaltender, dafür aber einheitlicher Red-Carpet-Roben. Bei den Golden Globes am 7. Januar erschien ein Großteil der weiblichen Gäste in Schwarz, um ihre Unterstützung der »Time’s Up«-Initiative auszudrücken, die gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz kämpft. Diese wurde kurz vor der Preisverleihung im Geiste der #MeToo-Bewegung in einem offenen Brief in der New York Times vorgestellt – unterzeichnet von 300 Frauen aus der Filmbranche, darunter Emma Stone, Natalie Portman und Meryl Streep. Kritiker (unter anderem Schauspielerin Rose McGowan, die eine der ersten war, die öffentlich Missbrauchsvorwürfe gegen Filmproduzent Harvey Weinstein erhob) warfen der Aktion vor, oberflächlich und ausschließlich symbolisch zu sein. Wir finden: Die sehr viel weniger als sonst effekthaschenden Kleider bildeten die perfekte Basis für starke (Rede-)Botschaften und haben definitiv Aufsehen erregt. Und uns nebenbei einen der stilvollsten Red Carpets seit langem beschert.
Wird getragen mit: Kolleginnen, Pussy Hats
Wird getragen von: Der weiblichen A-Riege Hollywoods
Nicht verwechseln mit: #allblackeverything

Mode-Moment des Jahres: Michelle Obama

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Sarah Jessica Parker, selbst nicht ganz mode-unaffin, huldigt diesem Outfit von Michelle Obama.

Foto: Dia Dipasupil / Getty Images

Kurz vor Ende des Jahres versetzte Michelle Obama mit ihrem glänzenden Kopf-bis-Fuß-Balenciaga-Outfit mal eben das gesamte Modevolk in Schnappatmung. Schließlich ist Balenciaga unter Chefdesigner Demna Gvasalia eine der tonangebenden Marken, und glitzernde Latex-Overknees muss man auch erst mal zu tragen wissen. Michelle Obama, mit ihrer Biografie übrigens auch eine der meistbesprochenen Autorinnen des Jahres, gelingt das mit selbstverständlicher Lässigkeit. Eine versteckte Botschaft steckte angeblich nicht dahinter, Obama fand die Stiefel einfach »wirklich süß«. Uns würden da allerdings schon eine einfallen: Was bin ich froh, nicht mehr den Dresscodes des Weißen Hauses zu unterliegen! Oder auch: Sarah Jessica Parker, war die eigentlich mal sowas wie eine Stilikone?
Wird getragen von: Über-hippen Stylistinnen, Rihanna
Wird getragen mit: XXL-Outdoor-Jacke, DHL-Shirt, IKEA-Tasche und sonstigen halbironischen »It-Pieces« aus dem Hause Gvasalia
Berechtigte Frage: Was hatte eigentlich Sarah Jessica Parker an?

Spaßvogel des Jahres: Ezra Miller

Die wattierte Nonne im Schlafsack ist Ezra Miller, hier gemeinsam mit den anderen Stars aus Phantastische Tierwesen.

Foto: Bertrand Rindoff Petroff/Getty Images

Ezra Miller kam quasi aus dem Nichts und hat uns seither mit seiner Mode- und Make-up-Wahl so sehr erfreut wie wenig andere. Der Schauspieler, der in dem aktuellen J. K. Rowling-Film Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen zu sehen ist, hat allein während der Promotour für diesen im November Auftritte als wattierte Mode-Nonne im Ganzkörperschlafsack, gefiederte Schneeeule Hedwig aus Harry Potter und Playboy-Häschen hingelegt und ist damit zu einem neuen Botschafter für Individualismus und das Brechen mit Gender-Klischees geworden. Phantastische Tierwesen befindet sich übrigens derzeit in den Kategorien »Beste visuelle Effekte« und »Beste Filmmusik« in der Vorauswahl für die Oscars 2019. Wir können nur hoffen, dass es zur Nominierung kommt – und halten Miller schon im Vorhinein einen Platz auf der »Best Dressed«-Liste frei.
Wird getragen von: Björk, Lady Gaga und sonstigen Modexzentrikern
Wird getragen mit: Humor, Selbstironie
Guter Trageanlass: Comic Con

Influencerin des Jahres: Meghan Markle

Versetzte die britische Wirtschaft in Aufwind: Meghan Markle, die im Mai Prinz Harry geheiratet hat.

