Bayerischer Hobbykoch gründet mit österreichischem Chefkoch aus den USA französisches Lokal in Deutschland. Kein Wunder, dass bei der Eröffnung des »Tantris« ein Münchner Gastronom die Prognose stellt: »Das Lokal überlebt kein Jahr.«
Der Hobbykoch heißt Fritz Eichbauer und sagt über sich und seine Frau Sigrid-Ursula: »Andere Leute lesen Krimis, wir Weinkarten.« Ihre Ausflüge zu Winzern und Restaurants in Burgund und im Elsass nennen sie Studienreisen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Eichbauer auf die Idee kommen musste, ein eigenes Restaurant zu gründen, nach französischem Vorbild. Das nötige Geld glaubt er ohnehin zu haben: Fritz Eichbauer führt ein gut gehendes Bauunternehmen, und beim Verkauf eines großen Wohnkomplexes bleibt 1971 ein allein stehender Flachbau im Münchner Norden übrig. Natürlich sucht er da gleich den passenden Chefkoch. Schon der erste Tipp scheint gut, er kam ja aus Frankreich, von Paul Haeberlin, dem Drei-Sterne-Koch von der »L’Auberge de l’Ill«: Eckart Witzigmann sei der geeignete Mann für Eichbauer. Witzigmann, damals dreißig, kocht im »Jockey Club« in Washington D.C. Als Eichbauer, damals 44, ihn besucht, liegt Witzigmann bereits ein anderes Angebot vor: Koch auf dem Familiensitz der Kennedys in Hyannis Port. Eichbauers Verhandlungen mit Witzigmann ziehen sich über zwei Tage hin. Damit hatte Eichbauer nicht gerechnet. Witzigmann beharrt auf einem Herd in der Mitte der Küche, will die gerade erst eingebaute Küchenzeile wieder rausreißen. Eichbauer gibt nach, auch weil er mit seiner Frau endlich weiterfliegen will in den Urlaub nach Mexiko. Eichbauer hätte da schon ahnen können, auf welch finanzielles Wagnis er sich einlässt. Später wird er sagen: »Ich habe die Anfangsverluste unterschätzt. Von dem Geld, das ich ins ›Tantris‹ gesteckt habe, hätte ich ein Schloss kaufen können. Aber wo hätte ich dann gegessen?« Im kleineren Kreise wandelt Eichbauer den Satz bisweilen ab: »Andere Bauunternehmer leisten sich Prostituierte, ich mir das Lokal.«
Der Name »Tantris« bedeutet im Buddhismus »Suche nach Vollkommenheit«. Ein hummerroter Teppich mit extralangem Flor an der Decke sorgt etwa für eine vollkommene Geräuschkulisse, weil er die Akustik dämpft und Gespräche der Gäste an den Nebentischen schluckt. Was für eine gute Idee das war und wie gut sie funktioniert, merkt man erst, nachdem der Teppich vor sieben Jahren für 500 000 Euro ausgewechselt wurde. Der neue Teppichflor ist kürzer, der Geräuschpegel höher. Aber Innendesign und Architektur des »Tantris« werden erst mal dreißig Jahre lang verlacht: Falk Volkhardt, Besitzer des Münchner Hotels »Bayerischer Hof«, spricht von der »geschmackvollsten Autobahnkapelle«, die er je gesehen habe. Ein amerikanischer Designer nennt das Gebäude eine schicke Feuerwehrstation.
