Wiedersehen

In dem Film Mitten ins Herz arbeitet der ehemalige Popstar Alex mit seiner neuen Haushaltshilfe Sophie, die den Musiker mit erstaunlich versierten Textzeilen versorgt, an einem Comeback-Song. Als sie sich zum zweiten Mal zum Songschreiben verabreden, begrüßt er sie mit den Worten: »Ich habe dich gegoogelt« – ein Satz, der die Handlung des Films, die Beziehung der beiden zueinander, sofort beschleunigt. Denn Alex gibt Sophie mit diesem Satz zu verstehen, dass er um ihre Biografie weiß, um ihre Ambitionen als Schriftstellerin in Creative-Writing-Kursen und bei Dichterlesungen. Die per Internet-Suchmaschine gewonnenen Informationen akkreditieren die junge Haushaltshilfe als ernst zu nehmende Texterin und treiben die Erfolgsstory des Films voran.Google ist im zeitgenössischen Film mittlerweile ein regelmäßig auftauchendes Handlungselement. Dass sich eine der Figuren an den Bildschirm setzt und die bunte Startseite der Suchmaschine öffnet, ist eine häufig wiederkehrende Szene. Das explizite Auftauchen der Google-Website hat meist keine besondere Bedeutung für den Plot; jemand sucht eine Adresse oder die Homepage eines Unternehmens. Auf beiläufige und unsichtbare Weise jedoch hat Google, wie auch die Szene zwischen Hugh Grant und Drew Barrymore gerade wieder gezeigt hat, einen fundamentalen Einfluss auf den Bau von Geschichten gewonnen.Zu den wenigen grundlegenden, seit Jahrhunderten kaum variierten Handlungsmustern in der Literatur und später im Kino gehört etwa die Konstellation, dass sich zwei Unbekannte begegnen und leidenschaftlich ineinander verlieben, ohne mehr als den Namen voneinander zu wissen. Nach kurzer Zeit müssen sie sich trennen, und der Erzählplot handelt schließlich von nichts anderem als der Suche der einen Figur nach der anderen. Einer der letzten Filme, der diesen Handlungsgang noch einmal konsequent durchgespielt hat, war Weil es Dich gibt mit Kate Beckinsale und John Cusack, in dem zwei flüchtig hingekritzelte Telefonnummern in einem antiquarischen Buch und auf einem Fünf-Dollar-Schein ausreichen, damit sich das Paar Jahre nach dem einen gemeinsam verbrachten Nachmittag in New York doch noch findet.Als der Film 2001 im Kino zu sehen war, rief dieses Schema noch kein Misstrauen hervor. Drei Jahre später jedoch war das bereits anders, in Richard Linklaters Film Before Sunset (der Fortsetzung von Before Sunrise, in dem sich ein junger Amerikaner und eine junge Pariserin im Zug kennenlernen und gemeinsam durch das nächtliche Wien laufen). In Before Sunset kommt Jesse, mittlerweile ein bekannter Schriftsteller, zu einer Lesung nach Paris, und seine damalige Wiener Gefährtin sieht in einem Buchladen zufällig die Ankündigung und geht hin. Es stellt sich heraus, dass die beiden in den zurückliegenden neun Jahren stets aneinander gedacht, sich eine zweite Begegnung erträumt haben. Genau dieser Plot aber geht im Jahr 2004 nicht mehr auf: »Warum hat sie ihn denn nicht gegoogelt?«, fragt man sich ständig; er ist ein Bestseller-Autor, hat Zehntausende von Google-Treffern, und auch die Französin Celine, angestellt bei einer Umweltorganisation, würde es zweifellos noch auf ein paar Dutzend Websites von Konferenzen oder Pressemitteilungen bringen.Im Zeitalter von Google ist das Kino eines der vertrautesten Grundplots beraubt worden. Die Frage ist, wie sich Geschichten verändern werden durch diese neue Konstellation. In der Vergangenheit hat sich das Erzählen als erstaunlich elastisch erwiesen angesichts verkehrs- oder nachrichtentechnischer Erfindungen; vermutlich hatte man nach der Erfindung des Autos oder des Telefons vor mehr als hundert Jahren auch das Gefühl, dass ein Großteil der bis dahin obligatorischen Liebesgeschichten nun nicht mehr darstellbar wäre. Texte und Filme haben aber jede technische Innovation vereinnahmt, ja es haben sich sogar neue Genres gebildet, das Auto etwa hat das Road-Movie hervorgebracht. Wie wird in naher Zukunft der erste Google-Film aussehen?