Schwarz-Weiß-Denken

Axel Hacke erklärt, was die Streifen der Zebras mit dem Lebensgefühl der Autonomen zu tun haben.

Man möchte ja immer alles verstehen, also habe ich nach den Hamburger Krawallen viel herumgelesen, mit der Frage im Kopf, ob Autonome – abgesehen von der Tatsache, dass sie gern Autos anderer Leute anzünden und aus Geschäften Dinge mitnehmen, die ihnen nicht gehören – ein Ziel haben, etwas, das am Ende aller Plünder- und Prügeleien stehen könnte.

Das Ergebnis war enttäuschend, dazu gleich mehr.

Ich stieß jedenfalls auf einen beinahe zehn Jahre alten Artikel auf Spiegel online, in dem es am Ende auch um die Kleidung der Autonomen ging, dieses große Schwarz. Da stand ein Satz von Andreas Blechschmidt, dem Sprecher der Roten Flora in Hamburg. Er sagte, es handele sich bei den Autonomen in dieser Hinsicht auch um Stil, Tradition, Lebensgefühl – und dann: »Es ist wie bei den Zebras. Wenn sich alle gleich kleiden, kann niemand identifiziert werden.«

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Das ist insofern ein Irrtum, als das Zebra-Kleid im Laufe der Evolution nicht entstand, damit man kein Tier vom anderen unterscheiden kann. Nein, die Streifen eines laufenden Zebras bewirken, dass ein solches Wildwesen in der flirrenden Hitze der Savanne für Löwen und Hyänen kaum zu erkennen ist, wie Martin How von der Universität Queensland in Australien vor Jahren im Fachblatt Zoology ausführlich erklärt hat. Jedes Einzelne aus der Herde ist optimal getarnt und muss es sein, denn das Zebra ist ein – aufgemerkt, Blechschmidt! – friedliches Tier, herrlich anzusehen im Übrigen. »Schwerlich kann man sich ein schöneres Geschöpf denken als dieses prachtvoll gezeichnete Kind der Steppe«, zitiert Brehm den britischen Naturforscher Harris, sich im Schwärmen über das nervöse, wache, wilde Tigerpferd verlierend: »… erglänzen prachtvoll und seltsam gefärbte Tiere im Strahl der Sonne …«

Das ist das Gegenteil jener Hass-Gestalten, die durch ihr Schwarz gerade als revolutionäre Garde identifiziert werden wollen, um dann an einer Straßenecke ihre Uniform abzustreifen und in Jeans und T-Shirt getarnt zu verschwinden. Liest man zeck, das Info aus der Flora, findet man neben ausführlichen Schilderungen verschiedenster Attentate pure Vulgarität: Die Leute der Werbeagentur Jung von Matt sind »Schweine«, ein Immobilien-Investor ist eine »Drecksau«, christliche Werte »sollen zur Hölle fahren«, es geht um »Krieg mit allen Mitteln«. Selbst flüchtige Kenner des Zebras wissen, wie fremd dem das ist.

Was man in jenen Texten findet, verrät nichts von Zielen, es geht immer nur gegen etwas. »Es ist legitim, auf gewalttätige Verhältnisse mit Gegengewalt zu reagieren«, hat der erwähnte Blechschmidt der taz mal gesagt. Aber das ist nur pubertäre Ablehnung jeder Verantwortung für das eigene Tun: Die anderen sind schuld, dass ich Brände lege, stehle und Unschuldigen nach dem Leben trachte, die anderen, die anderen … Was nach der Zerstörung kommt? Dazu gibt es keine klaren Gedanken bei den Autonomen, aus reiner Faulheit, vermute ich. Man denkt nicht gerne nach, wenn man sich prügeln will. Man schwatzt halt herum und denkt sich was zurecht. In Wirklichkeit geht es nur ums Prügeln.

Die Wahrheit ist allerdings auch: Wir sind selbst bequem, auch faul und feige, nicht wahr? Wird schon nicht so schlimm werden, haben wir gedacht und über Jahre und Jahrzehnte zugeschaut, wie sich Biotope der Gewalt wie die Rote Flora oder die Rigaer Straße 94 in Berlin immer weiterentwickelten. Und nun? Ist es doch schlimm geworden.

Übrigens ist der Zebrastreifen geradezu ein Symbol friedlich-bürgerlichen Miteinanders: dem Schwachen gibt er Vorrang, der Stärkere muss warten. Aber das jetzt wirklich nur nebenbei, und weil vorhin vom Zebra die Rede war.

Illustration: Dirk Schmidt