Flip-Flop

Es ist Sommer, es lockt der Strand oder mindestens der Baggersee, aber trotzdem: Muss es hier wirklich noch einmal um diese Zehensteg-Sandale mit Schrägriemen gehen, die man lautmalerisch gern als Flip-Flop bezeichnet? Der Trend schien doch eigentlich schon überwunden, zusammen mit dem Armuts-Chic der Nullerjahre und der schwächlichen Figur des metrosexuellen Mannes. Die bunten Plastikschlappen könnten heute, ganz wie auch früher schon, an Autobahnraststätten auf dem Weg in den Süden eine friedliche Existenz in der Grabbelkiste führen. Aber nein, das geht nicht. Schuld ist der Dalai Lama. Auf seinem sommerlichen DeutschlandBesuch trug er Flip-Flops zu mehreren wichtigen Anlässen und rückte die Billigsandale damit einmal mehr ins kulturelle, ja spirituelle Bewusstsein, was natürlich nach Erklärungen verlangt.

Denn es ist ja nicht so, dass der Dalai Lama grundsätzlich Flip-Flops trüge. Am Flughafen wurde er durchaus in festem Schuhwerk gesichtet. Ganz anders dagegen beim Empfang im Hamburger Rathaus: »Eifrig flitzt er mit seinen Flip-Flops aus Plastik von Zuschauer zu Zuschauer«, schrieb Spiegel Online, und der Rheinischen Post fiel auf, wie er darin »zum Bürgermeister eilt«. Flitzen und eilen ist nicht leicht in Flip-Flops, das weist den Mann als geübten Träger aus. Aber der offizielle Anlass gibt zu denken. Zumal, da George W. Bush jüngst das Tragen von Flip-Flops im Weißen Haus verboten hat. Sind die bunten Schlappen für Seine Heiligkeit vielleicht dasselbe wie die traditionsreichen Zori-Sandalen für die Japaner? Diese sehen praktisch genauso aus, werden aber nur zu sehr formalen Gelegenheiten getragen, dann allerdings mit einer genauso formalen, am Zeh eingekerbten Socke. Darum kann es hier nicht gehen. Bleibt nur die andere Erklärung: Für das Oberhaupt der Tibeter ist ein Besuch im Hamburger Rathaus ungefähr so entspannend wie für uns ein Trip zum Strand.

Weiterhin sind Flip-Flops nahe Verwandte der Jesuslatschen. Läuft da ein interreligiöser Dialog? Oder geht es doch eher um ein uni-versales Symbol der Bescheidenheit? In Afrika und anderen heißen Gefilden ist die Plastiksohle mit dem Zehenriemen, oft aus alten Autoreifen hergestellt, die erste, zäheste und oft auch einzige Fuß-bekleidung im Leben der Armen. Wer sich freiwillig dazu bekennt, verkündet seine Abkehr von überflüssigen materiellen Werten und seine Hinwendung zum Lebenstil des »Hakuna Matata«, was auf Swahili ungefähr »Null Problemo« bedeutet. Diese Interpretation ist zumindest dann angebracht, wenn man Flip-Flops im Büro begegnet. Der Systemadministrator, der damit durch die Türe schlurft, wenn man die Notruf-Hotline angerufen hat, schickt eine klare Botschaft voraus: Es kann schon ein wenig dauern, bis dein abgestürzter Computer wieder laufen wird – aber das ist bitte schön kein Grund, sich die elementare Lebensfreude vermiesen zu lassen.

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Die bedenkliche Performance der Flip-Flops in Sachen Schweißabsorption, Glasscherbenabwehr und Rutschfestigkeit auf herabgefallenen Speiseeiskugeln verstärkt noch den sorglosen Nimbus ihrer Trägerinnen und Träger. Das ist der Kern der Legende. Die deutsche Firma, die den Namen »Flip-Flop« als Warenzeichen eintragen ließ und nun in Richtung Edelmarke entwickeln will, ist deshalb eher schlecht beraten: Erstens sind hochwertige Edelsandalen schon per definitionem keine Flip-Flops mehr und zweitens kann dem elementaren Plastik-Flip-Flop nichts Schlimmeres passieren, als in einem »Concept Store« auf ein weißes Podest gestellt und mit grellem Halogen angestrahlt zu werden, als sei er ein Kunstobjekt. So geschieht es derzeit in Berlin-Mitte, und das spricht der Idee natürlich Hohn.

Wann aber kann, darf und soll man Flip-Flops noch tragen? Hier weist einmal mehr der Dalai Lama den Weg. An ihm offenbart die Plastiksandale ihre wahre Bestimmung als eine Geste modischer Offenheit, die den Blick mit Nachdruck auf die Persönlichkeit ihres Trägers lenkt. Wer also das Glück hat, über die physische Präsenz einer jungen Meeresgöttin zu verfügen oder aber über die Weisheit eines großen Religionsführers – der steht auch in Flip-Flops sicher auf dem Boden des guten Geschmacks.