Im Rahmen der Berichterstattung über Panama und den Rest der Welt las ich ein Gespräch der Süddeutschen Zeitung mit dem britischen Steueroasen-Fachmann John Christensen. Es ging um Inseln, deren Bewohner im Grunde keinen anderen Broterwerb als den der Organisation von Steuervermeidung kennen, Jersey zum Beispiel. Auf die Frage, was denn die Menschen dort tun sollten, wenn es nun mal keine anderen Wirtschaftszweige gebe, ob sie nicht wenigstens Mitleid verdient hätten, antwortete Christensen: »Manche Inseln sind einfach nicht dafür gedacht, dass auf ihnen Menschen wohnen.«
Das fand ich interessant. Denn es wirft ja sofort die Frage auf: Wofür sind Inseln eigentlich überhaupt gedacht? Haben sie einen Sinn? Hätte es im Rahmen der Weltenschöpfung nicht gereicht, das Wasser und das große Festland zu erschaffen? Wozu noch Inseln? Ein interessanter Aspekt dieser Panama-Geschichte ist überhaupt die Verwendung der Begriffe »Oase« und »Insel«. Immer wieder liest man, dass sogenannte Steueroasen sich auf Inseln befinden. Interessant! Normalerweise haben Oase und Insel nichts miteinander zu tun. Die Oase liegt in der Wüste, die Insel im Wasser; sie können eigentlich zueinander nicht kommen. Wie kommt es, dass in unseren Zeiten plötzlich Insel und Oase in eins fallen, dass also Inseln zu Oasen werden? Und dass ihre Bewohnung gerade deshalb von Männern wie John Christensen infrage gestellt wird, der sagt: Wenn es auf einer Insel nichts anderes zu tun gibt, als Briefkästen zu beherbergen, dann wäre diese Insel besser menschenleer.
Einer der Ersten, die eine Verwandtschaft von Oase und Insel entdeckten, war der Apache Pesch endatseh aus Karl Mays Old Surehand I, der eine im Llano Estacado in New Mexico befindliche Oase »Klaparyar-Siyardestar« nannte, das bedeutet eben »Grüne Insel«. Diese Oase im (bei May als vegetationslose Sandfläche geschilderten und mit k statt mit c geschriebenen) Llano estakado hatte ein Mann namens Bloody-Fox entdeckt und zu seinem ersten Wohnsitz umgebaut, in einer feindlichen Umgebung, wo nur in den Sand gerammte Pfähle dem Reisenden den Weg wiesen. May schrieb: »Die Cypressen, Cedern und Sykomoren am Wasser waren alte Bäume; die Mandel- und Lorbeerbäume aber hatte Bloody-Fox gepflanzt, ebenso das Wäldchen von Kastanien, Mandeln und Orangen, durch welches er jetzt ritt.« Die erwähnten Pfähle übrigens setzten bei May sogenannte Stakemen so um, dass Fremde in die Irre gingen, wo sie schließlich, vom Durst geschwächt, ausgeraubt wurden. Das mag jeder, auf die aktuelle Situation bezogen, interpretieren, wie er will.
Man kann jedenfalls spätestens seit Pesch endatseh feststellen, dass die Oase eine Insel in der Wüste ist. Grün liegt sie in der gelben Unendlichkeit des Sandes. Noch nie in der Menschheitsgeschichte aber wurden Inseln als Oasen im Meer verstanden, das ist neu. Mit dem Begriff der Oase verbindet sich ja immer das Sprudelnde, Frische, Schattige, Lebensvolle, während eine Insel auch karg, lebensfeindlich, felsig, widrig sein kann, andererseits vielleicht ein Idyll, etwas sehr Übersichtliches jedenfalls, ein Festlandsmenschentraum vom Leben im Kleinen: Lummerland. Die Insel ist ideal, »um Abstand zu gewinnen«, denn Abstand ist ihr Charakteristikum. Wer würde in eine Oase reisen, um Urlaub zu machen? Da fehlen die Bademöglichkeiten, und eine Fahrt in die Ferien per Schiff ist etwas Schönes. Aber per Wüstenschiff? Wenig komfortabel.
Panama ist keine Insel, wie jeder weiß. Ist es eine Oase? Das würde voraussetzen, dass der Rest der Welt eine Wüste wäre. Nein, umgekehrt scheinen, wie der Blick in die Zeitung zeigt, dort die ödesten, gottverlassensten und trostlosesten Charaktere der Welt (und jene, die deren Gesellschaft nicht scheuen) eine Zuflucht gefunden zu haben, oder, um es so zu sagen: O, wie wüst ist Panama!
Illustration: Dirk Schmidt