Foto: WPA/Getty Images

Vor kurzem veröffentlichte die weltweite Suchmaschine Lyst ihren »Year in Fashion Report«, der die Social-Media-Ausschläge und Erwähnungen von Prominenten auswertet und wie diese mit Produktsuchen und -Käufen im Zusammenhang stehen. Wie erwartet auf den ersten Rängen: Kylie Jenner und Halbschwester Kim Kardashian, auf Platz drei: Meghan Markle, die Herzogin von Sussex. Und das, obwohl diese nicht mal über einen Instagram-Account verfügt, seit sie diesen bei der Transformation vom Suits-Serienstar zum offiziellen Mitglied der britischen Königsfamilie hinter sich ließ! Als die Amerikanerin im Mai Prinz Harry heiratete, waren nicht nur Millionen verzückter Zuschauer am Fernsehbildschirm dabei, sondern auch Millionen im Spiel. Markles Brautkleid, ein relativ Schnörkelloses von Givenchy-Designerin Clare Wright Keller, verhalf nicht nur besagtem Label zu neuem Aufwind, sondern katapultierte auch den U-Boot-Ausschnitt zurück auf den modischen Radar. Was auch immer die Herzogin seit ihrer Verlobung trägt, wird fein säuberlich dokumentiert (unter anderem auf eigens zu diesem Zweck kreierten Internetseiten wie Whatmeghanwore.net), diskutiert (Ist es zu teuer? Ist es zu modisch? Bricht es die royalen Regeln, wie etwa kürzlich ihr schwarzer Nagellack?) – und ist binnen Stunden ausverkauft. Ihr Hochzeitstag alleine habe der britischen Wirtschaft rund eine Milliarde Pfund eingebracht, so Experten. Gute Aussichten für die Schwangerschaftsbekleidungs- und Kindermode-Branche – schließlich werden Markle und Prinz Harry im Frühjahr 2019 Eltern.
Wird getragen von: Royals und solchen, die es werden wollen
Der Film dazu: Plötzlich Prinzessin
Jetzt schon sichern: Die URL WhatMeghanAndHarrysChildWore.net

Comeback des Jahres: das Statement-Hemd

Bunt fürs Leben: Jeff Goldblum mit seiner Frau Emilie Livingston

Foto: Ernesto Ruscio/GC Images

2018 war ganz offiziell das Jahr, in dem das lustige Print-Hemd seinen Weg von der Verkleidungskiste zur Sommeruniform trendbewusster Hollywood-Stars und Moderedakteure fand. Der meistverbreitete Vertreter jener Kategorie ist das Hawaiihemd (entgegen seines Rufs als Mallorca- und Bad-Taste-Party-Kostüm ein durchaus geschichtsreiches Kleidungsstück , doch auch andere Muster mit eher zwielichtiger Konnotation erlebten eine modische Aufwertung. Aus Designersicht war dafür vor allen Dingen Miuccia Prada und ihre Herbstkollektion 2018 verantwortlich, deren kastig geschnittenes Kurzarmhemd im 70er-Jahre-Mustermix mit Flammen oder, siehe Foto oben, mit kitschigen Filmszenen zum Liebling der internationalen Streetstyle-Stars wurde, von niemandem aber so schön getragen wie von Schauspieler Jeff Goldblum. Der wiederum kann auch einfach alles tragen (der Beweis hier).
Wird getragen von: Justin Bieber, Jürgen von der Lippe, Jeff Goldblum, Moderedakteuren, Karnevalisten
Wird getragen mit: Ukulele, Billabong-Boardshorts, Fernweh, Großpackung »Kleiner Feigling«
Passende Songs dazu: »Aloha heja he« und »Light my fire«

Anti-Accessoire des Jahres: die AfD-Perle

Perlen an der Säule: Die AfD-Frauen mögen es großbürgerlich.

Foto: Getty Images

Vor der Bayern-Wahl im Oktober wurden die Wahlprogramme der großen Parteien von der Universität Hohenheim auf ihre Verständlichkeit geprüft. Auf dem letzten Platz landete – wie auch schon bei der Untersuchung im Jahr zuvor zur Bundestagswahl – die AfD. Verschachtelte Sätze, Fremdwörter und zahlreiche Anglizismen wurden ihr attestiert, was ja nun so gar nicht zur von der Partei für sich beanspruchten Volksnähe und Heimatliebe passt. Ähnlich sieht das auch mit der Garderobe der AfD-Politikerinnen aus, die durch die Bank eher die Zugehörigkeit zum Großbürgertum oder Landadel auszudrücken scheint als Nahbarkeit. Hochgestellte Krägen zählen zu den beliebtesten Stilmitteln von Doris von Sayn-Wittgenstein oder auch Alice Weidel, doch geschlagen wird dieser modische Kniff noch von der Überpräsenz der Perlenketten unter den Parteikolleginnen. Und das, obwohl die Perle doch ein klassisches Symbol für Reichtum ist und darüber hinaus auch noch eine Einwanderungsgeschichte hinter sich hat! Um das äußere Erscheinungsbild besser ans Parteiprogramm anzupassen, empfehlen wir den AfD-Damen für die Zukunft lieber Modeschmuck aus schwerem Eichenholz und dazu irgendwas Selbstbedrucktes mit Kartoffelstempeln.
Wird getragen mit: Longchamp-Tasche, hochgeklapptem Polokragen, Mitgliederausweis des Country Clubs
Wir getragen von: Zahnmedizinstudentinnen, Margaret Thatcher, Coco Chanel
Der Film dazu: Die Tiefseetaucher