Die Süddeutsche Zeitung hält in ihrem Bericht über die Eröffnung des »Tantris« am 2. Dezember 1971 den Namen jenes Kochs, dem gut zwanzig Jahre später der Titel »Jahrhundertkoch« verliehen wird, für nicht erwähnenswert. Ovationen für einen Küchenchef sind in Deutschland bis Ende der Siebzigerjahre unüblich. Das Dutzend Leute in Witzigmanns Küche spricht Französisch, die Karte ist zweisprachig geschrieben, und Witzigmann kocht französisch, so wie er es bei Paul Haeberlin und Paul Bocuse gelernt hat. Bis zu 200 Gramm Butter verwendet er in jedem Sieben-Gänge-Menü: Lammeintopf mit jungem Gemüse, gratinierter Fisch, sautiertes Huhn »Maxim« in Paprikacremesauce. Das Problem: In den Siebzigerjahren kennt in Deutschland kaum einer Lamm, und niemand isst Huhn, zumindest nicht im »Tantris«: Witzigmann spricht von Hühnerphobie. Überhaupt das Menü: Mehrere kleine Gänge zu essen ist in Deutschland auch noch unbekannt. Zu seinem Verdruss bestellen die meisten Gäste in der Anfangszeit Entrecote vom offenen Grill. Den will er rausreißen lassen, darf aber nicht. Er droht mehrmals laut, den Löffel hinzuschmeißen. Niki Lauda gratuliert Witzigmann zum »besten Steakhaus der Welt«, Wolfram Siebeck schreibt in der Zeit über »Die Leiden eines Zwei-Sterne-Kochs im Münchner ›Tantris‹«. Eichbauer leidet mit. Besonders samstags bestellt niemand das Mittagsmenü. Eichbauer gibt die Anweisung, Mittagsgästen großzügig Wein ein- und nachzuschenken. »Sie müssen zufrieden rausgehen – falls nötig, rausschwanken.« Die Band Los Paraguayos soll neues Publikum anlocken. Das Experiment wird nach drei Monaten eingestellt. Eichbauer bleibt einige Jahre sein bester Gast. Seine Lieblingsessen: Spanferkel und Rochen.
Kellner tragen links, ihr Leben lang. Drei, vier Teller passen auf den Arm, im »Tantris« wiegt ein voller Teller bis zu 2,8 Kilo, so ein Gewicht über 45 Jahre verbiegt jede Wirbelsäule. Pietro Petronilli, aufgewachsen in einem Vorort von Verona, begann mit zwölf Jahren nach dem Tod der Mutter für die Familie zu kochen. Mit 14 Jahren kellnerte er das erste Mal im Lokal eines Cousins. Heute ist er der Dienstälteste im Service von Deutschlands ältestem Sternelokal: 58 Jahre alt, 35 Jahre davon im »Tantris«, das schafft man nur, wenn man sich die Wirbelsäule jedes Jahr wieder gerade biegen lässt. Petronilli, oder Herr Pietro, wie man ihn im »Tantris« nennt, fährt dafür jeden Sommer sechs Wochen nach Ischia, immer in die gleiche Pension, immer zum gleichen Kinesiologen, einem, dem auch Angela Merkel lange vertraut hat. Herr Pietro besucht ihn seit dreißig Jahren, immer für zwölf Behandlungen im Sommer. Deshalb ist Herr Pietro noch gesund. Geholfen haben auch die richtigen Schuhe: mit Ledersohle, Gummi läuft sich auf dem Teppich zu schnell heiß. Sechs, sieben Paar richtig gute, sehr teure Lederschuhe hält Herr Pietro zum ständigen Wechsel bereit, denn sie brauchen Zeit, um restlos trocknen zu können. In der Freizeit trägt er günstigere Schuhe, versichert er. Herr Pietro ist ein bescheidener Mann, der jeden Tag betet, teure Schuhe und einen Kinesiologen nutzt er allein der Gesundheit wegen.
Gunter Sachs’ Stammtisch war Tisch Nummer zwölf im Hauptraum ganz hinten links im Eck, vor dem großen »Tantris«-Logo an der Wand. 1977 taucht er auf, als erster Mann ohne Krawatte im Restaurant. Die Ober schlucken. Unter dem offenen Hemd trägt er ein Goldkreuz. Der erste Mann in weißen Turnschuhen zum schwarzen Jackett ist in den Achtzigerjahren Bernd Eichinger, der Filmproduzent. Die Etikette verfällt. Ab Anfang 1979 werden die Gerichte auf der Karte nur deutsch benannt, nicht mehr französisch.
Wachtelei mit Rahmspinat und weiße Trüffel
Eine amerikanische Journalistin äußert sich pikiert, ihre Forelle schmecke alt. Witzigmann hört davon in der Küche und serviert der Frau eine lebende Forelle, die am Tisch fast vom Teller hüpft.
