Ich stand in einem Fachgeschäft für Frauenbekleidung. Paola, meine Frau, suchte etwas. Ich suchte nichts. Da betrat ein junger Mann zusammen mit seiner Freundin den Laden. Sie suchte etwas, er suchte nichts, nein, das ist nicht wahr: Er fragte die Verkäuferin, wo hier die Männerabteilung sei. Die Verkäuferin antwortete, die gebe es nicht. Und der junge Mann sagte, während Enttäuschung sein Gesicht zerknitterte: »Super!«
Super? War das ironisch? Höhnisch? Nein, es war offensichtlich im Sinne von »Danke« gemeint, aber im Grunde bedeutete es gar nichts. Es war reine Gewohnheit, man sagt ja immerzu »super«, da sagt man es auch mal, wenn es nicht passt. Das Wort »super«, das vor gar nicht langer Zeit höchste Erfreulichkeit ausdrückte, hat heute durch übermäßige Verwendung nichts mehr zu bedeuten.
Ist es nicht interessant, dass an unseren Tankstellen heute praktisch kein Normalbenzin mehr verkauft wird, bloß noch »Super«? Super ist normal, aber auch bloß noch bei Shell, Aral und Esso. Im sonstigen Leben ist »super« ein Seufzer.
Übrigens sagt kein Kellner mehr nach einer Bestellung »gerne«, nein, er sagt mindestens »sehr gerne«, aber auch dieses »sehr gerne« wird sich bald verbraucht haben. Was wird dann folgen? Sehr sehr gerne? Sehr sehr sehr gerne?
Möglich ist, dass Wörter dann im Nirwana landen, wie zum Beispiel genau. Hört man heute Referaten von Studenten an den Universitäten zu, kann man bisweilen feststellen, dass sie ihre Rede mit einem »genau« beginnen. Auch in einem Gespräch sagen jüngere Leute ganz unvermittelt neuerdings »genau«, gedankenverloren und wie zu sich selbst - um dann, nach einer kleinen Pause, fortzufahren.
Irgendjemand muss das vor Jahren mal zu seiner sprachlichen Besonderheit gemacht haben, vielleicht hat er sich damit beim Reden angefeuert oder sich seiner selbst durch Selbstzustimmung versichert. Andere haben es übernommen und möglicherweise an Stelle des »äh« gesetzt. Heute ist genau nicht einmal mehr das, bloß noch »ein winzig kleiner Beitrag im gewaltigen, nie abbrechenden Prozess der Umwertung der Worte«, wie es in einem Aufsatz in der Welt hieß. Am Ende ist ausgerechnet das Wort genau, dessen Sinn einmal darin bestand, »genau« zu bedeuten, bloß noch eine Art Atemzug, kein Wort mehr, höchst ungenau.
Ich las dann in der Zeit ein Interview mit Jan Böhmermann, in dem er sagte: »Mein Team und ich wollen den Humorstandort Deutschland nach vorne ficken.« Da merkt man auf, nicht wahr?
Hihi, er hat »ficken« gesagt!
Übrigens nicht zum ersten Mal in diesem Zusammenhang. Schon in einem Gespräch mit dem Branchendienst dwdl.de las man im vergangenen Jahr Böhmermanns Antwort auf die Frage nach seinen Plänen: Er wolle »geil abliefern, nicht müde werden und ZDFneo und das ZDF nach vorne ficken«. Wer hätte das von diesem Sender gedacht, nicht wahr? Dass sich das ZDF sehr sehr gerne nach vorne ficken lässt.
Wobei ich jetzt darauf hinweisen möchte, dass Harald Schmidt schon 2007 in seiner Show einmal »ficken« sagte, worauf Bild (»Sogar Gast Günther Jauch (51) schien es peinlich zu sein«) gleich fragte: »Seit wann gehört das Wort ›ficken‹ zum ARD-Wortschatz?«
Na ja, seit 2007 eben. Das ZDF war hinterher. Man kann hier der Umnutzung eines Wortes beiwohnen (hihi, ich habe »beiwohnen« geschrieben): Vor acht Jahren war Bild bei »ficken« noch auf den Zinnen, heute merkt schon niemand mehr außer mir, dass Böhmermann »ficken« gesagt hat. In zehn Jahren wird ein neuer Daimler-Vorstandschef sagen, er wolle den Konzernumsatz nach vorne ficken. Oder nach oben. So funktioniert die Welt: Provokation, Aufregung, Gewöhnung, Ermüdung. Wenn man das alles mal kapiert hat, ist es irgendwie langweilig.
Bringen wir’s hinter uns. Ficken, ficken, ficken.
Sehr gerne. Genau.
Super.
Illustration: Dirk Schmidt