SZ-Magazin: Nach Interstellar sehen wir Sie in Der Marsianer – Rettet Mark Watney zum zweiten Mal in kurzer Zeit in einem Sciencefiction-Film. Wie spielt es sich im Astronautenanzug, Helm auf dem Kopf, das Visier geschlossen?
Jessica Chastain: Manchmal kam man sich vor wie ein Säugling. Man konnte den Helm nicht selbst abnehmen, schon gar nicht mit diesen Handschuhen. Wenn du mal ein Glas Wasser trinken wolltest, musste dir jemand den Helm abnehmen und das Wasser reichen. Es war in diesem Outfit gut, ein Team zu haben, das einem half.
Hat es Sie beeinflusst, dass die Leute von Ihrem Mienenspiel wegen des Helms nicht so viel mitbekommen?
Daran habe ich gar nicht gedacht. Wenn ich spiele, frage ich mich nur, welche Erfahrungen ich gerade mache. Es ist nicht ganz einfach, in so einem Anzug zu stecken. Aber vor allem habe ich in der Rolle einige schwierige Aufgaben: Ich muss dafür sorgen, dass die Crew heil von diesem Planeten wieder runterkommt. Ich stecke dann so tief in der Handlung, dass ich sowieso nicht an meine Mimik denke.
Gehören Sie zu denen, die sich als Kind erträumten, Astronaut zu werden?
Ich habe davon geträumt, Prinzessin Leia aus Star Wars zu sein. Aber mit dem Weltraum habe ich mich erst wirklich beschäftigt, als ich mit Christopher Nolan Interstellar gemacht habe. Für ihn ist das eine Leidenschaft. Da habe ich angefangen, auch tiefer einzudringen. Ich erinnere mich, wie ich eine der ersten Schnittfassungen von Interstellar sah und Matthew McConaughey und Anne Hathaway in der Schwerelosigkeit herumschwebten. Ich dachte: Oh Mann, es muss Spaß gemacht haben, das zu drehen! Eine Woche später erfuhr ich, dass es in Ridley Scotts nächstem Film die Rolle einer Astronautin geben würde – und ich war sehr scharf darauf, die zu spielen.
Einige Leute haben bei Interstellar Logikfehler beklagt. Haben Sie alles verstanden?
Ganz ehrlich: Ich glaube, Leute, die Logikfehler in dem Film sehen, haben Kip Thornes Buch nicht gelesen. Das ist ein führender theoretischer Physiker, eine Koryphäe, und Interstellar basiert auf seiner Arbeit. Er hat auch ein Buch geschrieben, das heißt The Science of Interstellar. Darin erklärt er alles. Also, ich habe danach keine Logikfehler gefunden. Das ist übrigens mein Hund Chaplin.
Hi, Chaplin, wie gehts?
Ist er nicht niedlich?
Sehr. Er hat nur drei Beine. Was ist passiert?
Er wurde als Welpe von einem Auto angefahren. Das war, bevor ich ihn bekam.
Haben Sie sich ihn deswegen ausgesucht?
Nein, nicht deswegen. So war das eben. Als ich ihn gekriegt habe, hatte er nur drei Beine.
Trainieren Sie ihn umso mehr auf dem anderen Vorderbein?
Nein. Aber manchmal massiere ich ihn. Er hat viel Druck auf dem anderen Vorderbein.
Nehmen Sie Chaplin immer mit zur Arbeit?
Ja. Wir waren gerade vier Monate in London.
Sie reisen eine Menge, nicht wahr?
Oh ja. Er fliegt viel. Er hat einen britischen Pass und er hat einen EU-Pass. Der Hund ist viel herumgekommen in der Welt.
Und Sie im Weltraum! Der Theoretiker Kip Thorne hat Sie eingeführt, und diesmal, heißt es, hatten Sie noch die Unterstützung der NASA-Expertin Tracy Caldwell Dyson. Suchen Sie sich Ihre Rollen inzwischen danach aus, wie viel Sie dabei übers All lernen können?
Einer der wichtigsten Gründe, warum ich den Film machen wollte, war, mit Ridley Scott zu arbeiten. Man hat ja immer so eine Reihe von Regisseuren auf seiner Liste, mit denen man wenigstens einmal im Leben gedreht haben möchte. Aber ich wollte tatsächlich auch mehr über Raumfahrt lernen. Ich hatte Blut geleckt. Also bin ich zum Strahlantriebslabor der NASA in Pasadena, habe die Wissenschaftler besucht, mir die Arbeit mit den Robotern angeschaut und die Bilder vom Mars und die virtuellen Realitäten, mit deren Hilfe ich mich fühlen sollte wie auf dem Mars. Das war schon unglaublich. Dann fuhr ich nach Houston zu Tracy Caldwell, sie nahm mich mit in ein Raumschiff und auf eine Raumstation. Sie hat mir jede Frage über das Dasein als Astronaut beantwortet – auch über die menschlichen Aspekte dabei. Ich habe sie gefragt, was einen guten Kommandanten ausmacht, denn ich sollte ja die Kommandantin der ersten bemannten Mars-Mission spielen. Eine Menge dessen, was ich gespielt habe, beruht auf den Antworten, die Tracy mir gegeben hat.
