»Blut ist dicker als Wasser«, »Das eigen Fleisch und Blut« und so weiter – eine ganze Reihe von eher archaisch anmutenden Redewendungen schießt durch den Kopf bei dem Gedanken, den eigenen Opa den Behörden zu melden. Solche Worte zeigen, wie tief das Missbehagen gegen ein derartiges Vorgehen sitzt. In der Philosophie kennt man das Problem aus einem Dialog Platons, in dem ein Mann, Euthyphron, überlegt, seinen Vater wegen Totschlags anzuzeigen. Sokrates fragt, ob der Sohn nicht besorgt sei, damit eine »ruchlose« Tat zu begehen, selbst wenn der Vater zu Recht belangt würde. Und hierzulande bleibt straffrei, wer einen Angehörigen vor Strafverfolgung schützt; die Zwickmühle zwischen Familien- und Gesellschaftsinteressen wird dabei als »notstandsähnlich« angesehen.
Gilt das auch in Ihrem Fall? Dürfen Sie zugunsten der »Blutsbande« entscheiden – und gar nichts tun? So hart es klingen mag, ich meine: Nein. Wenn selbst massives Einwirken den gefährlichen Chauffeur nicht zum Einlenken bringt, müssen Sie meiner Meinung nach etwas unternehmen. Jedoch nicht trotz, sondern wegen der engen Verbindung zu Ihrem Ahn. Ohne Zweifel trägt man Verantwortung für seine Angehörigen; das beinhaltet jedoch nicht nur, für sie zu sorgen, wenn sie Hilfe brauchen, sondern auch zu verhindern, dass sie Dinge tun, die anderen gegenüber objektiv nicht zu verantworten sind. Noch dazu, wenn bislang wohl nur aus Glück nicht mehr passiert ist. Der große Unterschied zu Platon oder der Strafvereitelung besteht darin, dass es hier nicht um die Verfolgung geschehenen Unrechts geht, sondern um die Abwendung künftigen Unglücks. Unglück, an dem Sie, weil Sie es verhindern könnten, im weitesten Sinn sogar beteiligt wären. Um beim – zugegeben etwas pathetischen – Bild zu bleiben: Das dickste Blut sollte das nicht vergossene sein.
Illustration: Jens Bonnke