In den frühen Siebzigerjahren entdeckt Witzigmann beim Spaziergang im Englischen Garten ein Kraut, das stark nach Knoblauch riecht, und lässt es von einem Botaniker untersuchen – es ist der Beginn der Bärlauch-Mode in Deutschland. Lebensmittel wie Thymian, Rohmilchkäse und Crème fraîche macht das »Tantris« in Deutschland erst bekannt. Witzigmann bildet mit anderen Münchner Köchen eine Fahrgemeinschaft nach Paris, zweimal in der Woche holen sie Fisch, Pasteten, Bressehühner. Hinter dem »Tantris« legt Witzigmann einen Kräutergarten an. Liebe zum Produkt, so lautet seine einfache Botschaft, und die verfolgt Witzigmann besessen. Er sucht die beste Karotte und überlegt, wie man sie wohl am besten zubereitet. Rezepte kocht er immer wieder, mal mit sieben Gramm Pfeffer mehr oder zwei Gramm Muskatnuss weniger, bis sie zum Inbegriff eines Klassikers werden, die fortan kein Sternekoch mehr ignorieren kann: Wachtelei mit Rahmspinat und weiße Trüffel. Man mag kaum glauben, dass dabei die Unterschiede so groß ausfallen können. Aber die Leute schwärmen sogar von Witzigmanns Rahmspinat. Mitte der Siebzigerjahre spricht es sich allmählich herum: Witzigmann wird Deutschlands erster Kochstar. Die Marktfrauen auf dem Münchner Viktualienmarkt lieben ihn, weil er so viel von ihrem Gemüse versteht, seine Küchenmannschaft verehrt und fürchtet seinen Perfektionismus, deutsche Hausfrauen kochen seine revolutionären Rezepte aus mehr als vierzig Kochbüchern dankbar nach.
»Einmal Tomatensalat mit Haut und Zwiebeln, und einmal ohne Haut und ohne Zwiebeln.« Geht diese Bestellung in der Küche ein, weiß Witzigmann, wer draußen am Tisch sitzt: der Fußballspieler Gerd Müller und seine Frau Uschi. Ihr Hauptgericht: dickes Filetsteak mit Rösti, kein Alkohol. Auch Franz Beckenbauer mit seiner Mutter (über die der Restaurantmanager Peter Kluge sagt: »beide stets unkompliziert und bescheiden«) und Hans-Georg Schwarzenbeck mit Frau und Söhnen (»eine vorbildliche Familie«) kommen regelmäßig. 1972 feiert die gesamte Mannschaft des FC Bayern eine gewonnene Meisterschaft. Seit Mitte der Neunziger besuchen Spieler und Trainer – auf Wunsch der Vereinsoffiziellen, vermutet man im »Tantris« – öfter die Lokale von Alfons Schuhbeck, der die Mannschaft auch bei Europapokalspielen begleitet. Wenige Angestellte des Münchner Fußballvereins haben die mutmaßliche Hausorder wiederholt missachtet: Lothar Matthäus, Luca Toni, Franck Ribéry und Louis van Gaal.
Bei Friedrich Karl Flick, dem Milliardär, stehen immer drei Brotkörbe auf dem Tisch: Weißbrot, Graubrot – im dritten Korb liegen unter einer Serviette die Waffen seiner Bodyguards griffbereit. Flick lässt unter seinem Kürzel FK reservieren, auch er sitzt am liebsten an Tisch zwölf, genau wie Gunter Sachs. Für größere Gesellschaften ab zehn Personen bevorzugt FK das Separee. An diesen Abenden wird von Flicks Angestellten ein schwarzer Vorhang vor den Fenstern des Separees angebracht. In jedem Fall wünscht FK, von Pietro Petronilli, dem Chefkellner, und Peter Kluge, Restaurantleiter von 1973 bis 1999, bedient zu werden. Und wenn die Küche am Morgen noch nicht geöffnet oder abends bereits geschlossen ist und FK Spiegeleier wünscht, stellt sich Kluge persönlich an den Herd.
»Tantris« gegen »Aubergine«, Heinz Winkler gegen Eckart Witzigmann, so heißt das Münchner Derby ab 1979, als Witzigmann sein eigenes Lokal »Aubergine« eröffnet und Winkler zu seinem Nachfolger im »Tantris« bestellt hat. »Meist haben wir gewonnen«, sagt Winkler. »Eckart hat seine Spieler richtig zur Sau gemacht.« Jedes Wochenende treten die Küchenmannschaften im Englischen Garten im Fußball gegeneinander an, unter der Woche konkurriert man um das Publikum, beide Köche bekommen drei Sterne. Aber: »So viele Sterne wie unter mir hatte das ›Tantris‹ nie vorher und nachher«, sagt Winkler. Er kam 1978 als Koch, um die Nouvelle Cuisine von Witzigmann zu lernen, ließ sich zur Nachfolge überreden, erfindet die leichtere Cuisine Vitale, bringt das Lokal in die schwarzen Zahlen. Den Grill lässt er heimlich abbauen, als Familie Eichbauer in China Urlaub macht. Mit den Fußballduellen ist Schluss, als sich schwere Verletzungen unter den Köchen beider Mannschaften häufen. Mit den Kochduellen, als Winkler sich 1991 mit einem eigenen Restaurant in Aschau selbstständig macht und Witzigmann 1993 wegen Kokainkonsums von der Stadt die Lizenz fürs Lokal entzogen wird.
