Kaum hatte ich in der vergangenen Woche die zentrale Rolle des Eckpunktes im politischen Leben enthüllt und in der Zentralisierung von Eckpunkten das geheimste Werkzeug demokratischer Machttechniker entdeckt, las ich in der Welt die Überschrift: »Bis das neue Rettungsprogramm für Athen steht, müssen Knackpunkte geklärt werden.«
Hier stehen wir nun erneut vor überwältigend großen Fragen. Denn bevor man einen Knackpunkt klären kann, muss man erst einmal wissen: Was ist ein Knackpunkt? Ist es denn überhaupt möglich, dass ein Punkt knackt? Es gibt so vieles in der Welt, das knacken kann, Knochen, Finger, Gelenke. Und ich muss zum Beispiel, höre ich das Wort »knacken«, stets an den einst berühmten Pianisten Artur Schnabel und seine Vorliebe für Schüttelreime denken, die ihn Verse dichten ließ wie diesen:
»Am Anfang war auch Schnabel nur das Ende einer Nabelschnur.«
Schnabel nun wurde eines Tages auf einer Wanderung von einem Bergführer in kurzer Hose begleitet. Er zeigte auf dessen Knie und sagte:
»Nacktes Knie -
knackt es nie?«
Ja, der ganze Mensch ist, wenn man so will (und wer wollte nicht so?), ein permanent knackendes Geschöpf, nicht nur knackt sein Körper (je älter er wird, um so mehr). Nein, der Mensch als solches knackt auch an der Welt herum, im Fassbaren (Nüsse, Läuse, Panzer, auch beim Zerbeißen knackender Därme von Knackwürsten) wie im Unfassbaren (Geheimcodes, Rätsel).
Doch was ist mit dem Punkt? Wann, wo und unter welchen Bedingungen knacken Punkte, sodass man sie Knackpunkte nennen dürfte? Nehmen wir einmal den Punkt, wie wir ihn verwenden, wenn wir schreiben und wie er auch in diesem Text schon mehrmals aufgetaucht ist und jetzt gerade hier sogar doppelt erscheint: Ist er nicht das genaue Gegenteil von etwas Knackendem, nämlich reine Geräuschlosigkeit und pure Stille? Markiert man mit einem Punkt die Pause zwischen zwei Sätzen, heißt das: Hier schweigt der Autor, hält er inne, setzt neu an.
Der Punkt ist auch in der Geometrie eine Fläche und ein Raum ohne Ausdehnung. Er ist ein Nichts und doch genau das nicht.
Denn er ist ja da.
Man bemerkt das, wenn man eine geringe Maßnahme ergreift, nämlich den Punkt verdoppelt. Dann hat man sozusagen ein zweifaches Nichts, ein Doppelnichts, aber auch so- und zugleich eben kein Nichts mehr: Man kann zwischen zwei Punkten eine Gerade ziehen; der Doppelpunkt ist mehr als ein Schweigen, er sagt: Achtung, nun kommt etwas von Bedeutung! Zwei Punkte nebeneinander verändern einen Buchstaben, sie machen aus einem a ein ä und aus einem o ein ö und sogar aus einem u ein ü. Und setze ich in einer Geschichte drei Punkte hintereinander, dann wird nicht einfach dreimal geschwiegen, sondern der Leser soll gleichsam unter diesen Punkten ein Grübeln hören, ein Denken, gar: ein Knacken?
Lauschen Sie mal …
Na?
Auf jeden Fall lehrt schon flüchtige Zeitungslektüre, dass unser Leben von Knackpunkten übersät ist wie Masernkranke von Flecken. Der Fußballspieler Hummels sagt, das 1:1 in einem Spiel sei »der Knackpunkt« gewesen, die »Landesfachstelle Glückspielsucht Saarland« unterhält eine Beratungsstelle »Knackpunkt« im Hospital St. Wendel, und Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, sagt, der Bearbeitungsstau bei den Asylanträgen sei »der eigentliche Knackpunkt« der Flüchtlingspolitik.
Man kann also sagen: Wird es wesentlich im Leben, dann knackt es irgendwo ganz unverhofft, und weil das so ist, beenden wir jetzt diese wie immer unwesentliche Kolumne und machen einen.
Illustration: Dirk Schmidt