Commander Lewis, die Sie spielen, scheint mitunter eine etwas widerwillige Anführerin zu sein.
Ich würde nicht unbedingt sagen, dass sie widerwillig führt. Als ich Tracy fragte, was für sie einen guten Kommandanten ausmacht, lautete ihre Antwort: Ein guter Kommandant auf einer Raumfahrtmission ist keiner, der Befehle bellt. Es geht vielmehr darum, Teil des Teams zu sein. Auch wenn Commander Lewis Soldatin ist, führt sie nicht im militärischen Stil, nicht aggressiv. Du musst die Moral der Truppe hochhalten – und den Ton leicht. Als Kommandantin kann sie ganz normal etwas sagen, und jeder folgt ihr. Sie muss nicht alle dauernd dominieren.
Ist es das, was man weiblichen Führungsstil nennt?
Ich glaube nicht. Als Tracy sagte, dass das die beste Art sei, eine Raumfahrtmission zu kommandieren, hat sie genauso über Männer gesprochen. Ich glaube, wenn man auf sehr engem Raum mit fünf anderen Leuten zusammengepfercht ist, kommt es darauf an, teamfähig zu sein und kein Alphatier.
Sie hatten bei all Ihren Dreharbeiten wesentlich mehr männliche Chefs als weibliche. Gibt es da einen Unterschied, die Dinge anzugehen?
Der Unterschied zwischen einer Regisseurin wie Kathryn Bigelow und Ridley Scott ist für mich in etwa der gleiche wie zwischen einem Regisseur wie Guillermo del Toro und Ridley Scott. Je unterschiedlicher die Regisseure sind, was ihr Geschlecht, aber auch ihre Hautfarbe oder ihre Herkunft betrifft, desto mehr Perspektiven habe ich in meinen Filmen. Es geht nicht nur um männlich–weiblich, es ist auch eine Frage der ethnischen Vielfalt.
Die These, dass mehr weibliche Chefs die Welt automatisch zu einem angenehmeren Ort machen würden, teilen Sie nicht?
Es ist immer gefährlich zu sagen: Wenn wir mehr von dieser oder jener Gruppe hätten, wäre die Welt besser. Vielleicht sollte man lieber sagen: wenn wir eine Gleichheit hätten. Ich glaube, das gilt in jedem Geschäft: Mit mehr Vielfalt und Balance ist man produktiver und hat bessere Ergebnisse.
Sie haben viele Rollen gespielt, die eher kühl und rational ausgerichtet sind, von Maya, der Profilerin in Zero Dark Thirty, bis zu Commander Lewis in Der Marsianer. Traditionellen Ansichten zufolge, denen man aber gerade im Kino oft begegnet, ist Logik etwas für Jungs, und Frauen sind für das Emotionale zuständig. Wie sehen Sie das?
Ich kenne ziemlich emotionale und sensible Männer. Es bricht mir das Herz, wenn es heißt, Frauen wären zu emotional, und Männer dürften das nicht sein. Ich lese oft in Studien, wie viele Männer Suizid begehen, und ich glaube, das passiert, weil sie gezwungen werden, eine Rolle zu spielen und ihre Gefühle zu verleugnen. Wie schrecklich, ein Leben zu führen, wo du verbergen musst, was du fühlst! Wir sollten netter mit Frauen wie mit Männern umgehen und Stereotype bei beiden Geschlechtern vermeiden.
Die Zeitschrift Vanity Fair nannte Sie als Privatperson »sehr emotional«, von täglichen Weinkrämpfen war die Rede.
Ich betrachte mich als mitfühlende Person. Wenn jemand sehr leidet, spüre ich das. Und begegne ich jemandem, dem es richtig gut geht, kann ich dessen Glück und Freude nachfühlen. Aus irgendeinem Grund hat der Journalist sich nur auf die Traurigkeit fokussiert. Aber ich finde, je mehr wir uns ins andere einfühlen können, desto gesünder sind wir als Gesellschaft.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum ausgerechnet Schauspielern gegenüber so eine Obsession für deren private Persönlichkeit herrscht? Sie werden doch gerade dafür bezahlt, dass sie überzeugend jemand anders sind als Sie selbst. Sie selbst blocken das ja meistens höflich ab.