1980 besucht Paul Bocuse, der französische Drei-Sterne-Koch aus Lyon, das »Tantris«. Er betritt die Küche und reicht als Erstem dem verdutzten Spüler Mile Trkulja die Hand zur Begrüßung, nicht den Köchen. Das macht Bocuse immer so, um den Köchen einzutrichtern: Wir sind ein Team, und jeder ist wichtig. Die Spüler sind auch für Eichbauers Kinder Alexa und Felix wichtig, die viele Jahre nach der Schule im Lokal herumturnen. Köche sind ungeeignete Spielgefährten: »Viel zu gestresst zum Herumalbern.«
Filmszenen, die im »Tantris« gedreht werden: ein Musikvideo von Gloria Gaynor, eine Folge Derrick; in der Folge »Maulhelden« aus der Fernsehserie Münchner Geschichten bestellt der stets klamme Tscharlie ein Spiegelei; Mitte der Siebzigerjahre eine Szene für einen längst vergessenen Fernsehfilm: viele Komparsen, die Kosten belaufen sich auf 10 000 Mark. Der Regisseur fragt bei Drehschluss den Restaurantleiter: »Hatte der Hauptdarsteller überhaupt seinen Bart angeklebt?« Er hatte nicht, der Dreh muss wiederholt werden.
Eine Bombendrohung, aber keine einzige Schlägerei
1991 Auftritt Hans Haas. Ein Koch, der sein Kochbuch Lustvoll genießen bezeichnenderweise mit einem Rezept für Ofentomaten beginnen lässt. Ein Sternekoch, der mit zwei Sternen seit zwanzig Jahren zu leben gelernt hat, ohne die leise Hoffnung auf einen dritten gänzlich zu begraben. Kocht regionale Küche, auch als die noch nicht modern ist. Experimentiert nie mit der Molekularküche – »das verträgt der menschliche Körper nicht«. Paula Bosch, ab 1991 Sommeliere im »Tantris«, sagt über ihn: »Kein Selbstdarsteller, Haas liebt sein Handwerk und seine Gäste.« Sein Küchenteam lädt Haas nach jeder neuen Auszeichnung (»Koch des Jahres« im Gault-Millau 1995 und beim Feinschmecker 1996, Aufnahme in die Top-50-Restaurants der Welt 2008) zu einer Floßfahrt auf der Isar oder zum Skifahren ein. Zögerlich zeigte sich Haas selbst, als er das Angebot von Eichbauer bekam, Winklers Nachfolger zu werden. Er hatte erst Witzigmann, seinen alten Chef im »Aubergine«, gefragt, ob es diesen nicht störe, wenn sein Schüler in Konkurrenz zu ihm trete. Kurzentschlossen zeigt sich Haas, wenn er selbst Leute aussucht. Einstellungsgespräche bei ihm dauern nie länger als fünf Minuten: »Ich sehe jemandem schnell an, ob er oder sie zu uns passt.« Fanatisch überwacht Haas, dass jeder seiner Sous-Chefs auch tolles Personalessen kocht – »Wer nicht gut isst, kann nicht gut arbeiten.« Seine Rinderbacken kochen viele Köche nach. Er kommt auf die Idee, Lachs unter der Folie zu garen, und er macht – laut Bosch – »das allerbeste Wiener Schnitzel weltweit«.
Hunden bleibt der Zutritt ins Restaurant verwehrt. Sie dürfen allerdings bis 2005 bei Jean-Marie Brousse in Obhut gegeben werden, bei Wasser und Tatar in seinem Büro am Hintereingang. Brousse kümmert sich als Food and Beverage Manager eigentlich seit 25 Jahren um den Einkauf. Nur der Modedesigner Rudolph Moshammer will ihm seinen Hund Daisy nicht anvertrauen. Moshammer verlässt das Lokal und lässt seine Mutter allein essen.
