Was für ein Käse

Salat mit gegrilltem Ziegenkäse ist das Nachmittagsessen schlechthin. Das paradoxe Erfolgsrezept: Es vereint alles, was an moderner Gastronomie nervt.

In Städten mit Hochschule gibt es eine bestimmte Form des gastronomischen Mittelmaßes, die vielleicht am besten als urbanes Wirtshaus beschrieben ist. Restaurant passt nicht, Kneipe ist es auch nicht, es vermengt aber die Nachteile von beidem. Das urbane Wirtshaus hat eine Außenterrasse mit Brauereischirmen und Heizstrahlern, führt gleichberechtigt eine Speise- und Cocktailkarte und hat die Tagesgerichte mit neongelben Abwischstiften über die Bar geschrieben. Mexikanisches Bier, Brunch, Riesenschnitzel - kommt alles von dort. Opulente Salate sind ebenfalls wichtig in diesen Läden, und das hat zwei Gründe: Wo nachmittags schon gegessen wird, soll es bitte was Leichtes geben. Außerdem kommt ein großer Teil des Publikums wegen Volkshochschul-Abschlusstreffen, lockeren Teambesprechungen und anderen Zwangsgemeinschaften, bei denen die gegenseitige Skepsis oft nichts anderes zulässt als Stochern in einem Salatteller.

Der Verdacht liegt nahe, dass auch der Salat mit gegrilltem Ziegenkäse hier seinen Siegeszug antrat. Ein bemerkenswertes Gericht - bis vor Kurzem wurde auf dem Teller noch Salat mit Putenbruststreifen serviert, lange Zeit die zwingende Komplementärbestellung zu einer Weißweinschorle. Die Putenbrust hat aber in den vergangenen Jahren ihre große Lobby verloren, sie war ohnehin ein Relikt der fettfreien Neunzigerjahre, wo man sie als lustig angebräunte »Du darfst«-Fleischwürfel durch die Werbung tanzen ließ. Heute, wo die Menschen nicht mehr nur auf die Nährwerte, sondern zuvor noch auf Sachen wie Herkunft und Biodings achten, ist Putenfleisch durchs Sympathieraster gefallen.

Der gegrillte Ziegenkäse ist nun ein probater Ersatz, denn selbst wenn er ganz konventionell produziert wird, vermittelt Ziegenkäse ja eine Bio-Romantik wie kaum eine andere Zutat. Man sieht regelrecht, wie die dazugehörige Ziege lustig auf einem verwilderten Bauwagen in der Provence steht und meckert, nie denkt man jedenfalls an die dänischen Käsefabriken, aus denen die Mittelmaßgastronomie tatsächlich beliefert wird. Gleichzeitig schmeckt Ziegenkäse unleugbar nach Ziege, so viel Tier hat auch ein Vegetarier selten auf dem Teller, so prägnant sind überhaupt wenige Zutaten im urbanen Wirtshaus. Deshalb sind Rosmarin und Honig zwei wichtige Begleiter, sie dämpfen das Animalische, komplettieren die Wiese, in der die imaginierte Ziege steht, und sind ihrerseits auch wieder schön authentische Biobasics.

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Rechnet man dann noch die (zugegeben dürftige) Grillbarkeit des Käses dazu, hat man vielleicht die neue Zauberformel für moderne Gerichte gefunden - markanter Geschmack bei gleichzeitiger Wahrung von fleischlosen und ökologisch korrekten inneren Werten. Ein Gericht gewordenes Substitut, es verspricht Wildheit ohne Tier, Grillaroma ohne Ungesund, Salatteller ohne Tussiverdacht. Außerdem verträgt er locker einen leichten Rotwein als Begleitung - die Weißweinschorle ist also ebenfalls angezählt.

Illustration: Jean Jullien