Wasserflasche

Moderne junge Leute scheinen von ständiger Dehydrierung bedroht zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass die großen Wasserflaschen in Handtaschen, Rucksäcken und Fahrradkörben, von morgens bis abends unentbehrliche Begleiter, mittlerweile zu einem gewohnten Anblick im Stadtbild geworden sind. Universitätsdozenten erzählen, dass kaum ein Student noch eine Klausur absolviert, ohne zu Beginn eine durchsichtige Plastikflasche neben sich zu stellen. Und in den Straßen der Innenstadt ist die Wasserflasche gerade dabei, dem notorischen »coffee to go« den Rang abzulaufen. Ein neues Statement, asketisch und vernünftig: War der Latte Macchiato im Pappbecher mit der Aussage verbunden, dass der dicht gestaffelte Tagesablauf nicht einmal Zeit für eine kurze Pause lässt, dass die Dosis Koffein unterwegs den Organismus am Laufen halten muss, regelt das allzeit griffbereite Wasser diese Fragen gesundheitsbewusster. Kein Risiko mehr durch übermäßige Koffeinzufuhr, keine Gewichtsprobleme durch einen halben Liter Milchschaum pro Tag: Die Gewissheit, im Alltag störungsfrei zu funktionieren, wird nun eher von der sorgsamen Regulierung des Wasserhaushalts abgeleitet.

Bemerkenswert an all den neuen Marken, den enzymreichen und sauerstoffversetzten Wassersorten, ist ein bestimmtes Detail: der Schraubverschluss mit verschiebbarem Mundstück. Diese neuartige Armatur sorgt auch für eine kulturelle Verschiebung: Sie verwandelt das Trinken in Nuckeln. Nicht allein im Durstlöschen liegt offenbar der Sinn der mitgeführten Flasche, sondern in der fortwährenden Wiederholung einer taktilen Stimulation. Diese Umstellung bestätigt eine andere Tendenz im Umgang mit Wasser, die sich in den Wellness-Bereichen der Hotels zeigt: Denn so wie das ständige Nuckeln das Trinken ablöst, hat in den winzigen Swimmingpools der Spas das Planschen das zügige Schwimmen verdrängt. Unser Verhältnis zum Wasser, innerlich wie äußerlich, ist gerade von einer merkwürdigen Statik gekennzeichnet. Nuckeln und Planschen: In der professionellen Business-Existenz der Wasser- und Wellness-Liebhaber markieren diese Tätigkeiten zwei Elemente der Infantilisierung. Sie sollen ein Gegengewicht bilden zur schnellen, harten Welt der Arbeit, einen Moment der Entspannung herbeiführen, zur Regeneration für kommende Aufgaben. Aus der Ferne erinnern die Verschlüsse der Wasserflaschen dabei an eine andere Bewegung des Mundes, an einen Genuss, der in der Öffentlichkeit innerhalb kürzester Zeit skandalisiert wurde und mittlerweile fast ausgestorben ist: Das Nuckeln an der Wasserflasche ist zuletzt vielleicht eine aseptische Imitation des Rauchens.