Vielleicht ist es an der Zeit, Barbie zu rehabilitieren, nachdem Generationen von Eltern die Modepuppe verteufelt haben. Logisch, lange Beine, blonde Haare, üppiger Vorbau, eine Taille, wie sie in der Natur nicht vorkommt – der Umgang, den man seinem Töchterchen wünscht, sieht anders aus. Aber bei aller berechtigten Kritik hatte Barbie immerhin Stil. Sie orientierte sich mit ihrem Kleiderschrank an Grace Kelly, Jackie Kennedy oder Twiggy. Sogar Ambitionen blitzten bei ihr durch, wenn sie Chirurgin werden wollte, Astronautin oder Präsidentin der Vereinigten Staaten. Verglichen mit Cloe, Yasmin, Jade und Sasha erscheint sie deshalb als Karrierefrau: Die Puppen der Marke Bratz wollen einfach nur Spaß. Sie tragen bevorzugt hautenge Tops, Microminis, Netzstrümpfe und High Heels aus Lackleder.
Die letzten 50 Jahre aus Sicht von Barbie: Konkurrentinnen kamen, Konkurrentinnen gingen. Keine vermochte die Königin der Mädchenherzen auch nur ansatzweise vom Thron zu stoßen. Im Juni 2001 dann brachte die kalifornische Firma Micro Games of America (MGA) die Bratz-Puppe auf den Markt, ein Wesen mit aufgeblasenen Lippen, riesigen Augen, mikroskopisch kleiner Nase. Ein Produkt wie vom Schönheitschirurgen, mit dem »schläf-rigen, durchtriebenen Gesichtsausdruck eines Partygirls, das einige Mojitos zu viel getrunken hat«, urteilt das US-Magazin New Yorker. Paris Hilton als Puppe – genau darauf hatten die kleinen Mädchen offensichtlich gewartet: Mehr als 100 Millionen Bratz-Puppen, deren Name sich von »brat« ableitet, dem englischen Wort für Göre, wurden mittlerweile verkauft. In Australien und Großbritannien ist Bratz die meistverkaufte Modepuppe, weltweit erreicht sie 40 Prozent Marktanteil. Zwei Milliarden Dollar setzte MGA im Jahr 2005 mit den Gören um, Barbie brachte seinem Hersteller, dem US-Konzern Mattel, im selben Jahr drei Milliarden Dollar. MGA-Gründer Isaac Larian tönt, er wolle Barbie in die Rente schicken. Eine typisch amerikanische Erfolgsgeschichte: Der Mann, der den größten Spiele-hersteller der Welt herausfordert, kam 1971 aus dem Iran nach Los Angeles und hatte 750 Dollar in der Tasche. Er studierte Bauwesen und fand seinen ersten Job in einem Coffee Shop – als Tellerwäscher. Einige Jahre vertrieb er Videospiele. Seine Millionärslaufbahn begann, als ihm ein Spielzeug-Designer die Skizzen einer neuen Puppe vorlegte. Larian fand sie hässlich und nahm sie mit nach Hause, um seine damals achtjährige Tochter nach ihrer Meinung zu fragen. Sie war begeistert.
Was hat Bratz, was Barbie nicht hat? Psychologen in England stellten fest, dass angehende Teenager ihre Barbie heute mit Vorliebe verstümmeln. Was man in diesem Alter mit einer Mama-Figur halt so anstellt, meint Larian. Bratz-Puppen hingegen sind Teenager und damit deutlich jünger als Barbie. Bei MGA weiß man, dass die potenziellen Käuferinnen, also Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren, davon träumen, 16 zu sein. Und nicht etwa 20 oder 30 wie Barbie in ihren verschiedenen Rollen.
Mattel reagiert auf die neue Konkurrenz wie jeder Monopolist, der seine Felle davonschwimmen sieht: Er überzieht den Gegner mit Rechtsklagen. Larian und sein Designer, ehemals Mitarbeiter bei Mattel, hätten Bratz gestohlen, heißt es darin, die Puppe gehöre eigentlich Mattel. Außerdem brachte der US-Konzern ein Jahr nach der Einführung von Bratz eine neues Produkt auf den Markt: My Scene Barbie. Sie hat größere Augen, leuch-tendere Lippen und kommt auch ansonsten lasziver daher als ihre Schwestern, was wiederum MGA zur Klage veranlasste, Mattel habe bei Bratz abgekupfert. Tatsächlich halten sich die Ambitionen dieser Barbie in Grenzen, My-Scene-Barbies sind »Mall Maniacs«, erklärt die zugehörige Internet-Seite, sie treffen sich auf der Parkbank mit vollen Tüten und sind todmüde vom Shoppen. Für die My-Scene-Linie stand das Hollywood-Girlie Lindsay Lohan Modell.
Das Duell Barbie gegen Bratz – oder Lindsay Lohan gegen Paris Hilton – steht ab Herbst auch in deutschen Kinderzimmern an. MGA hat zwar schon zweimal erfolglos versucht, Bratz hier einzuführen. Mal war die Puppe zu teuer, mal gab es Schwierigkeiten mit dem Vertriebspartner. Aber nun soll der Durchbruch gelingen, verspricht Thomas Pfau, der MGA-Geschäftsführer in Deutschland. Seinen Optimismus gründet er auch auf die Fernsehserie Bratz, die in den vergangenen Monaten auf Super RTL lief und bei den sechs- bis elfjährigen Mädchen rekordverdächtige Einschaltquoten von bis zu 50 Prozent erzielte. MGA erhalte laufend Anrufe, erzählt Pfau, wann Bratz endlich in deutschen Läden angeboten werde.
Trotzdem: Ist eine Puppe in Minirock und Lackstiefeln wirklich kindgerecht? »Gehen Sie mal in einen Spielzeugladen«, rät Pfau, dort falle Bratz nicht aus dem Rahmen. Und: »Die Mädchen laufen heute auffallend modisch gekleidet und lieben Piercings.« MGA-Chef Larian sagt, die Puppe müsse bei den Kids ankommen, nicht bei den Eltern. Und das sei ja wohl der Fall.
Wo es Bratz bereits zu kaufen gibt, zeigt sich das gleiche Phänomen wie bei Barbie – die Mütter hassen, die Töchter lieben sie. Dennoch sieht der Hannoveraner Kinder-therapeut Wolfgang Bergmann Unterschiede: »Barbie wollte noch gefallen. Die Bratz-Puppe suggeriert: ›Ich bin, wie ich bin und damit basta.‹ Das ist der Abbruch jeder Kommunikation.« Mit ihrer zynischen Gleichgültigkeit und ihrem sexuell aufgeladenen Outfit sei Bratz nicht gerade ideal als Identifikationsfigur für kleine Mädchen. Hysterie hält Bergmann trotzdem für unangebracht. Eltern hätten schließlich ein altbewährtes Mittel, sollten die quengelnden Kleinen am Verkaufsregal nach der neuen Puppe verlangen: »Einfach nein sagen.«
Foto: André Mühling