Ich habe keine Ahnung, warum das so ist. In dem Moment, in dem Jessica Chastain als Persönlichkeit interessanter wird als Jessica Chastain, die Schauspielerin, und die Filme, in denen ich spiele, tue ich mir als Künstlerin keinen Gefallen. Dann sitzen die Leute in meinen Filmen und verbinden das alles, meine Geschichte, mein Privatleben, mit wem ich zusammen bin und so weiter, mit meiner Rolle. Ich möchte aber, dass die Leute mich nicht von dem Film trennen. Deswegen sehe ich zu, dass ich nicht zu viel privaten Kram preisgebe.
In Ihrer Karriere gab es eine erstaunlich lange Phase, in der es nicht so recht vorwärtszugehen schien. Wie haben Sie da Ihre Entscheidungen getroffen: aus dem Bauch oder aus dem Kopf heraus?
Eine Menge kommt aus dem Bauch. Und mit der Erfahrung. Ich mag es, von Leuten zu lernen, die ganz anders sind als ich. Zum Beispiel mit Ridley Scott zu arbeiten und mehr über Raumfahrt zu lernen. In so einem Moment wachse ich. Ich bin nur ein kleiner Teil des Ensembles, aber diese spezielle Rolle war für mich eine Erforschung extremer Einsamkeit und Traurigkeit – und was das mit einem Menschen machen kann. Das sind die Dinge, die mich an einer Rolle interessieren.
Einen lukrativen Blockbuster wie Iron Man 3 abzulehnen und stattdessen in New York ein wenig am Broadway zu spielen, war das so eine Bauchentscheidung? Viele in Hollywood haben das sicherlich für irrational gehalten.
Ich denke nie in der Kategorie: Was ist gut für meine Karriere? Ich denke nur daran, was für mich als Person eine Erfahrung wäre, die mich weiterbringt. Darum bin ich Schauspielerin geworden. Nicht weil ich superberühmt werden wollte.
Kann man daraus Ihren persönlichen Karriereratschlag ableiten? Ihre Kollegin Kate Mara, die im Marsianer eine Computerspezialistin spielt, hat gesagt, dass sie zu Ihnen aufschaut – und die beruflichen Entscheidungen bewundert, die Sie getroffen haben.
Das hat sie gesagt? Das ist süß von ihr. Ich mag Kate wirklich sehr.
Wenn Sie nach vorn schauen: Sehen Sie in, sagen wir, zehn Jahren noch genug attraktive Rollen für sich? Hollywood macht es Frauen mit Mitte vierzig bekanntlich nicht einfach.
Ich kann nur sagen: Als Zuschauer würden mich Filme freuen, die vielfältiger sind. Das heißt mehr Afroamerikaner, mehr Latinos, mehr asiatischstämmige Amerikaner, auch mehr sechzigjährige Frauen. Ich vermisse Frauen wie Sissy Spacek und Angela Bassett, Jessica Lange und Sigourney Weaver auf der Kinoleinwand. Ich würde gern neue Filme mit Michelle Pfeiffer sehen. Ich rede oft darüber, das Thema ist mir sehr wichtig. Nicht so sehr meinetwegen. Mir geht es im Moment ja sehr gut, und ich mache mir niemals Sorgen über die Zukunft. Aber ich will diese Frauen sehen. Das sind große Schauspielerinnen. Wir sind das einzige Land, das so mit seinen Stars umgeht. Gehen Sie nach Frankreich, die Franzosen feiern ihre Schauspielerinnen deren Leben lang.
Sie wohnen in New York statt in Hollywood. Weil Paris von New York aus nur noch halb so weit weg ist?
Zunächst mal lebe ich in New York, weil ich die Stadt liebe, und ich bin hier aufs College gegangen. Aber es stimmt: Es ist einfach, von New York aus nach Europa zu kommen.
Werden wir Sie eines Tages in den Filmen europäischer Regisseure sehen?
Ich hoffe es. Michael Haneke ist einer meiner Lieblingsregisseure. Es würde ein Traum in Erfüllung gehen, wenn ich mit ihm drehen könnte. Oder mit Olivier Assayas, Pedro Almodóvar. Aber es wird hart, weil viele dieser Regisseure nicht auf Englisch drehen. Ich werde wohl bald ein paar Fremdsprachen lernen müssen. Michael Haneke habe ich ja sogar schon mal getroffen: Ich habe seinen Oscar für Liebe angesagt.
War Ihre Großmutter wieder Ihre Begleitung bei der Oscar-Verleihung?
Ja, sie kam da schon zum zweiten Mal mit. Sie gewöhnt sich allmählich daran.
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