Besondere Vorkommnisse: eine Bombendrohung (Fehlalarm); keine einzige Schlägerei; ein Unfall: Kellner verbrennt sich den Oberarm beim Flambieren eines Fenchelgratins mit Pernod; eine einzige Alkoholkontrolle nebst Führerscheinentzug direkt vor der Haustür: Der Fahrer hatte auf dem Trottoir geparkt und sichtlich Mühe beim Aufsperren des Wagens; ein Kellner stiehlt Wein im Wert von 100 000 Mark; ein Gast lässt Cognac aus dem Jahr 1914 öffnen, den Familie Eichbauer teuer ersteigert hat, es handelt sich um gefärbtes Wasser (die Flasche stand als Dekoration bei einem Zigarrenhändler im Schaufenster, die Erben gaben sie zur Auktion); Hausverbot erteilt Witzigmann einmal, Haas zweimal: »Einer hat jahrelang immer nur rumgemäkelt. Der andere gab seinem Hund im Auto das Menü zum Probieren.«
Paula Bosch tritt ihren Dienst als Sommeliere kurz nach Hans Haas an – als erste Frau für den Wein in der Sternegastronomie. In den beiden Weinkellern des »Tantris« lagern 50 000 Flaschen, die noch Fritz und Sigrid-Ursula Eichbauer eingekauft haben. Es dauert lange, bis Paula Bosch dem Keller ihre Handschrift aufdrücken kann. Eichbauer kauft seit den Sechzigerjahren vor allem im Bordeaux und Burgund ein, »damals konnte man das noch bezahlen«, Bosch vermehrt in Italien, Australien und Kalifornien. Eichbauer bemüht sich, seiner Angestellten Bosch nicht allzu viel hineinzureden, aber natürlich ersteht er noch Schnäppchen für sie auf Studienreisen nach Frankreich, auch nachdem er die Leitung des Restaurants längst an seinen Sohn Felix übergeben hat. »Einen französischen Vogel hat Fritz Eichbauer ganz ohne Zweifel«, sagt Bosch über die Weinphilosophie ihres Arbeitgebers, aber sie gibt zu: »Er hat mir beigebracht, dass man vom Bordeaux niemals genug Flaschen im Keller liegen haben kann. Dafür bin ich ihm auf ewig dankbar. Bordeaux wird mir mein Leben lang nicht ausgehen.« Für Eichbauers größte Tugend hält sie sein Vertrauen in die Leute – »Alle arbeiten da gern. Er hatte in vierzig Jahren ja weniger Köche im ›Tantris‹ als andere Ehefrauen.« 611-mal bedient sie allein die Eichbauers in zwanzig Jahren. Mit Haas versteht Bosch sich blind: »Ich nannte ihm einen Wein, und er kochte das passende Gericht dazu, oder er nannte mir ein Essen, und ich fand den Wein. Wie in einer eingespielten Ehe.« Mit zwei tüchtigen Ehekrächen. »Aber ich bin von Sternzeichen Fisch und gut im Verzeihen.« Bei ihrem Abschied diesen Sommer bietet Haas ihr das Du an. Paula Bosch schreibt jetzt über Wein.
Witzigmann setzte sich nach der Arbeit gern zu den Gästen und gab ein Glas Champagner aus. »Sein Warenumsatz in der Küche war enorm«, erinnert sich Eichbauer, nicht im Geringsten vorwurfsvoll. Nur das Beste vom Besten kam auf den Tisch. Haas ist anders: Bei ihm wird nichts weggeworfen. Sogar aus Kalbsfüßchen zaubert er noch etwas. Selten setzt er sich an einen Tisch. Aber Haas hat wie eine ganze Reihe von Sterneköchen bei Witzigmann gelernt. Alle erzählen sie überall in der Welt, was ihnen von ihm beigebracht wurde, im Fernsehen, in Kochbüchern, in Zeitschriften wiederholen sie Witzigmanns Worte von der Liebe zum Produkt. Eigentlich ist das eine sehr banale Botschaft. Als ob andere Köche ihre Karotten nicht lieben könnten. Aber man sitzt im »Tantris« vor seinem Teller und wird das Gefühl nicht los: Der alte Chef ist immer noch da.
Fotos: Jan Schünke, Tantris, Eva Rokos, Christa Brand, J.L. Debionne / Hubert Burda Media